KZ Sachsenhausen: Anklage gegen Ex-Wachmann

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 98-Jährigen Beihilfe zum Mord in 3.300 Fällen vor. Bundesweit wird in fünf Fällen gegen Nazi-Täter ermittelt.

Ein Mann läuft durch das Tor des Konzentrationslagers Sachsenhausen

Tor zum Konzentrationslager Sachsenhausen Foto: ap

BERLIN taz | 78 Jahre nach Niederschlagung des NS-Regimes ist die juristische Aufarbeitung der damals begangenen Verbrechen noch nicht beendet. Am Freitag wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft im hessischen Gießen Anklage gegen einen ehemaligen Wachmann des Konzentrationslagers Sachsenhausen erhoben hat. Dem heute 98-Jährigen wird Beihilfe zum Mord in über 3.300 Fällen vorgeworfen.

Gegen den früheren Angehörigen des SS-Totenkopfbataillons in Sachsenhausen wurde schon seit einiger Zeit von der Staatsanwaltschaft in Neuruppin ermittelt. Da der Angeklagte zur Tatzeit als Heranwachsender gilt, fällt das Verfahren unter das Wohnortprinzip. Gregor F. wohnt dem Vernehmen nach im Main-Kinzig-Kreis. Daher muss nun eine Jugendkammer des Landgerichts Hanau über eine Zulassung der Anklage und die Eröffnung eines Hauptverfahrens entscheiden.

Gregor F. soll der Anklage zufolge vom Juli 1943 bis Februar 1945 im Hauptlager Sachsenhausen als SS-Wachmann eingesetzt gewesen sein, sagte Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger der taz. Nach derzeitigem Stand gilt der Angeklagte als zumindest eingeschränkt verhandlungsfähig. Dies habe im Oktober 2022 ein Sachverständigengutachten ergeben, erklärte die Staatsanwaltschaft. Der Angeklagte befindet sich auf freiem Fuß.

Mehr als 200.000 Menschen inhaftiert in Sachsenhausen

Im KZ Sachsenhausen waren bis zu 3.000 Wachmänner eingesetzt. Dort wurden zwischen 1936 und 1945 mehr als 200.000 Menschen inhaftiert. Zehntausende kamen ums Leben, viele davon durch Genickschüsse, andere infolge der grauenhaften Lebensbedingungen.

Erst im vergangenen Jahr war ein anderer SS-Wachmann aus Sachsenhausen verurteilt worden. Das Landgericht Neuruppin schickte den damals 101-Jährigen Josef Schütz wegen Beihilfe zum Mord in 3.500 Fällen für fünf Jahre hinter Gitter. Auch er war zwischen 1943 und 1945 in dem KZ tätig gewesen. Schütz hatte bis zuletzt trotz erdrückender Beweise jegliche Schuld geleugnet. Eine angestrengte Revision des Urteils kam nicht mehr zustande, da Schütz im April 2023 verstarb.

Ein anderes Ermittlungsverfahren musste Anfang 2023 wegen des Todes des Beschuldigten eingestellt werden. Die Staatsanwaltschaft Coburg hatte gegen einen 99-Jährigen Anklage wegen Beihilfe zum Mord erhoben, weil dieser der Wachmannschaft des KZ Ravensbrück in Brandenburg angehört hatte.

Nach Angaben des stellvertretenden Leiters der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, Staatsanwalt Michael Otte, ermitteln derzeit bundesweit fünf Staatsanwaltschaften wegen Tötungsdelikten in der Nazi-Zeit gegen Beschuldigte. Neben dem Verfahren in Gießen geht es dabei um Verbrechen in den Konzentrationslagern Buchenwald, wo in Erfurt ermittelt wird, im KZ Ravensbrück, für das die Staatsanwaltschaft Neuruppin zuständig ist, und in Neuengamme bei Hamburg, sagte Otte der taz.

Vier weitere Fälle werden noch verhandelt

Zudem habe die Zentrale Stelle ihre Vorermittlungen gegen einen Wehrmachtsangehörigen abgeschlossen und den Fall an die Generalstaatsanwaltschaft Celle abgegeben. Dabei werden einem früheren Soldaten Tötungsdelikte im Kriegsgefangenenlager Stalag III C Alt-Drewitz bei Potsdam vorgeworfen. Eine Anklage ist bisher nur in Gießen erhoben worden.

Schließlich läuft derzeit in Berlin eine Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens gegen einen dem ehemaligen Soldaten. Ihm wurde von der Staatsanwaltschaft Beihilfe zum Mord in 809 Fällen im Kriegsgefangenenlager Wladimir-Wolynsk auf dem Gebiet der heutigen Ukraine vorgeworfen. Die Jugendkammer des Landgerichts Berlin lehnte die Eröffnung eines Hauptverfahrens aber im November 2022 mit der Begründung ab, der Angeklagte sei dauerhaft verhandlungsunfähig.

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