Kabarettist über Populismus in Österreich: „Kein spezifischer Wahnsinn“
Kabarettist Florian Scheuba bezeichnet Sebastian Kurz als Sonderform des „starken Mannes“. Ein Gespräch zur gefühlten Gemengelage im Alpenland.
taz: Herr Scheuba, Sebastian Kurz hat sich von den Parteigranden weitgehende Vollmachten überschreiben lassen. Ist die ÖVP unterwegs zu einer Führerpartei?
Florian Scheuba: Die ÖVP ist in der bizarren Situation, dass sie sich von einer Einzelperson erpressen lassen musste. Ihre Gesamtsituation ist derart desaströs, dass das Auto an die Wand gefahren wäre, wenn ihnen der Bub abgesagt hätte. Es gibt sonst niemanden mehr. Sie haben sich auf Gedeih und Verderb dem Sebastian Kurz ausgeliefert, und das ist das Ergebnis. Wobei: Die Strukturen, die er durchgesetzt hat, sind nicht alle so neu. Wenn es mit dem Kurz nicht funktionieren sollte, sind die Vollmachten bei der Personalbestellung gleich wieder abgeschafft. Wenn es funktioniert, dann wird es ihnen das wert sein, was sie da gemacht haben.
Zu Recht sind ja die politischen Kraftprotze in den Ländern kritisiert worden.
Fairerweise muss man sagen: Der Grundgedanke des Kurz’schen Durchgriffsrechts ist ja richtig. Weil es geht über die Problematik der ÖVP hinaus, dass nämlich dieses Land nicht von einer Bundesregierung regiert wird, sondern von der Landeshauptleutekonferenz. Das ist eine Körperschaft, die nicht in der Verfassung steht, die keinerlei rechtliche Grundlage hat. De facto ist es aber so, dass es noch keiner Bundesregierung gelungen ist, gegen den Willen der Landeshauptleute irgendwas durchzusetzen. Es sitzen im Parlament Abgeordnete, die ihrem jeweiligen Landeshauptmann verpflichtet sind. Wenn sich da in Zukunft was ändern sollte, wäre das ein Fortschritt für dieses Land. Ich könnte mir vorstellen, dass andere Parteien das übernehmen. Das ist der positive Aspekt an dieser Geschichte. Wenn das so durchgeht, kann man sagen: Bravo, gut so.
Was hat Kurz denn tatsächlich geleistet, um diesen Vertrauensvorschuss zu rechtfertigen?
Unauffällig zu sein und Projektionen widerzuspiegeln. Ab einem gewissen Grad der Projektion ist alles möglich, und die Heilserwartung geht ins Unermessliche. Seine Verdienste waren Eloquenz und gutes Auftreten. Das hat auch in Deutschland funktioniert. In deutschen Talkshows hat er die Rolle von Theodor zu Guttenberg übernommen, das ist also gar kein spezifisch österreichischer Wahnsinn. Er verkauft sich gut. Aber da werden übermäßig viele Dinge hineinprojiziert. Möglicherweise ist sein Problem, dass er in den nächsten Wochen und Monaten noch viel konkreter werden muss. Das ist die Crux für alle Politiker, die mit solchen Erwartungshaltungen konfrontiert sind: Sobald sie konkreter werden, werden sie ein paar Leute verlieren.
Deswegen will er ja den Vizekanzler nicht machen.
Ganz genau, damit könnte er nur verlieren. Am liebsten wäre ihm, wenn morgen gewählt würde. Da müsste er nur sagen: Ich mach es anders und besser. Dann hätte er gute Chancen.
Trotzdem seltsam, dass die von alten Männern dominierte ÖVP jetzt auf einen Jurastudenten abfährt, der halb so alt ist.
Das ist ganz bizarr, war aber nur möglich in der Situation, dass die starken Landeshauptmänner Erwin Pröll und Josef Pühringer weg sind. Da entsteht ein gewisses Vakuum. Vor ein paar Jahren wäre das nicht möglich gewesen. Bei der ÖVP herrscht eine derartige personelle Leere, Kurz hat ja nicht einmal einen parteiinternen Gegenspieler.
Sollte Kurz Kanzler werden, müssen wir uns dann fürchten? Wird er ein kleiner Orbán?
Ich kann’s mir nicht vorstellen, aber ausschließen würde ich es nicht. Auf der Bühne haben wir es drastisch formuliert: „Sebastian Kurz hat zurzeit extrem viel um die Ohren, jetzt gehören noch die Pobacken von Viktor Orbán dazu.“ Mit seiner Haltung in der Flüchtlingsfrage, wo er als einer der Ersten gesagt hat: „So geht das nicht, das würde uns überfordern“, damit hat Kurz gepunktet. Aber wenn seine Solidarität mit Orbán darüber hinausgeht, muss man das diskutieren. Weil ja der Orbán in erster Linie für unglaubliche Korruption steht. Er ist einer der korruptesten Politiker, die wir in Europa je hatten. Da wird Kurz noch Stellung beziehen müssen.
Laut einer Studie haben 40 Prozent der Österreicher nichts gegen einen starken Mann. Ist Kurz ein Produkt dieser Stimmung?
Er ist eine Sonderform des „starken Mannes“. Es gibt sicher Wähler im FPÖ-Lager, die ihn gut finden. Darum ist auch FPÖ-Chef Strache so unrund in letzter Zeit. Er droht in diesem Duell „Kern – Kurz“ aufgerieben zu werden. Dass Platz 1 für die FPÖ ausgemacht ist, wie das in den letzten Jahren schien, das ist nicht mehr so. Kurz hat einen wesentlichen Anteil daran, der wirkt bei solchen Leuten.
Der österreichische Schauspieler, Kabarettist und Autor Florian Scheuba (52) schreibt regelmäßig Kolumen im Standard. Zudem tritt er im ORF1 mit dem Programm Wir Staatskünstler auf. Dort nimmt er innenpolitische Skandale aufs Korn.
Derzeit prognostizieren die Umfragen eher ein Duell „Strache – Kurz“. Kann die SPÖ da noch mitmischen?
Überspitzt könnte man sagen, die SPÖ ist die Liste Christian Kern. Sie muss sich sehr auf Bundeskanzler Kern konzentrieren, weil er ihr Wähler bringt, die sonst nicht SPÖ gewählt hätten. Wahrscheinlich wird das ein Persönlichkeitswahlkampf Liste Kurz gegen Liste Kern gegen Liste Putin. So schaut es derzeit aus. Kern hat den Nachteil, dass er schon früher dran war und der Entzauberungsfaktor da ist. Die Menschen sagen, aha, das ist auch nur ein normaler Mensch. Dieser Effekt fehlt bei Kurz noch. Die SPÖ hat ein ähnliches Problem wie die ÖVP: Wenn Kern weg wäre, könnten sie versuchen, aus dem burgenländischen Polizisten …
… Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, der eine restriktive Flüchtlingslinie verfolgt …
… einen Wunderwuzzi zu machen. Da bin ich ein bissl skeptisch. Das wird sicher bei ein paar Kronen-Zeitung-Lesern gut ankommen, und er hat sich zweifelsohne beim Thema Eurofighter wirklich etwas getraut, wofür man ihn loben muss. Nämlich die Korruption beim Rüstungsdeal mit neuen Fakten aufzudecken und eine neue Untersuchung des Milliardendeals einzuleiten.
Die SPÖ befindet sich ja seit Jahren in einer Identitätskrise. Nostalgisch erinnert man sich an Bruno Kreisky, der in den 1970er Jahren mit absoluter Mehrheit regieren konnte. Aber hätte er heute eine Chance?
So wie er war, nein. Im medialen Zeitalter ist so ein Persönlichkeitstypus wie der Kreisky, von seinem Tempo, seinem ganzen Erscheinungsbild her, schwer zu verkaufen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein weiser älterer Mensch funktionieren könnte. Aber das, wofür Kreisky steht, der Aufbruch der Gesellschaft und eine neue Öffnung, ist heute schwerer vermittelbar. Heute herrscht der Gegentrend: nicht Öffnung, sondern Schließung. Da würde er sich schwertun. Die meisten Politiker haben in ihrer Zeit funktioniert. Ich glaube nicht, dass es Lichtgestalten gibt, die zu jeder Zeit gewonnen hätten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind