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Justiz-Skandal in JapanFreispruch nach 46 Jahren Todeszelle

Fast 60 Jahre nach Verhängung der Todesstrafe hat die japanische Justiz Iwao Hakamata freigesprochen. Damit saß er weltweit am längsten in der Todeszelle.

Hideko Hakamata ist die Schwester des zu Unrecht verurteilten Iwao Hakamada und hält ein Foto in die Kamera; Aufnahme von Mai 2013 Foto: Kazuhiro Nogi/picture alliance

Tokio taz | Das Bezirksgericht von Shizuoka hat Iwao Hakamata vom Vorwurf freigesprochen, 1966 vier Menschen ermordet zu haben. Deswegen hatte der inzwischen 88-jährige Japaner weltweit am längsten in einer Todeszelle gesessen.

Fast 60 Jahre nach der Verhängung der Todesstrafe bestätigte das Gericht nun die Unschuld des früheren Boxers. Die Beweise gegen ihn seien fabriziert worden. Sein Anwalt und seine Schwester strahlten nach dem Urteilsspruch vor Freude, Hakamata selbst war nicht vor Ort. Eine Gruppe von Unterstützern vor dem Gerichtsgebäude jubelte über die späte Gerechtigkeit.

Der Freispruch nach dem rund einjährigen Berufungsprozess bestätigt die Kritiker von Japans „Geiseljustiz“, die darauf abzielt, durch Dauerverhöre ohne Anwesenheit eines Anwalts ein Geständnis zu erzwingen.

Der Anwaltskammer ist zudem der lange Weg bis zu einer Urteilsüberprüfung ein Dorn im Auge. Den ersten Antrag auf Wiederaufnahme hatten die Anwälte von Hakamata schon 1981 gestellt, den zweiten 2008. Bis zur Freilassung nach 46 Jahren in der Todeszelle, die ohne offizielle Überprüfung des Falles und ohne Eingeständnis des Fehlurteils erfolgte, dauerte es dann noch weiter sechs Jahre.

Beweise und Geständnis fabriziert, Verhöre unmenschlich

Unter dem Eindruck dieses Falles setzt sich inzwischen eine Gruppe von 340 Abgeordneten parteiübergreifend für gesetzliche Verbesserungen ein.

Der Vorsitzende Richter Koshi Kunii begründete den Freispruch damit, dass die Polizei Kleidungsstücke von Hakamata mit Blut beschmiert hätte, um ihn zu belasten. Sein Geständnis sei „im Grunde eine Erfindung“ gewesen, weil die Verhöre auf unmenschliche Weise stattgefunden hätten und sein Recht auf Schweigen gebrochen worden sei.

Offenbar wollte man das Gesicht der Justiz wahren und die damaligen schweren Fehler nicht zugeben. Doch vor anderthalb Jahren ordnete das Oberste Gericht in Tokio ein Wiederaufnahmeverfahren an. Die Wahrscheinlichkeit sei groß, dass die Ermittler die Beweise gegen ihn platziert hätten.

Trotz dieses klaren Hinweises auf seine Unschuld forderte die Staatsanwaltschaft in dem Verfahren erneut die Todesstrafe für Hakamata. Nach dem Urteil ließen die Ankläger offen, ob sie Berufung einlegen werden.

Staatsanwaltschaft auf Irrwegen

Die Anwälte der Verteidigung haben die Staatsanwaltschaft aufgerufen, den Freispruch nicht mehr anzufechten, damit Hakamata endlich seinen Frieden finden könne.

Sein Fall ist erst das fünfte Wiederaufnahmeverfahren im Nachkriegs-Japan, das mit einem Freispruch endete. Die vorherigen Fälle, alle in den 1980er Jahren, wurden ohne Berufung seitens der Staatsanwaltschaft rechtskräftig.

Neben den gefälschten Indizien beruhte Hakamatas Verurteilung auch auf einem erpressten Geständnis. Nach eigenen Angaben wurde er in mehr als drei Wochen Polizeigewahrsam 264 Stunden lang verhört und dabei so lange bedroht und auch geschlagen, bis er ein Geständnis unterschrieb.

Schon beim ersten Prozesstag hatte er widerrufen, aber das nützte ihm nichts. Einer der drei Richter gab später zu, er habe an der Schuld von Hakamata gezweifelt, aber trotzdem für die Todesstrafe gestimmt. Erst 2007 begann er, sich für seine Freilassung einzusetzen.

Schwere psychische Schäden

Unschuldsbeteuerungen aus dem Gefängnis, so schrieb Hakamata einst aus der Todeszelle, seien so „frustrierend wie Bemühungen, etwas Schönes in der Dunkelheit zu sehen“.

Die lange Inhaftierung, davon viele Jahre in Isolationshaft, haben seine geistige Gesundheit schwer beschädigt, von sich selbst spricht er in der dritten Person. Er muss von seiner inzwischen 91-jährigen Schwester Hideko versorgt werden, die ihn auch während des Verfahrens im Gerichtssaal vertreten durfte.

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6 Kommentare

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  • Japan hat da einige schwere Defizite. Auch die Vergangenheit von vor 80 Jahren und mehr wird teils geleugnet, abgestritten oder gar glorifiziert (wogegen ich allerdings keinesfalls D'land positiv abheben möchte, was die Zeit von 1933 bis 45 betrifft!). Ach ja, in der japanischen Bevölkerung gibt es hohe Raten eines negativen China-Bildes. Wohl auch hier der Effekt, dass viele Japaner den Chinesen z.B. das Nanking-Massaker (300.000 Tote) und den Vernichtungskrieg ganz allgemein nicht verzeihen können, den die barbarische Soldateska des Kaiserreichs Japan damals in der Republik China geführt hat (Verluste an Menschenleben ähnlich hoch wie sie die Sowjetunion durch Nazi-Deutschland erlitten hat, vermutlich über 20 Millionen Menschenleben).

  • Die Todesstrafe zeugt von urtümlicher Haltung und lässt Entwicklung vermissen. Fehlende Entwicklung nennt man unterentwickelt. Ein unterentwickeltes Land. Ein Land, das nocht die Todesstrafe führt, ist ein unterentwickeltes Land. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es noch technolisiert ist, E-Autos umherfahren oder Dinge ins All schießen können. Todesstrafe ist Zeugnis fehlender Zivilisation.

    • @Sanni:

      Das stimmt so definitiv nicht. Man kann (und sollte) Entwicklung immer von zwei Seiten betrachten: eine Entwicklung zum Negativen (welches für so eine Argumentation erstmal fixiert werden müsste) bedeutet nicht, dass alle Welche diese nicht vollziehen unterentwickelt sind.



      Unerentwickelt ist ein subjektiver Begriff da man eine Entwicklung und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft und Einzelpersonen (Achtung nicht immer geht dies konkruent) bewerten muss um Positiv von Negativ zu unterscheiden.



      Nun ist dies aber oft eine Frage von Meinung, Einstellung usw.



      Daher hat Entwicklung per se nichts mit Zivilisation zu tun sondern ist ein Teil dieser.



      Ob unseren Nachkommen der Ganze Technologiekram nicht irgendwann um die Ohren fliegt bleibt abzuwarten.



      Warum wird hier nur die Strafart kritisiert? Wenn der Mann 60 Jahre im normalen Knast gesessen hätte wäre es dann wesentlich besser für ihn? Sollte man nicht eher hinterfragen wie solche juristischen Fehler auftreten konnten? Nicht um die Justiz dann abzuschaffen weil sie Fehler macht sondern um daraus zu lernen wie man so etwas in Zukunft vermeidet?

  • Schon wieder eine Bestätigung eines der besten Argumente gegen diese Strafe.

  • Schafft endlich die Todesstrafe ab.



    Selbst wenn nur einer von 10.000 Hingerichteten unschuldig sein sollte, ist es einer zu viel. Genau genommen ist jeder, auch wenn klar schuldig, einer zu viel.

    • @Rudi Hamm:

      Das verstehe ich nicht. Nach der Argumentation müsste man das Autofahren auch abschaffen weil wahnsinnig viele dabei unschuldig sterben.



      Ich bin auch gegen eine Todesstrafe aber nicht aus solchen Gründen sondern weil eben kaum einmal eine wirklich 100% eindeutige Sachlage besteht. Sollte dies allerdings zutreffen empfinde ich es nicht als falsch bestimmte Subjekte aus der Gesellschaft zu entfernen - dauerhaft. Allerdings entscheide nicht ich das sondern die Gesellschaft - diese ist insgesamt dagegen, also stelle ich mich hinter diese Meinung (bezogen auf Deutschland) da meine Alternative auch eher utopisch ist.