Das ist der Gipfel

Noch eine Woche ist es hin, bis sich die Staats- und Regierungs­chefs der G 20 in Hamburg treffen. Schon jetzt ist viel los

Protestieren dürfen sie, schlafen wohl nicht

RECHT Bundesverfassungsgericht erkennt G-20-Protestcamps in Hamburg als Demonstration an, gibt den Behörden aber viel Spielraum für Auflagen

Unterstützer des antikapitalistischen Camps und Polizei Anfang der Woche im Hamburger Stadtpark Foto: Christina Sabrowsky/dpa

HAMBURG taz | Die Stadt Hamburg muss die G-20-Protestcamps für jeweils 10.000 GipfelgegnerInnen in der kommenden Woche dulden. Das hat das Bundesverfassungsgericht am Mittwochabend entschieden.

Begründung: Die Camps unterlägen den Regeln des Versammlungsgesetzes und müssten als politische Demonstrationen behandelt werden.

Was aus dieser Entscheidung folgt, wird nun in der Hansestadt heiß diskutiert: Die Polizei könnte die Camps beispielsweise mit Auflagen versehen, was die Größe und den Ort angeht.

Der Klägeranwalt des Camps „Alternativen zum Kapitalismus leben und sichtbar machen“ im Hamburger Stadtpark, Martin Klingner, bezeichnete den Beschluss zwar als „positiv“, bedauerte aber, dass die „Entscheidung der Versammlungsbehörde zu viel Spielraum lässt, wo und in welcher Form das Camp stattfinden kann“.

Die Verfassungshüter hatten deutlich gemacht, dass sie sich mit der Entscheidung schwergetan haben. Diese Form der internationalen Protestkultur werfe „schwierige und in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung ungeklärte“ Fragen auf.

Die Polizei hatte das Camp im Stadtpark zuvor verboten, und das Hamburger Oberverwaltungsgericht hatte dies bestätigt. Nach Ansicht der Verfassungsrichter wäre damit aber „das Versammlungsrecht bei einem besonders herausragenden politischen Großereignis nachhaltig entwertet“ worden. Allein ein Hinweis auf ein Verstoß gegen die Grünanlagenverordnung reiche für ein Verbot nicht aus.

Wann? Am Donnerstagmorgen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Regierungserklärung abgegeben.

Worüber? Ein Thema ihrer Rede im Bundestag war das bevorstehende G-20-Treffen Ende kommender Woche in Hamburg.

Wie? Weil die Regierung Trump vor vier Wochen einseitig das Pariser Klimaabkommen aufgekündigt hat, betonte Merkel die Einigkeit der anderen Mitgliedstaaten. „Wer glaubt, die Probleme dieser Welt mit Isolationismus und Protektionismus lösen zu können, der unterliegt einem gewaltigen Irrtum“, sagte Merkel, ohne den US-Präsidenten beim Namen zu nennen. Seit der Kündigung des Abkommens vor vier Wochen sei die Bundesregierung „entschlossener denn je, es zum Erfolg zu bringen“.

Und nun? „Wir wollen und müssen diese existenzielle Herausforderung bewältigen, und wir können und werden nicht darauf warten, bis auch der letzte auf der Welt von den wissenschaftlichen Erkenntnissen des Klimawandels überzeugt werden konnte. Mit anderen Worten: Das Klimaabkommen ist unabkehrbar, und es ist nicht verhandelbar.“ Der Dissens zu den USA in der Frage sei offenkundig. „Und es wäre nur unaufrichtig, wenn wir ihn übertünchen würden. Das werde ich jedenfalls nicht tun.“

Was noch? Vom G-20-Gipfel müsse ein klares Signal für freie Märkte und gegen Abschottung sowie ein klares Bekenntnis zu einem multilateralen Handelssystem ausgehen. „Wir brauchen die G 20 dringender denn je“, sagte Merkel. Die erwarteten Proteste gegen den G-20-Gipfel halte sie für „mehr als legitim in einer Demokratie“. Sie hoffe, dass diese Proteste friedlich blieben. (am, dpa)

Durch dieses Hin und Her ist nun das juristische Chaos perfekt. Unmittelbar vor der Verfassungsgerichtsentscheidung hatte das Verwaltungsgericht das Verbot eines weiteren Camps unter dem Namen „Langzeitprotest gegen G 20 – Dauerversammlung mit Campbegleitung“ im Hamburger Volkspark durch die Polizei bestätigt, weil es keine grundrechtlich geschützte Versammlung sei.

Die Organisatoren haben dagegen Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) eingelegt. Dieses muss nun vermutlich das Verbot des Verwaltungsgericht formaljuristisch „zeitnah“ aufheben. „Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts spielt natürlich eine Rolle“, sagte OVG-Sprecherin Anne Groß der taz.

Ursprünglich sollten beide Protestcamps am kommenden Wochenende beginnen. Die Polizei verweigert sich derzeit jedoch noch Gesprächen mit den Organisatoren des Volkspark-Camps, das außerhalb der 38 Quadratkilometer großen Demo­verbotszone liegt, mit dem Hinweis auf das anhängige Verfahren.

Die Veranstalter des Stadtpark-Camps, das im sogenannten „Transfer-Korridor“ für den Transport der G-20-Regierungsdelegationen liegen würde, waren indessen für den Donnerstagnachmittag zum Kooperationsgespräch geladen worden. Dort gab die Polizei bekannt, dass sie überhaupt kein Camp mit Übernachtungsmöglichkeiten zulassen werde. Das sei durch die Entscheidung der Bundesverfassungsgerichts gedeckt. Die Camp-Organisatoren prüfen nun, wie sie mit der Ansage politisch und juristisch umgehen.

Unterdessen hat die Hamburger Staatsanwaltschaft am Donnerstagmorgen Räume des aniti­imperialistischen „Roten Aufbruchs Hamburg“ sowie zweier Privatpersonen wegen Billigung einer Straftat durchsuchen lassen. Sie stehen unter Verdacht, diejenigen gewesen zu sein, die der taz im Dezember anonymisiert ein Interview zur Bewegung gegen den G-20-Gipfel gegeben hatten. Darin hatten die beiden für einen kurz zuvor in Hamburg verübten Brandanschlag auf die Tagungsstätte in den Hamburger Messehallen Verständnis gezeigt.

Die Polizei will überhaupt kein Camp mit Über­nachtungsmöglichkeiten zulassen

Kai von Appen

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