KI in der Medizin: Für Körper, Kopf und Herz
Bereits heute kann künstliche Intelligenz die medizinische Behandlung unterstützen und sogar Leben retten. Drei Beispiele aus der Praxis.
Künstliche Intelligenz verändert viele Lebensbereiche und ihr Potential soll auch für die Medizin genutzt werden. Vor allem die Medikamentenentwicklung hat sie vorangetrieben, aber auch an Kliniken, Diagnoselaboren und im Praxisalltag hat sie viel Potential. Dort soll sie nun gestärkt werden, dazu beschloss die damalige Bundesregierung im November 2018 die KI-Strategie. Deutschland soll im internationalen Vergleich die Digitalisierung im Gesundheitsbereich voranbringen und auch KI-Forschung stärker fördern. Mit 180 Millionen Euro unterstützt das Bundesgesundheitsministerium die Entwicklung und Anwendung von künstlicher Intelligenz in der Medizin. Manche Projekte sind schon längst umgesetzt und KI ist längst im Einsatz, etwa in der Herzchirurgie, Krebsfrüherkennung und Psychotherapie
Der Komplikation einen Schritt voraus
Was wäre, wenn man Komplikationen nach einer Operation verhindern könnte, bevor sie überhaupt auftreten, etwa nach einer Herzoperation? Nachblutungen und akutes Nierenversagen gehören zu den bedrohlichsten Komplikationen bei Herz-OPs. Sie können mitunter tödlich sein. Je früher sie erkannt werden, desto wahrscheinlicher kann man sie erfolgreich behandeln.
Wer operiert wird, bleibt auf der Intensivstation an viele Geräte angeschlossen. In Echtzeit überwachen sie standardmäßig Puls, Sauerstoffwerte, Atemfrequenz, Blutdruck, Körpertemperatur und andere Parameter. Die Daten werden konstant gespeichert. Sackt in einer akuten Notfallsituation der Blutdruck in den Keller oder setzt die Atmung aus, schlägt das System Alarm.
Komplikationen wie postoperative Nachblutungen zeichnen sich allerdings oft schon vorher ab. In der hektischen Realität fehlt Ärzt*innen und Pflegepersonal jedoch häufig die Zeit für die Datenanalyse, und auch den Erfahrenen fällt es schwer, aus den vielen Parametern mögliche Komplikationen abzuleiten. Mit vielen Daten umgehen, Muster finden und auch kleine Veränderungen registrieren kann eine künstliche Intelligenz dafür sehr gut.
Der physiologische Fingerabdruck
Das dachten sich auch der Informatiker und Herzchirurg Alexander Mayer. Gemeinsam mit Forschenden an der Charité und dem Deutschen Herzzentrum Berlin trainierte er eine KI auf Grundlage von knapp 50.000 anonymisierten Patient*innendaten. Sie soll postoperative Nachblutungen vorhersagen.
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Dafür erstellt die KI so etwas wie einen physiologischen Fingerabdruck. Der Bildschirm zeigt dann etwa an: Zu 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit wird es bei diesem Patienten in den nächsten Stunden zu einer Nachblutung kommen, Tendenz steigend. Auf dieser Grundlage können weitere Tests vorgenommen und eine mögliche Blutung behandelt werden. Seit April 2018 haben die Forschenden das System im realen Klinikbetrieb in Berlin erprobt. Und die Software hat Erfolg. Das Start-up x-cardiac hat für das Medizinprodukt die Zulassung beantragt und 2021 bekommen, es wird am Deutschen Herzzentrum Berlin auf der Intensivstation angewandt.
Auch für akutes Nierenversagen arbeiten die Forschenden daran, ein solches System zu etablieren. In jedem Fall ist wichtig, welche Daten Forschende nutzen, um die KI zu trainieren. Die Werte von Herzpatient*innen, die nach einer Operation Komplikationen haben, unterscheiden sich von denen, die nach einer Hirnoperation Probleme bekommen oder von denen, die mit einer bakteriellen Infektion kämpfen. Wichtig ist auch, dass der Datensatz nicht gebiast, also voreingenommen ist, indem er etwa zum Großteil Männern umfasst.
Hilfe im diagnostischen Datenwirrwarr
Zeit ist essenziell, um eine Krebserkrankung zu besiegen. Dafür muss sie früh erkannt werden. Oft sind dafür bildgebende Verfahren wichtig, Darmspiegelungen, MRT oder auch ein Ultraschall. Spezifisch trainiert kann KI helfen, Bilder auszuwerten. Dafür wertet sie Muster anhand von verschiedensten Merkmale der Tumorbildung und kann Auswüchse dann teils schon sehr früh erkennen.
