piwik no script img

„Kalif von Köln“ vor Gericht

Der selbst ernannte „Kalif“ Metin Kaplan soll zum Mord am „Gegen-Kalifen“, aufgerufen haben. Die Zeugen schweigen im Düsseldorfer Prozess aus Angst

KÖLN taz ■ Seit dreißig Verhandlungstagen versucht Oberstaatsanwalt Volker Brinkmann nachzuweisen, dass Drohungen des selbst ernannten „Kalifen von Köln“, Muhammed Metin Kaplan, konkrete Aufforderungen zum Mord waren. Seine Fragen an die Zeugen zielen immer in dieselbe Richtung: Haben sie die Äußerung Kaplans als Aufforderung verstanden? Wie ist der Verband aufgebaut? Ist dem Kalifen zu gehorchen? Versteht sich der „Kalifatsstaat“ als richtiger Staat?

Seit Montag wird der Prozess gegen den „Kalifen“ vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht nach knapp einmonatiger Pause fortgesetzt. Der Vorsitzende Richter des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichts hat bis in den Oktober hinein Verhandlungstermine angesetzt, um in öffentlicher Verhandlung die knapp vierzigtausend Seiten umfassenden Akten durchzuarbeiten.

Die Bundesanwaltschaft wirft dem 47-jährigen Chef des islamistischen Verbandes „Der Kalifatsstaat“ (Hilafet Devleti) vor, zusammen mit den Mitangeklagten Hasan Gökbulut und Harun Aydin eine kriminelle Vereinigung nach Paragraph 129 Strafgesetzbuch gebildet zu haben. Er soll durch einen islamischen Richterspruch, Fetwa, zur Ermordung des Berliner „Gegen-Kalifen“ und ehemaligen Generaljugendemir des „Kalifatsstaats“, Ibrahim Halil Sofu, aufgefordert haben.

Die Beweisführung ist schwierig. Die Angeklagten schweigen beharrlich zu den Vorwürfen. Deshalb stützt sich die Bundesanwaltschaft (BAW) hauptsächlich auf das Video einer Hochzeitsfeier. Hier fielen im September 1996 in Berlin die von der BAW als Todes-Fetwa gewerteten Sätze Kaplans. „Dieser falsche Kalif ist aus zwei Gründen des Todes, erstens: Wenn jemand Zwietracht sät in der Gemeinde, schlagt ihm den Kopf ab. Zweitens: Wenn sich ein zweiter Kalif erhebt, so schlagt ihm den Kopf ab.“

Kaplans Konkurrent Ibrahim Halil Sofu wurde ein knappes halbes Jahr später tatsächlich ermordet. In der Nacht zum 8. Mai 1997 drangen drei vermummte Täter in die Wohnung des 29-jährigen Arztes im Berliner Bezirk Wedding ein. Sofu wurde mit zehn Schüssen vor den Augen seiner Frau und seiner beiden Kinder „hingerichtet“.

Die Beweisführung ist schwierig. Auch Zeugen, die schon zwanzig Jahre in Deutschland leben, wollen lieber auf Türkisch aussagen, was zu langatmigen Übersetzungen führt. Ein weiteres Problem ist die Unwilligkeit, auszusagen. Ein Teil der Zeugen hat sich mittlerweile vom Kaplan-Verband abgewandt. Aus Angst vor ihrem ehemaligen Verband sind sie nicht sehr redselig. Sie können sich an Aussagen bei der Polizei nicht mehr erinnern oder schränken diese ein. Die meisten Zeugen sind jedoch Mitglieder oder Funktionsträger des „Kalifatsstaates“. Sie weichen Brinkmanns Fragen aus. Das Aussageverhalten einiger Zeugen bezeichnete der Obertstaatsanwalt in der Verhandlung als „taktisches Verhältnis zur Wahrheit“.

Ihre Auffassung vom deutschen Rechtssystem brachte der Jugendemir von Hessen auf den Punkt. Auf Brinkmanns Frage, ob dem islamischen Recht mehr zu folgen sei als dem deutschen, erhielt er die Antwort: „Zunächst der Scharia.“

Auch mit den Gebräuchen vor Gericht wollen sich die Kaplan-Anhänger nicht einlassen. Dies führte schon am ersten Prozesstag, den 8. Februar, zum Eklat. Damals kam es zu Tumulten, weil Kaplans Gefolgsleute es aus religiösen Gründen ablehnten, sich vor dem Gericht zu erheben. „Allahu akbar – Gott ist der Größte“-Rufe brachten kurzzeitig Leben in den Gerichtssaal. Das Resultat: Räumung des Saales, Verhandlungspause, Ordnungshaft für zwei Rädelsführer. Die eigentliche Verhandlung konnte erst am Nachmittag weitergeführt werden.

THOMAS SCHAD

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen