piwik no script img

Kämpfe in ÄthiopienTigray fällt zurück in den Krieg

Hunderttausende starben 2020 bis 2022 im Bürgerkrieg zwischen Regierung und TPLF. Jetzt tritt die ehemalige Befreiungsbewegung erneut in den Aufstand.

Geht es wieder los? Bauernfamilie in Tigray, die den letzten Krieg knapp überlebte Foto: Ximena Borrazas/ddp

Berlin taz | „Es sieht schlecht aus, es läuft auf eine schnelle Abreise hinaus“, lautete die persönliche Nachricht aus einer Stadt in Tigray am Dienstagabend. Drei Stunden später, kurz vor Mitternacht: „Wir evakuieren.“

Äthiopiens Nordprovinz Tigray, zwischen 2020 und 2022 Schauplatz eines der blutigsten Kriege der Welt mit Hunderttausenden Toten, ist seit Dienstag erneut von Gewalt erschüttert. Ein ganzer Landstrich direkt an der Grenze zu Eritrea ist offenbar von der einst regierenden TPLF (Tigray-Volksbefreiungsfront), die heute in Opposition zu Tigrays Regionalregierung steht, übernommen worden.

Nächtliche Gerüchte, sogar, der Flughafen von Tigrays Hauptstadt Mekelle sei gefallen, wurden am Mittwoch dementiert und Äthiopiens Zentralregierung sendet jetzt Verstärkung. Aber das heißt auch: Der neue Krieg hat gerade erst begonnen.

Tigrays neuer Krieg ist eine Fortsetzung des alten. Die TPLF war einst die stärkste der vielen Guerillaarmeen, die 1991 Äthiopiens damalige kommunistische Militärdiktatur stürzten, und dominierte seitdem Äthiopiens Politik. Aber als der 2018 ins Amt gekommene Ministerpräsident Abiy Ahmed die alten Tigray-Generäle entmachten wollte, übernahmen diese im November 2020 handstreichartig die Kontrolle über ihre Heimatprovinz und erkannten die Zentralregierung nicht mehr an. Jahrelang kämpften sie um die Macht, erst im November 2022 schlossen sie Frieden.

Rückkehr aller Kriegsvertriebenen nicht möglich

TPLF-Chefunterhändler Getachew Reda wurde damit Regionalpräsident von Tigray, das nun wieder Teil Äthiopiens war. Doch der gesamte Westteil Tigrays bleibt von Milizen der Nachbarregion Amhara besetzt; die vereinbarte Rückkehr aller Kriegsvertriebenen ist damit nicht möglich. Auch andere Vorhaben wurden nie realisiert. Unter vielen Tigrayern hat sich der Eindruck verstetigt, der Frieden helfe nur einer kleinen Gruppe um Getachew.

Eine Gegenbewegung hat sich unter dem historischen TPLF-Führer Debretsion Gebremichael gesammelt, bis zum Kriegsausbruch 2020 selbst Parteichef und Regionalpräsident von Tigray. Im Juli 2024 beantragte Debretsion, die während des Krieges als „Terrororganisation“ verbotene TPLF wieder zu legalisieren. Die Behörden verlangten eine komplette Neugründung. Das sah Debretsion nicht ein und machte geltend, die TPLF sei eine historische Befreiungsbewegung. Als Kompromiss wurde die TPLF „provisorisch“ zugelassen, aber als Debretsion einen Parteitag einberief, erklärte Getachew alle Beschlüsse für null und nichtig.

Seitdem steht in Tigray die TPLF unter Debretsion in Opposition zur Regionalregierung unter Getachew. Debretsion hat seine Rivalen aus der Partei geworfen und reklamiert auch die Kontrolle über die Tigray-Regionalarmee, die er als bewaffneten Arm der Partei ansieht statt als regionalen Arm der äthiopischen Streitkräfte. Im Januar warfen Tigrays hohe Generäle öffentlich der Regionalregierung „Verrat am tigrayischen Volk“ vor. Diese Woche verfügte Getachew ihre Entlassung. Die Generäle erkennen das nicht an.

Krieg gegen Eritrea steht im Raum

Während Getachew sich nach Addis Abeba abgesetzt hat und Äthiopiens Armee zu Hilfe holt, werfen seine Getreuen Debretsion vor, mit dem Erzfeind Eritrea zusammenzuarbeiten. Eritrea erkämpfte einst mit der Waffe seine Freiheit von Äthiopien und half 2020 bis 2022 Äthiopiens Regierung, Tigray niederzukämpfen. Am Friedensschluss aber war Eritrea nicht beteiligt. Seit Monaten stellen offizielle Stellen in Äthiopien Krieg gegen Eritrea in den Raum.

Im Februar rief Eritrea die Generalmobilmachung aus. Der Vizepräsident von Tigrays Regionalregierung, Äthiopiens ehemaliger Armeechef Tsadkan Gebretensae, warf jetzt Eritrea Kriegsvorbereitungen vor und sagte, „normalerweise“ würde sich Tigray da heraushalten, aber in der jetzigen Situation sei ein Eingreifen Äthiopiens angebracht, um Tigray vor Eritrea zu schützen. Für die TPLF ist hingegen die Regierung Äthiopiens der Kriegstreiber. Man werde nicht zulassen, dass Tigray unter Abiys Ambitionen leide, erklärte die TPLF diese Woche.

Tigrays neuer Krieg kann schnell eskalieren, denn die 2022 vereinbarte Demobilisierung bewaffneter Gruppen blieb aus. 371.000 Bewaffnete sollten in ganz Äthiopien demobilisiert werden, davon 75.000 in Tigray. Aber erst Ende November 2024 zogen die ersten Kämpfer in Tigray in Demobilisierunglager. Nach 5.728 Kämpfern wurde das Programm suspendiert. Diese Woche hätte es neu starten sollen – daraus wird wohl nichts. Von einem „Krieg ums Überleben“ sprechen jetzt Parteigänger beider Fraktionen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!