KZ-Relikte in der JVA Lingen: Denkmalschutz schützt vor Verfall nicht
An vier Baracken des einstigen NS-Emslandlagers XI Groß Hesepe nagt der Zahn der Zeit. Erhalten wollen sie viele. Geschehen ist wenig.
Die Abteilung Groß Hesepe der Justizvollzugsanstalt (JVA) Lingen, in der Gemeinde Geeste an der Ems, liegt auf historisch belastetem Boden. Wo sie heute 275 Haftplätze vorhält, Vollzug für männliche Gefangene, lag von 1938 bis 1945 Lager XI der 15 Konzentrations-, Straf- und Kriegsgefangenenlager, die während der NS-Zeit im Emsland errichtet wurden. In Groß Hesepe zwang die Wehrmacht Soldaten anderer Nationen zum Arbeitseinsatz.
Vier Baracken von Lager XI sind bis heute erhalten, eine außerhalb der Zäune und Stacheldrahtrollen der JVA, drei innerhalb. Zusammen mit einem Transformatorengebäude und einem grubenhausähnlichen Kartoffelkeller machen sie Groß Hesepe zu etwas Besonderem: dem Ort, an dem sich die meisten baulichen Spuren des Terrors der Emslandlager finden.
Die Baracken, alle aus Holz, nur eine teils aus Backstein, stehen unter Denkmalschutz. Aber dieser Schutz schützt sie nicht. Die drei größten, jede viele Dutzend Schritte lang, sind baulich marode, in Teilen unbetretbar. Eine ihrer Türen ist mit einer rotweißen Warn-Sperre vernagelt, einem riesigen X – hier sackt das Dach zusammen.
Meik Portmann, Leiter der JVA Lingen
„Angesichts der besonderen historischen Bedeutung sind wir mit dem aktuellen baulichen Zustand der Baracken unzufrieden“, sagt Meik Portmann der taz, Leiter der JVA Lingen. „Es ist wichtig, das historische Erbe zu bewahren, sich nicht von ihm zu distanzieren.“
„Schon lange“ gebe es das Bedürfnis, „zumindest den Bau außerhalb des Eingangs der JVA zu sanieren und zu erhalten, vielleicht der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, etwa als Ausstellungsraum“, sagt Portmann. „Aber dafür müssen sehr viele Akteure an einem Strang ziehen, und wir als Nutzer sitzen leider ganz am Ende dieses Strangs und können nicht viel machen, außer kleinere Reparaturen. Was hier geschehen müsste, liegt außerhalb unserer Kompetenz und unserer Mittel. Eine Sanierung allein von Baracke 38 würde vermutlich siebenstellig.“
Für die Baracken im Innenbereich der JVA, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind, die für die „Vermittlung des historischen Auftrags“ somit ausfallen, sei er „ambivalent“, sagt Portmann. „Da könnte man wirklich drüber nachdenken, ob sich eine teure Sanierung lohnt oder sich ein Abriss denkmalschützerisch vertreten lässt. Den Platz könnten wir gut gebrauchen.“
Die Diskussion über die Baracken sei eine „schon sehr lange Geschichte“, sagt Portmann. „Und ich habe nicht das Gefühl, dass es da wirklich weitergeht.“
Hinein in die düstere Tiefe der Baracke 38
Baracke 38, außerhalb des Zauns, war Standort der Lagerverwaltung. Sie ist eine Ruine. Überall verwittertes, splittriges Holz, abblätternde Farbe. Die Teerpappe der Wandverkleidung löst sich und legt verrottendes Isoliermaterial frei. Moosteppiche bedecken das löchrige Dach, Efeu rankt aus den Regenrinnen, gekappte Stromleitungen enden im Nichts. Holzplatten verschließen notdürftig Fensteröffnungen, deren Rahmen weggefault sind.
Portmann schließt auf. Ein großer, verstaubter Raum öffnet sich, mit einer rustikalen Schanktheke, welligem Bodenbelag, Zellentüren als Wanddekor. Beförderungsfeiern haben hier früher stattgefunden, Dienstbesprechungen. Ein kleiner Nebenraum beherbergt ein improvisiertes Museum, mit Fundstücken aus einer Vergangenheit auch diesseits von 1945. Dann geht es hinein in die düstere Tiefe des langgestreckten Baus, den schmalen, fahlen, muffig riechenden Mittelgang hinab. Hierher kommt sonst niemand.
