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Justiz in PolenKeine Festnahme

Im Fall von Igor Tuleya fällt ein sensationelles Urteil. Dem Richter, Kritiker der rechten PiS-Regierung, wird Geheimnisverrat vorgeworfen.

Eine Unterstützerin von Igor Tuleya hat sich vor den Gerichtshof gelegt Foto: Czarek Sokolowski/ap

WARSCHAU taz | Das sensationelle Urteil an der (illegalen) Disziplinarkammer am Obersten Gericht in Warschau fiel mitten in der Nacht. Richter Igor Tuleya, dem die Staatsanwaltschaft Geheimnisverrat vorwirft, darf nicht festgenommen und von der Polizei zum Verhör bei der Staatsanwaltschaft zwangsvorgeführt werden, verkündete Richter Adam Roch am Donnerstag um 23 Uhr.

Roch ist eigentlich Staatsanwalt und kam nur durch den neuen und stark politisierten Landesjustizrat (Neo-KRS) an die von der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ebenfalls neu gegründete Disziplinarkammer. Was dort über 20 Stunden lang verhandelt wurde, welche Argumente fielen, ist unbekannt, da die Kammer das Verfahren auf Wunsch der PiS als „geheim“ einstufte.

Jacek Dubois, der Verteidiger Tuleyas und einer der bekanntesten Anwälte Polens, kommentierte den Aufsehen erregenden Fall Freitag früh im Radio: „Ich dachte, uns würde dort eine Guillotine erwarten, aber das Urteil von Staatsanwalt Roch hätte ich nicht besser formulieren können. Mein Mandant ist unschuldig. Von Geheimnisverrat kann keine Rede sein!“ Kurz darauf entschuldigte er sich für seinen Versprecher: „Pardon, es handelt sich um kein Urteil, da wir es bei der Disziplinarkammer ja weder mit einem Gericht noch mit Richtern zu tun haben.“

Draußen in der Kälte stand vor dem Obersten Gericht Richter Tuleya, unterhielt sich leise mit seinen Unterstützern und gab Interviews. Die Disziplinarkammer hatte ihm zuvor die Richter-Immunität entzogen, so dass die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermitteln konnte.

Ermittlungen gehen weiter

Tuleya war bislang weder den Vorladungen der Disziplinarkammer gefolgt, da er sie für illegal hält, noch denen der Staatsanwaltschaft, da die Aufhebung seiner Immunität seiner Ansicht nach ungültig war. Das hatte ihm auch ein anderes Gericht bereits bestätigt.

Dieses Urteil aber hatte weder die Staatsanwaltschaft anerkannt noch der Chef Tuleyas am Bezirksgericht Warschau-Zentrum. Und so ermittelte die Staatsanwaltschaft weiter und will nun auch in Berufung gehen, während Tuleya zwar noch ein Büro am Bezirksgericht hat, das aber leergeräumt wurde. Er hat Berufsverbot.

„Ich fühle mich auch nach diesem Urteil nicht sicher. Irgendwann werden sie mich holen“, sagt er nüchtern. „Enttäuscht bin ich allerdings von der EU, die anscheinend unfähig ist, der Zerstörung des Rechtsstaats in einem ihrer Mitgliedsländer etwas entgegenzusetzen.“

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