piwik no script img

Kalte Räumung an der Frankfurter AlleeMissinformation mit System

Das Camp am Containerbahnhof wurde nicht offiziell geräumt. Viele Be­woh­ne­r:in­nen haben das Camp dennoch verunsichert verlassen.

Soll geräumt werden: Das Obdachlosencamp am Containerbahnhof hinter dem Ringcenter Foto: Wolfgang Borrs

Berlin taz | Es ist erstaunlich ruhig am Montagmorgen auf der betonierten Fläche am Containerbahnhof unweit der Frankfurter Allee. Keine Bagger, die die selbst gebauten Hütten abreißen, kein BSR-Container, indem das Hab und Gut der Camp­be­woh­ne­r:in­nen entsorgt wird. Die Polizei ist zwar vor Ort, aber nur in geringer Zahl und sehr zurückhaltend. Räumen wollen sie heute nicht.

Eigentlich hatte die Eigentümerin der Fläche, die Deutsche Bahn AG, angekündigt, das Camp am Montag räumen zu wollen. Zeitweise 30 Menschen leben auf dem zuvor ungenutzten Betriebsgelände in Zelten, selbst gebauten Hütten und Wohnwägen. Die Bahn begründet die Räumungsabsichten mit „anstehenden Baumaßnahmen“.

Friedrichshain-Kreuzbergs Bezirksstadtrat, Knut Mildner-Spindler (Linke),sagt gegenüber der taz, die Bahn habe ihm versichert, am Montag nicht räumen zu wollen. Derzeit laufen wohl noch Gespräche zwischen der Bahn und der Stadtmission, die eine Ausweichfläche für die Be­woh­ne­r:in­nen bereitstellen will. Spindler spricht daher nicht von einer „Räumung“, sondern etwas beschönigend von einem „Umzug“.

Alles super also? Mitnichten, denn wann geräumt wird, ist weiter unklar. Die anwesenden Po­li­zis­t:in­nen teilten den rund 30 Unterstützer:innen, die vorsorglich eine Kundgebung gegen die Räumung angemeldet hatten, mit, dass die Räumung auf nächsten Montag verschoben wurde.

Widersprüchliche Ankündigungen

Die Deutsche Bahn sagte der taz noch am Sonntag, dass sie gedenke „ab Montag“ die Fläche zu räumen, das heißt vielleicht auch einfach ein paar Tage später.

Diese Missinformation habe System, vermutet Frieder Krauß von der Berliner Obdachlosenhilfe: „Es ist eine kalte Räumung.“ Durch die ständigen und oft widersprüchlichen Ankündigungen würde eine Atmosphäre der Angst geschaffen, durch die die meisten freiwillig gingen. „Die meisten hier wollen nur ihre Ruhe.“

Tatsächlich hat knapp die Hälfte der Be­woh­ne­r:in­nen das Camp verlassen. Wie ein Sozialarbeiter der taz berichtete, wurde eine Gruppe von Süd­ost­eu­ro­päe­r:in­nen bereits am Wochenende von der Polizei aufgefordert, das Camp bis zum nächsten Morgen zu verlassen. Erst im Februar wurde die Gruppe aus dem Camp an der Rummelsburger Bucht geräumt.

Der „Umzug“ auf die nur wenige Meter weiter durch die Stadtmission gepachtete Fläche betrifft auch nur die sechs, schon seit Längerem auf der Fläche befindlichen Wohnwägen. Der Rest muss sich wohl oder übel nach einer neuen Fläche umgucken, bis dann wieder die nächste Räumung ansteht.

Vielleicht schaffen es die Bahn und der Bezirk, so unschöne Bilder einer gewaltsamen Räumung zu verhindern. Auch konflikträchtiger Gegenprotest ließe sich so vermeiden. Nachhaltig beschädigt wird hingegen das Vertrauen der obdachlosen Menschen in Politik, Polizei und Sozialarbeit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!