Junge Menschen und Zukunftspessimismus: Mit Utopien gegen die Krise
Die junge Generation wächst mit der Klimakrise auf und verliert dabei den Glauben an Veränderung. Dabei sind Utopien gerade bitter nötig.
E inmal plante ich mit einer Freundin einen Wochenendtrip nach Paris. Die Bahnpreise stiegen von Tag zu Tag – und wir schauten halbernst nach einer Flugverbindung ab Frankfurt. Die Ersparnis wäre für zwei Jugendliche groß gewesen. Doch was sagt es über die Einstellung von jungen Menschen aus, dass wir diese Option überhaupt in Erwägung gezogen haben?
Der Tag beginnt mit News zu Flammen in Südfrankreich. Während des Schulwegs dann Meldungen zu Überschwemmungen in Texas. Auf dem Heimweg: 40 Grad – der heißeste Juni, den Westeuropa je erlebt hat. Dazwischen wir – eine Generation, die sich immer häufiger fragt, ob es nicht naiv ist, noch an die Klimawende zu glauben.
Ohne nachhaltige Mobilität wird das nichts. Der Straßenverkehr ist für ungefähr ein Fünftel der europäischen CO2-Emissionenverantwortlich. Der Verbrennungsmotor steht an einem Scheideweg, und Deutschland muss sich schnell für eine Richtung entscheiden. Denn der Klimawandel verhandelt nicht – und wir hängen ihm schon zu lange an den Fersen. Es ist Zeit, dass wir aufholen. Doch wie soll das gelingen, wenn selbst das Verbrenner-Aus 2035 nach Utopie klingt?
Mobilitätsexperte Josef Löffl hat noch Hoffnung. Sein Vertrauen in uns, engagierte Jugendliche, habe ich beim 201. jugend presse kongress – young leaders in Potsdam erlebt. Die Veranstaltung, gefördert durch das Bundesministerium für Verkehr, bringt junge Talente aus ganz Deutschland zusammen.
Die Hoffnung auf völlig neue Lösungswege
„Man sollte den Faktor Mensch nicht unterschätzen. Der Mensch tut viele unüberlegte Dinge, aber gleichzeitig hat er die Fähigkeit, im wahrsten Sinne des Wortes, Berge zu versetzen“, sagt Löffl in einem großen Saal vor Hunderten Jugendlichen, denen es vor der Zukunft bangt. Sein Vortrag versprüht angesichts der aktuellen Lage etwas Utopisches.
„Es wird Dinge geben, die wir uns heute noch nicht vorstellen können, die völlig neue Lösungswege herbeiführen werden“, sagt Löffl. Der Professor, der an der Hochschule Coburg lehrt, glaubt an die Kraft des menschlichen Erfindungsgeistes. Er ist optimistisch, dass Technologie die nachhaltige Mobilitätsentwicklung vorantreiben wird. Die Frage, was technisch machbar ist, sei trivial. Seine Antwort: „Alles.“ Entscheidend sei allein der Wille. Löffl sieht keinen Grund zur Panik, im Gegenteil: Diese Reaktion würde Fortschritt hindern.
Wir jungen Menschen sind mit Schlagzeilen aufgewachsen, die früher nach Science-Fiction geklungen hätten und heute Alltag sind. Als Kind habe ich diese Nachrichten noch mit Sorge verfolgt. Mittlerweile swipe ich fast beiläufig durch die Meldungen. Solange ich denken kann, ist der Klimawandel für mich eine Realität, welche ich akzeptieren muss – und keine Neuigkeit, keine Drohung. Eine pessimistische Einstellung zu meiner Zukunft wurde in mir vorprogrammiert, ebenso wie die Frage, ob wir überhaupt noch etwas verhindern, verändern können.
Ist das der Grund, warum viele die Entscheidung für den Flieger pragmatisch erwägen, statt sie kategorisch auszuschließen?
Wie aber soll Veränderung gelingen, wenn wir alle so pessimistisch in die Zukunft blicken? Tun wir das weiterhin, wird der Klimawandel zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Wenn niemand mehr an eine bessere Zukunft glaubt, bleibt auch niemand mehr übrig, der sie möglich macht.
Ohne utopische Hoffnung keine Veränderung
Auch Luisa Neubauer, das bekannteste Gesicht der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung, erkennt an, dass die Umkehrung des aktuellen Erwärmungstrends mehr und mehr nach Fantasie klingt – doch dies sei kein Grund, aufzugeben. In ihrem Buch „Der Klimaatlas“ beschreibt Neubauer das Phänomen der „utopischen Lücke“. „Wir sind wahnsinnig gut darin, utopische Errungenschaften der Vergangenheit ganz selbstverständlich in unseren Alltag zu integrieren und zu akzeptieren“, schreibt sie dort.
Als Beispiel verweist sie auf den Feminismus. Ohne eine zunächst utopische Hoffnung auf mehr Rechte, hätte sie als Frau keine Bücher schreiben dürfen. War ein Traum die Präambel dazu? Ist utopisches Denken also zwingend notwendig? Neubauers Antwort lautet: ja.
Die Klimaaktivistin vertraut jedoch, im Gegensatz zu Löffl, eher auf gesellschaftlichen Wandel als auf technische Innovation. Sie warnt davor, den Klimakampf als etwas anzusehen, das sich von selbst ergeben werde: „Es gab eine Phase, da schien es, als gäbe es keine Klimawandelleugnung mehr, aber eigentlich haben sich die Argumente verändert. Anstatt die Wissenschaft zu leugnen, wird die Dringlichkeit oder die eigene Verantwortung geleugnet.“
Der Sturz in den Pessimismus könnte als neue Art der Klimaleugnung gesehen werden. Doch ist hoffnungslose Aussicht nicht vielmehr eine einfache Ausrede, durch die man mit sich selbst vereinbaren kann, dass man sich das Leben, auch wenn es dem Klima schadet, leichter macht?
Aussichtslosigkeit ist auch keine Lösung
Wir sind keine naiven Idealisten. Wir wissen, dass der Kampf nicht leicht sein wird. Dass uns die Lösungswege nicht einfach in den Schoß fallen werden. Dennoch sollten wir uns von pessimistischen Gedanken nicht unterkriegen lassen. Denn kein Kampf lässt sich gewinnen, den man schon zu Beginn als aussichtslos ansieht. Neubauer sieht dies ähnlich: „Wie kann es sein, dass die größte Geschichte der Welt Menschen entweder panisch zurückschrecken oder sich gelangweilt abwenden lässt.“
Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo zwischen utopischer Vision und kalter Realität. Doch Utopien sind ein Anfang im Klimakampf. Und alle Mal besser als Resignation und daraus resultierende Ignoranz. Jeden Tag müssen wir Entscheidungen treffen – für uns, für eine lebenswerte Zukunft. Persönliche Utopien helfen dabei, nicht die einfache, sondern die richtige Entscheidung zu treffen. Meine Freundin und ich entschieden uns, nicht nach Paris zu reisen. Der Zug war zu teuer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahl zum Bundesverfassungsgericht
Brosius-Gersdorf zieht sich zurück
Mitarbeiter von SPD-Mann abgewiesen
Antifa-Shirt im Bundestag unerwünscht
Chefarzt klagt gegen Klinik in Lippstadt
Joachim Volz will sich Abbrüche nicht verbieten lassen
Wolfram Weimers Genderverbot
Weg mit dem Wokismus
Parole „From the River to the Sea“
Anwält*innen fordern Ende der Kriminalisierung
Wolfram Weimers Gender-Verbot
Warum ich mich aus meiner Nationalsprache verabschiede