KOMMENTAR: Einlenken
■ Die Treuhand-Spitze sucht einen Weg zur Sanierung ostdeutscher Betriebe
Birgit Breuel, die Treuhand-Chefin, ist als radikale Verfechterin der Marktideologie bekannt. Sie wird sich darin auch von ihrem obersten Dienstherren, dem Finanzminister Theo Waigel, nicht übertreffen lassen wollen. Und doch sind die beiden jetzt ganz offensichtlich in einen konzeptionellen Konflikt über die Strategie bei der Umstellung der ostdeutschen Wirtschaft geraten, der nicht durch einige eilige Dementis aus der Welt geschafft werden kann. „Privatisierung ist die beste Sanierung“, so lautete bisher die einvernehmliche Position beider — pure Ideologie natürlich, denn die Realität der ostdeutschen Betriebe und der westdeutschen Interessen läßt sich nicht über einen derart simplen Leisten schlagen.
Es gibt jede Menge ostdeutsche Betriebe, die zwar derzeit und auch auf mittlere Sicht aus den unterschiedlichsten Gründen nicht verkäuflich sind, die aber sehr wohl mit ein wenig langem Atem erfolgreich saniert und für den Weltmarkt fit gemacht werden könnten. Das Interesse dieser Betriebe, der in ihnen beschäftigten Arbeitnehmer — bei größeren Betrieben auch die der Region —, spricht eindeutig dafür, solche Betriebe nicht einfach der Alternative Verkauf oder Abwicklung zu überantworten, sondern ihnen den Weg für eigene wirtschaftliche Aktivitäten und Sanierungsanstrengungen freizumachen. Dazu aber gehören vor allem innovative Investitionen, der Aufbau von Vertriebsnetzen auf den westlichen Märkten und vieles mehr. Wenn die Konzepte überzeugend sind, wird sich das nötige Geld dafür schon aufbringen lassen.
Was dagegen spricht, sind die Interessen der westlichen Konkurrenten, jener Herren also, die auch zuvorderst als Käufer in Frage gekommen wären und in aller Ruhe abwarten wollen, bis die Treuhand in ihren Privatisierungsanstrengungen gescheitert ist und zur Abwicklung übergeht. Schon lange haben Gewerkschaften und die politischen Oppositionsparteien gefordert, die Treuhand dürfe überlebensfähige Großbetriebe, ganze Branchen und Regionen nicht auf dem Altar ihrer Privatisierungsideologie opfern. Jetzt endlich lenkt die Treuhand-Spitze ein und erwägt, für einige Betriebe den Weg zur Sanierung als Staatsunternehmen zu öffnen. Im Gegensatz zu Waigel mit seiner bayrischen Wählerklientel kann sie sich dem Druck der sozialen Probleme in Ostdeutschland nicht entziehen. Und Schäuble registriert, wie sich bei seinen ostdeutschen Fraktionskollegen die Panik ausbreitet. Bevor das irreversibel wird, nimmt man doch lieber ein paar Staatsbetriebe in Kauf. Ein Konflikt, der Hoffnung macht. Martin Kempe
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen