Kai Wargalla holt Sitz über Personenstimmen: Grün und trotzdem beliebt
Die Grüne Kai Wargalla ist zur Bremer Bürgerschaftswahl auf einem aussichtslosen Listenplatz angetreten. Trotzdem hat sie es ins Parlament geschafft.
Denn sie hat knapp 5.000 Personenstimmen bekommen, mehr als die Sozialsenatorin Anja Stahmann. Noch mehr hat nur noch die inzwischen zurückgetretene Spitzenkandidatin und Umweltsenatorin Maike Schaefer. „Ohne diese Stimmen wäre ich nicht drin“, sagt Wargalla, die seit 2016 in der Bürgerschaft sitzt und schon mal Landesvorsitzende war.
Doch warum stand Wargalla trotzdem so weit hinten auf der Liste? Sie hatte sich auf Listenplatz acht beworben, wie auch schon vor vier Jahren. Auch damals landete sie stattdessen auf Platz 14 und zog über Personenstimmen in den Landtag ein.
Der Hintergrund: Auf die Plätze mit geraden Zahlen können sich alle Grünenmitglieder bewerben. Weil die ungeraden für Frauen vorgesehen sind (in Bremen zudem für trans*- oder nichtbinäre Personen), werden die offenen Plätze jedoch auch als Männerplätze verstanden. Schon vor vier Jahren habe jemand beim Parteitag gesagt: „Willst du das wirklich machen? Ich würde mir das nochmal überlegen.“ So erzählt es Kai Wargalla.
Geschlecht ist nicht schwarz-weiß
Sie ging für die vergangen Wahl den gleichen Weg – auch, weil der Bremer Landesvorstand betont haben soll, dass man sich diesmal am Bundesfrauenstatut der Grünen orientiere, nach welchem die ungeraden Plätze wirklich ausschließlich für Frauen seien. „Wenn das das Kriterium ist, fühle ich mich wohler auf einem offenen Platz. Ich empfinde Geschlecht halt nicht so binär oder schwarz-weiß.“ Am Ende ist sie nach hinten durchgereicht worden.
Vielleicht, weil Wargalla auch aneckt. Sie trägt blaue Haare zu neongrünem Schmuck, sie saß auch schon mal unbeschuht im Landtag, das missfällt einigen, auch in den eigenen Reihen. In der Pandemie kritisierte sie harsch den Umgang des Senats mit der Erstaufnahmestelle in der Lindenstraße, in der zwischenzeitlich über 300 Geflüchtete coronakrank waren. Sie schlug sich auf die Seite der Protestierenden.
Und auch intern gebe es immer wieder Punkte, mit denen sie nicht einverstanden sei, sagt Wargalla. „Ich mache das aber nicht gegen meine Partei, sondern für mein Gewissen.“ Sauer sei sie wegen der Sache mit der Listenaufstellung nicht, austreten kommt für sie nicht infrage. „Es ist total viel im Umbruch bei uns. Ich möchte mithelfen, dass wir in vier Jahren besser dastehen.“
Warum sie so viele Menschen gewählt haben, kann und will sie nicht mutmaßen. Gute Rückmeldungen habe sie jedoch auch zu ihrer Arbeit bekommen: neue Fördertöpfe für die junge Szene, Queer- und Subkultur, Gründung des queerpolitischen Beirats – das sind nur ein paar der Erfolge, die Wargalla aufzählt.
Die Parteirebellin kommt aus den sozialen Bewegungen. Wargalla arbeitete bei „Justice for Assange“ mit, eine Kampagne zur Unterstützung des Wikileaks-Gründers. Sie initiierte Occupy London, begleitete den Prozess gegen Whistleblowerin Chelsea Manning, verklagte gemeinsam mit sechs anderen Barack Obama. In Bremen kämpfte sie bei Alnatura für einen Betriebsrat im Konzern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung