Juristenkommission legt Bericht vor: Wurde Dag Hammarskjöld ermordet?
Wurde der schwedische UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld 1961 zum Höhepunkt der Kongokrise gezielt ermordet? Und hörte der NSA mit?
BERLIN taz | Der mysteriöse Tod des schwedischen UN-Generalsekretärs Dag Hammarskjöld vor 52 Jahren soll nach Ansicht einer internationalen Juristen-Kommission in Den Haag neu untersucht werden.
Der US-Geheimdienst NSA verfüge möglicherweise über entscheidende Hinweise auf die Todesumstände, teilte die vom britischen Exrichter Stephen Sedley geleitete Kommission am Montag in ihrem Abschlussbericht mit.
Es handele sich um noch immer als geheim eingestufte Mitschnitte von Funksprüchen, die darauf hindeuteten, dass Hammarskjölds Flugzeug gezielt abgeschossen wurde, möglicherweise von einem belgischen Piloten, hieß es in dem Bericht.
Dies seien „wichtige neue Beweise“, die ernst genommen werden müssten, und die Vereinten Nationen seien gut beraten, nun eine eigene neue Untersuchung zu starten, die anders als diese Voruntersuchungen "klare Antworten" ergeben könnte. Dies könne nun die UN-Vollversammlung beschließen.
Katanga, mit belgischer Hilfe vom Kongo abgespalten
Der UN-Generalsekretär war auf dem Höhepunkt der Kongokrise 1961 ums Leben gekommen. Kongo war am 30. Juni 1960 unter dem radikalen Freiheitskämpfer Patrice Lumumba von Belgien unabhängig geworden und war sofort zerfallen, weil die mineralienreiche Südregion Katanga sich mit Unterstützung Belgiens sofort vom jungen unabhängigen Staat abspaltete. Lumumba hatte die UNO um Hilfe gegen die Sezession gebeten, wurde aber verhaftet und am 17. Januar 1961in Katanga getötet.
Die Sezessionsregierung von Katanga genoss damals auch die Unterstützung der britischen Kolonialherren im benachbarten Nordrhodesien (heute Sambia) und des damals noch komplett weiß regierten südlichen Afrika, das nicht wollte, dass die Bergbauschätze Katangas in die Hände von "Kommunisten" fallen.
Die von Lumumba eingeladene UN-Mission im Kongo (ONUC) unter irischer Führung begann im September 1961 mit der Umsetzung eines Beschlusses, alle nicht UN-mandatierten "belgischen und anderen ausländischen militärischen, paramilitärischen und politischen Personen" und "Söldner" aus Katanga zu entfernen, um danach Gespräche über ein friedliches Ende der Sezession führen zu können. Die Sezessionsregierung unter Moise Tshombé widersetzte sich dem.
Am 13. September 1961 begann die UN-Mission daher die "Operation Morthor" zur Festnahme Tshombés und zur Übernahme der wichtigsten Regierungsgebäude in Katangas Hauptstadt Elisabethville (heute Lubumbashi).
Am gleichen Tag flog UN-Generalsekretär Hammarskjöld in Kongos Hauptstadt Léopoldville (heute Kinshasa) ein und reiste umgehend weiter zu Gesprächen mit Tshombé, um ihn zur Anerkennung der territorialen Einheit des Kongo zu bewegen. Die Verhandlungen sollten in Ndola in Nordrhodesien stattfinden. Tshombé reiste am 17. September nach Ndola und wartete dort gemeinsam mit den britischen Behörden auf den UN-Genralsekretär. Der kam nie an.
Einschusslöcher im Wrack, Leiche am Termitenhügel
Denn Hammarskjölds DC-6-Maschine stürzte beim Landeanflug mitten in der Nacht zum 18. September ab. Der Kommissionsbericht enthält detaillierte Schilderungen: Das Wrack wurde 9 Stunden später 9 Meilen von Ndola entfernt gefunden; die Maschine war beim Aufschlag auf dem Boden in Flammen aufgegangen, mitsamt allen Passagieren. Laut dem neuen Bericht gab es keine Hinweise für technisches Versagen, dafür aber Einschusslöcher im Wrack.
Es sei unklar, ob Hammarskjöld beim Absturz starb oder vor dem offiziellen Auffinden des Wracks gefunden und erschossen wurde, so der neue Bericht. Es gebe eindeutige Hinweise, dass seine Leiche vor dem offiziellen Auffinden aufgefunden und zumindest bewegt wurde. Das offizielle Team fand ihn tot an einen Termitenhügel gelehnt.
Der Bericht hält es für möglich, dass die Maschine entweder durch eine Bombenexplosion an Bord zum Absturz gebracht oder von einer anderen Maschine abgeschossen wurde. Entsprechende Theorien sind bereits mehrfach in Untersuchungen geprüft und verworfen worden. „Unsere provisorische Schlussfolgerung ist, dass die jetzt zur Verfügung stehenden Beweismittel die Verfizierung der Hypothese, dass das Flugzeug durch Störung in der Luft oder Gewehrfeuer zuhm Boden gezwungen wurde, ermöglichen könnte“, so jetzt der Abschlussbericht der Kommission in einer äußerst vorsichtigen Formulierung.
Hörte die NSA aus Zypern live mit?
Zu den „neuen Beweismitteln“ gehört die Aussage eines ehemaligen NSA-Mitarbeiters in Zypern, Charles Southall. Er berichtete der Kommission, er sei am Abend des 17. September 1961 vorgewarnt worden, dass "etwas Interessantes passieren wird", und habe dann gemeinsam mit anderen über eine Abhöranlage den Beschuss und Absturz der Maschine bei Ndola live mitverfolgt. Die NSA habe Bitten der Kommission um Herausgabe eventuell existierender Abhörprotokolle unter Verweis auf eine Geheimhaltungsfrist von 50 Jahren vorerst abgelehnt.
Die Kommission wurde vom pensionierten britischen Richter Stephen Sedley geleitet; ein weiterer ihrer vier Mitglieder war der Südafrikaner Richard Goldstone, ehemaliger Chefankläger der UN-Kriegsverbrechertribunale für Exjugoslawien und Ruanda. Die UN-Vollversammlung ist nicht verpflichtet, ihren Empfehlungen zu folgen.
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