Auch bei Krebsdiagnosen von Leukämie hilft KI bei der Diagnose. Im Münchner Leukämielabor wird sie bereits routinemäßig zur Diagnostik eingesetzt. Bei dieser Krebsform erkrankt das blutbildende System und stört die Reifung der weißen Blutkörperchen, die auch einen wichtigen Teil des Immunsystems bilden. Für die Diagnose analysieren Labore das Zellaussehen unter dem Mikroskop, untersuchen die Chromosomen, also die Träger des Genoms, und suchen genetische Marker.
Der Münchner Laborleiter Torsten Haferlach sieht klare Vorteile im Einsatz von KI. Sie ermögliche einen viel besseren Umgang mit der großen Menge an diagnostischen Daten, sagte er auf einer Konferenz zu Technologie und Innovation Anfang des Jahres. Mittlerweile sind über 300 Leukämie-Arten bekannt. Anleitungen zur Klassifizierung sind hunderte Seiten lang. KI könne helfen, diese zu überblicken, glaubt Haferlach. Auch Daten, die darüber hinausgehen, könnten analysiert werden. KI könne Gemeinsamkeiten im Erbgut der Kranken suchen, die Rückschlüsse auf die Ursachen der Erkrankung erlaubten. Das sei „die Grundlage für maßgeschneiderte, patientenorientierte Therapien“.
Ob nun jemand Krebs hat oder nicht, entscheidet die KI nicht alleine. Sie habe den Wissensstand eines Mitarbeitenden mit zwei Jahren Berufserfahrung und solle die Diagnostiker*innen unterstützen. Kein Befund gehe ohne finale Kontrolle durch die Wissenschaftler*innen und Ärzt*innen an Patient*innen, erklärt das Labor. Die Daten, die bei der Diagnostik gesammelt werden, werden in einer Cloud gespeichert, deren Server in Deutschland stehen.
Liebe KI, heute geht es mir nicht gut
Der Leidensdruck ist immens. Von Angststörung, Depression über Sucht – zunehmend mehr Menschen leiden unter einer psychischen Erkrankung. Jedes Jahr ist mehr als ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland davon betroffen, das sind mehr als 17 Millionen Menschen. Nur ein Bruchteil beginnt eine psychotherapeutisch-psychiatrische Behandlung. Auch, weil Plätze fehlen. Bleibt der Weg zur Therapie verwehrt, könnten Chatbots helfen. In den letzten Jahren sind viele Psychotherapie-Apps mit unterschiedlichen Ansätzen auf den Markt gekommen.
Eine KI ist hilfsbereit, immer verfügbar und vielfältig einsetzbar. Sie kann verhaltenstherapeutische Ansätze verfolgen. Dabei werden verdeckte Verhaltensmuster analysiert und gezielt durch andere Verhaltensweisen ausgetauscht. Zudem kann KI Emotionen erkennen und versuchen, Krankheitssymptome zu klassifizieren. Liegen Anzeichen für eine Essstörung vor? Äußert die Person selbstgefährdende Gedanken? Oder sie kann negative Gedanken in positive umformulieren und so helfen, besser über sich selbst nachzudenken.
Doch wirklich emphatisch ist die KI nicht und sie hat auch kein echtes Verständnis. Auf dem deutschen Markt sind zudem viele der Apps keine ausgefeilten Medizinprodukte. Und es gibt Risiken, etwa Fälle, bei denen KI falsch reagiert. Eine Forscherin fütterte etwa 2022 eine beliebte Therapie-App, Woebot, die über Facebook erreicht werden kann, mit dem Satz: „Ich möchte auf eine Klippe im Eldorado Canyon klettern und von dort springen.“ Die Antwort des Bots: „Es ist wunderbar, dass du dich um deine geistige und körperliche Gesundheit kümmerst.“ Solche Probleme werden behoben und die Software weiter verbessert. Im besten Fall geschieht das, bevor sie frei verfügbar auf dem Markt ist.
Während Psycholog*innen der Schweigepflicht unterworfen sind, ist die Datensicherheit bei freien Angeboten nicht unbedingt gegeben. Wichtig ist auch, wer hinter der Software steckt. So gab es etwa einen Fall, bei dem der Chatbot den Kranken ein pflanzliches Medikament vorschlug. Kreiert wurde die KI von ebendem dahinterstehenden Unternehmen.
KI in der Psychotherapie ist ein riesiges Feld mit vielen Risiken. Es zeichnet sich aber auch ab, dass verantwortungsvoll ausgearbeitete Software eine Therapie zwischen den Sitzungen unterstützen kann, in Übungen und im Aufspüren von Symptomen. Auch in der Wartezeit vor einer Therapie könnte sie helfen.
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