Kabinett beschließt Bafög-Erhöhung: Die halbe Miete
Die aktuelle Bafög-Reform ist eine der besseren. Jetzt muss die Ampel nur noch die restlichen Bafög-Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umsetzen.
Für alle, die gerade an der Regierungsfähigkeit der Ampel – Stichworte Impfpflicht, Tempolimit, Gasdeals mit Katar – zweifeln: Sie kann es doch! Zumindest ist das, was das rot-grün-gelbe Bundeskabinett am Mittwoch zum Bafög beschlossen hat, eine geräuschlose und rekordverdächtig schnelle Umsetzung eines Wahlversprechens (zumindest schnell für eine Bafög-Reform). Das allein muss man angesichts der notorischen Zerstrittenheit der Ampelmänner schon mal loben. Und es wird noch besser: Die geplanten Neuerungen beim Bafög sind auch noch gut.
Allen voran: Es gibt mehr Kohle. Um 5 Prozent sollen die Bedarfssätze zum Wintersemester steigen. Und, noch wichtiger: Die Wohnpauschale wird noch mal kräftig erhöht: von 325 auf 360 Euro im Monat. Wer nicht bei Mutti wohnt, sondern in einer WG oder allein oder sonst wie, kann also mit bis zu 809 Euro rechnen (statt bisher 725 Euro). Der Höchstbetrag liegt sogar bei 931 Euro – für alle, die zudem nicht über die Eltern versichert sind. Ein Tausi zum Studieren – das ist auch trotz Rekordinflation und irrer Mieten nicht das Schlechteste. Auch Schüler:innen, Auszubildende und Studierende mit Kind erhalten mehr Geld.
Vor allem aber greift die neue Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in ihrem Gesetzentwurf eine langjährige Forderung von Gewerkschaften und Studierenden auf, die die Groko bei ihren Bafög-Reformen geflissentlich ignorierte: Stark-Watzinger setzt die Altersobergrenze von Bafög-Empfänger:innen von bisher 30 auf 45 Jahre hoch. Und das ist überfällig angesichts der Lebensrealität der Studierenden heute. Vor allem aber berücksichtigt die Ampel damit endlich stärker all jene Studierenden, die über den zweiten Bildungsweg an die Uni kommen – und in der Regel deutlich älter sind als die Abiturient:innen.
Neben der Signalwirkung für alle Hauptschüler:innen oder Azubis, die insgeheim doch von einem späteren Studium träumen, aber es oft auch wegen der finanziellen Unsicherheit doch bleiben lassen, erfüllt die Erweiterung des Bafög-Höchstalters auch eine ganz praktische Funktion: Sie weitet den Kreis der Bafög-Berechtigten aus. Für dieses Ziel hebt die Ampel auch die Vermögens- und Einkommensfreibeträge an. All das ist dringend nötig.
Nachhaltiger Erfolg
Zur Erinnerung: Die Zahl der Bafög-Empfänger:innen ist seit Jahren im Sinkflug – trotz aller Reformen, die endlich die „Trendwende“ schaffen sollten. Sage und schreibe 26 Reformen hat das Bafög in seiner 50-jährigen Geschichte bereits erlebt. Die zunehmende Bedeutungslosigkeit der staatlichen Förderung haben die vielen Nachbesserungen bislang nicht aufgehalten. Vergangenes Jahr bezogen gerade mal 11 Prozent der Studierenden Bafög. 1971, als es unter Kanzler Willy Brandt eingeführt wurde, waren es noch 44 Prozent. Trauriger kann man einen 50. Geburtstag kaum feiern.
Was natürlich nicht heißt, dass mit der 27. Bafög-Novelle – sofern sie Bundestag und Bundesrat verabschieden – die Arbeit getan ist. Denn eines wird sich auch im kommenden Wintersemester nicht ändern: dass das Bafög nicht überall zum Leben reichen wird. Dafür sind die Mieten und Lebenshaltungskosten vielfach zu hoch. Von den zu erwartenden Heizkosten im nächsten Winter ganz zu schweigen. Natürlich kann man darüber streiten, ob man vom Bafög allein leben können müssen soll. Fakt ist aber: Passt die Ampel ihre Bafög-Erhöhungen nicht regelmäßig an die Preissteigerungen an, wird die Reform kein nachhaltiger Erfolg. Oder, um es im Ampelsprech zu sagen, kein Fortschritt.
Und schließlich sollten SPD, Grüne und FDP nicht vergessen, was sie sonst noch alles beim Bafög versprochen hatten: unter anderem eine Studienstarthilfe für Menschen aus einkommensschwachen Familien. Auch wollten sie den Anteil am Bafög reduzieren, den die Empfänger:innen nach dem Studium zurückzahlen müssen. Also her mit der 28. Bafög-Reform! Es kann nur besser werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht