Kämpfe in Somalia: "Die Menschen leiden einfach"
In der Hauptstadt Mogadischu, wo wieder neue Kämpfe ausgebrochen ist, war die Lage noch nie so verheerend, sagt der humanitäre UN-Koordinator für das Land.
taz: Herr Balslev-Olesen, in Somalias Hauptstadt sind seit einer Offensive der äthiopischen Armee am vergangenen Wochenende 90.000 Menschen geflohen. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Balslev-Olesen: Es ist seit 16 Jahren schwierig, aber eine Situation wie jetzt hat Somalia seit den frühen 90ern auch nicht annähernd erlebt. Nicht nur nehmen die schweren Kämpfe kein Ende. Die Bewohner Mogadischus sind einfach am Ende ihrer Kräfte. Sie leiden unter den ständigen Gefechten, unter der Dürre, unter Mangelernährung und Cholera. Es gibt eine Hyperinflation, so dass man sich nichts mehr kaufen kann. Die grundlegenden Strukturen, die den Menschen ein Leben ermöglichen, existieren nicht mehr.
Wie ist die aktuelle Situation in Mogadischu?
Dramatisch. 90.000 Menschen sind alleine diese Woche aus Mogadischu ins Umland geflohen. Dort versuchen bereits 400.000 Flüchtlinge zu überleben. Wir versuchen zu helfen, aber wir schaffen es nicht einmal, die Grundbedürfnisse nach Wasser, Nahrung, Gesundheit und Sicherheit zu befriedigen.
Unterstützt Somalias Übergangsregierung Sie nicht?
Wir versuchen, allen Parteien beizubringen, wie man sich in einem Konflikt verhalten soll: Dass die Zivilbevölkerung die Chance haben muss, zu fliehen, bevor geschossen wird; dass humanitäre Helfer Zugang zu den Notleidenden haben müssen, egal, welcher Seite sie angehören. Aber wir sehen das Gegenteil: Schüsse auf Menschen, die zu Nahrungsmittelverteilungen kommen; neue Straßensperren, die Erhebung sogenannter Steuern und die Festnahme unserer Mitarbeiter.
Vor zwei Wochen wurde der Direktor des UN-Welternährungsprogramms festgenommen, er kam erst nach einer Woche frei. Wissen Sie inzwischen, warum er in Haft saß?
Wir haben keine Ahnung, uns wurde bis heute nichts gesagt. Die Festnahmen scheinen ein Teil der Belästigungen zu sein, mit denen man die Arbeit der humanitären Helfer hier behindern will. Erst vor ein paar Tagen wurde ein Kollege von CARE festgenommen und erst nach 24 Stunden freigelassen - ebenfalls ohne Angabe von Gründen.
Wann werden die Flüchtlinge beginnen, nach Mogadischu zurückzukehren?
Seit heute früh wird in Mogadischu wieder gekämpft. So lange die Gefechte anhalten, glaube ich eher, dass noch mehr Familien versuchen werden, der Gefahr zu entgehen, zwischen die Fronten zu geraten. Für die, die noch nicht geflohen sind, ist ein normales Leben kaum mehr möglich. Die Krankenhäuser sind überfüllt, ein Teil der Märkte ist geschlossen. Deshalb befürchte ich, dass die Menschen weiter fliehen werden.
Im Norden Somalias, in Somaliland und Puntland, war die Lage immer vergleichsweise entspannt. Wie ist es jetzt?
Seit einigen Wochen kämpfen Truppen aus Somaliland und Puntland gegeneinander, mindestens 9000 Familien sind auf der Flucht. Es ist so gefährlich, dass wir ihnen nicht groß helfen können. Während wir eine Krise im Süden Somalias haben, haben wir jetzt auch noch einen Konflikt im Norden.
INTERVIEW: MARC ENGELHARDT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!