André Höher, Portmanns Stellvertreter, erzählt von 360-Grad-Aufnahmen, die Studierende der Universität Osnabrück vor einem Jahr hier gemacht haben. „Dann sind die für die Lagergeschichte im Emsland bedeutsamen Baracken zumindest wissenschaftlich fundiert dokumentiert.“
Nur die kleinste der vier Baracken ist noch ganzflächig nutzbar; hier findet die Arbeitstherapie der JVA-Häftlinge statt. „Nutzung hat ja auch einen Erhaltungseffekt“, sagt Höher. Aber wenn es so schlimm kommt wie in Baracke 38, ist auch das nicht mehr möglich.
Gemeinde hat Interesse an Erhalt von Baracke 38
Helmut Höke, Bürgermeister der Gemeinde Geeste, schmerzt das. „Die Gemeinde hat großes Interesse an dem Erhalt“, sagt er der taz. „In Gesprächen mit dem Land haben wir immer wieder die Sanierung angeregt.“ Höke, Portmann und Höher sind sich einig: Die Gebäude brauchen Hilfe, schnell.
„Wir haben angeboten, das wissenschaftlich und ideell zu begleiten“, sagt Martin Koers der taz, Leiter der Gedenkstätte Esterwegen, die sich als „stellvertretend für die weiteren 14 Emslandlager“ sieht.
Baracke 38 werde „seit geraumer Zeit auf Grund des baulichen Zustandes nur sehr eingeschränkt genutzt, u.a. zur Durchführung von Schulungen für Vollzugspersonal“, schreibt Verena Brinkmann der taz, Sprecherin des Niedersächsischen Justizministeriums. „Der größte Teil der Baracke ist für eine Nutzung gesperrt.“ Die Realität vor Ort ist noch weit deprimierender.
Verena Brinkmann, Sprecherin des Niedersächsischen Justizministeriums
Die JVA Lingen sehe den Bedarf, das Gebäude zu sanieren, zu erhalten, so Brinkmann. Die Gemeinde Geeste habe sich mit der JVA Lingen über die Möglichkeit einer „vernetzten Nutzung“ der historischen Gebäudeteile ausgetauscht. „Geleitet ist diese Idee davon, die zeitgeschichtlichen Gebäude und Gebäudeteile für die Öffentlichkeit als Gedenkort aber auch als Ort der historischen Information zugänglich zu machen.“
Das Ministerium teile das Engagement für den Erhalt, so Brinkmann. „Das Anliegen, die Erinnerungskultur in Niedersachsen zu bewahren und die baulichen Zeugnisse der NS-Verfolgung zu schützen, ist auch für uns von hoher Bedeutung. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus und das Gedenken an dessen Opfer sind nicht nur zentrale Anliegen unseres Landes, sondern auch ganz besonders die dieses Hauses.“
In der Region lange verdrängt
Rund 200.000 Häftlinge haben die Emslandlager durchlitten, über 20.000 starben. In der Region wurde das über Jahrzehnte verdrängt. Lager XII, Dalum, ist nur wenige Kilometer von Groß Hesepe entfernt. Aus seinen Baurelikten hat die Gemeinde Geeste einen vorbildlichen Erinnerungsort gemacht.
In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten seien „aufgrund fehlender Haushaltsmittel“ bauliche Maßnahmen „nur in sehr geringem Umfang“ umgesetzt worden, schreibt Baudirektorin Maike Middelkampf der taz, Regionalstellenleitung des Staatlichen Baumanagements Region Nord-West, von dem jetzt alles abhängt. „Im Januar 2026 werden weitere Bauteilöffnungen durchgeführt, um vertiefte Erkenntnisse zum Gebäudezustand zu gewinnen und diese als Grundlage für die Erstellung fundierter Sanierungskonzepte zu nutzen.“
Auf dieser Grundlage werde man 2026 Gespräche mit JVA, Ministerium, Denkmalschutzbehörde und Gemeinde führen, „um die weitere Vorgehensweise abzustimmen“.
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