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Jung, jüdisch, rechts

In der Organisation Betar schließen sich in vielen Ländern rechte Juden zusammen. Der Mitgründer des deutschen Ablegers, Amir Makatov, hat auch mit der AfD keine Berührungsängste. Was will die Organisation?

Schon zu Beginn der zionistischen Bewegunggab es einen Ableger in Deutschland: Betar-Treffen im nationalsozialistischen Berlin 1935 Foto: Fo­to: Bildarchiv Pisarek / akg-images

Von Leon Holly

Die scheidende Vorsitzende der Jüdischen Studierendenunion (JSUD) klang beunruhigt. In einem Interview in der Jüdischen Allgemeinen im Februar sprach Hanna Veiler über eine Radikalisierung unter jungen Jüdinnen und Juden in Deutschland, die ihr Sorge bereite. „Rechte Ideologien verfangen vor allem dort, wo Menschen verunsichert sind“, sagte Veiler. „Für die jüdische Gemeinschaft gilt das in besonderem Maße.“

Dass ihr Abgang von solchen Sorgen überschattet war, liegt an der rechten jüdischen Gruppe Betar Germany, gegründet im Sommer 2024. Ihre Führungspersonen zeichneten sich durch ein Weltbild aus, das mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei, sagte Veiler. Betar-Mitglieder kommentierten Beiträge der JSUD „mit rassistischen und geschichtsrevisionistischen Inhalten“, meldeten sich für Veranstaltungen an und versuchten, „in unsere Strukturen hereinzukommen“. An ihre Nachfolger gerichtet, appellierte Veiler: „Es wird Aufgabe des nächsten JSUD-Vorstands, diese Brandmauer aufrechtzuerhalten“.

Betar Deutschland ist der neue Ableger einer Organisation, die 1923 im lettischen Riga von Ze’ev Jabotinsky gegründet wurde, dem wohl bekanntesten Vordenker der rechten revisionistischen Strömung des Zionismus. Angesichts antisemitischer Übergriffe in Europa bildeten die „Betarim“ damals in verschiedenen Ländern jüdische Gruppen zur Selbstverteidigung, lernten Hebräisch und riefen zur Auswanderung nach Palästina auf. Heute existiert Betar in mehreren Ländern.

Doch wer und was steckt hinter Betar Deutschland? Was will die Gruppe? Die taz hat für diesen Text mit einem ihrer Gründer gesprochen, Amir Makatov. Er wehrt sich gegen den Vorwurf des Extremismus. Makatov ist der Sohn osteuropäischer Einwanderer, sein Vater ist Muslim aus Dagestan, die Mutter Jüdin aus Aserbaidschan – er selbst wurde in Potsdam geboren und bezeichnet sich als Zionist. Makatov singt als Musiker auch auf seiner Muttersprache Russisch und arbeitet als Redakteur beim rechten Portal Nius, das der ehemalige Bild-Chefredakteur Julian Reichelt leitet.

Auf der Plattform X postet Makatov unter dem Namen „Morgenthau“ – dort kommentiert er etwa den Vorschlag des Antisemitismusbeauftragten, in Deutschland solle ein Ableger des israelischen Holocaust-Museums Yad Vashem entstehen, mit den Worten: „(Felix) Klein fordert noch mehr Erinnerungsindustrie“, und verwendet auch den rechtsextremen Begriff „Schuldkult“. In einem Beitrag auf der Instagram-Seite von Betar schreibt er über Palästina-Demos: „Kommunisten, Islamisten und Pazifisten marschieren durch die Straßen der Bundesrepublik und fordern Blut.“ Makatov bekräftigt diese Haltung im Gespräch am Telefon. „Wir sind dafür, dass Islamisten abgeschoben werden und Grenzen gesichert werden. Vielleicht ist das aus einer taz-Perspektive schon extremistisch. Finden wir nicht.“

Auf der anderen Seite des Atlantiks will Betar USA sogar aktiv bei Abschiebungen mithelfen – der dortige Ableger brüstet sich stolz, man habe der Trump-Regierung Listen mit den Namen propalästinensischer Studierender übermittelt. Betar USA wurde im Juni 2023 neu gegründet, selbst der israelfreundliche Watchdog Anti-Defamation-League führt ihn dort wegen „Islamophobie“ und Angriffen gegen Muslime auf einer schwarzen Liste.

Makatov gründete Betar Deutschland gemeinsam mit einem Mitstreiter im Sommer 2024. In den bestehenden jüdischen Organisationen hätten „linksliberale talking points“ vorgeherrscht, rechte Juden seien ausgegrenzt worden, sagt Makatov. „Es gab aber kaum welche, die konservativ oder libertär oder gar rechts waren.“ Mittlerweile hat er den Vorstand verlassen und spricht deshalb nicht im Namen von Betar, sondern als Privatperson. Auf eine taz-Anfrage, wer die Gruppe heute leitet, antwortet Betar nicht.

Zwei Monate nach der Gründung existierten Makatov zufolge „eine Handvoll Ortsgruppen in ganz Deutschland“. Heute gebe es ein Kernnetzwerk aus etwa 30 Aktiven und einen Dunstkreis aus etwa 100 Leuten. Es gehe Betar darum, die jüdische Community zu vernetzen. Man fördere den Umzug nach Israel, biete Sprachkurse an oder treibe Sport, „zum Beispiel jüdischen Selbstschutz im legalen Maße durch Krav-Maga-Kurse“.

Um Interessierte zu finden, warben die Gründer laut Makatov in bestehenden Netzwerken, jüdischen Organisationen oder Whatsapp-Gruppen. Eine dieser Gruppen ist Gegenstand eines Artikels, der im Eda Magazin der JSUD erschien. Der anonyme Text benennt die „Jewish debate group (uncensored)“, aus der Betar hervorgegangen sei. Dort seien Nachrichten geschrieben worden wie: „Alice Weidel und Krah sehen die Juden als hochwertige Menschen. Für mich reicht es, um die AfD zu wählen“, oder: „Ich kann diese Beärbock (sic!) nicht mehr ertragen, eine furchtbare weißfotzige Weibe, die muslimische Schwänzen (sic!) lutscht.“ Makatov zufolge ist die „debate group“ lediglich eine von vielen Whatsapp-Gruppen, aus denen man „rekrutiert“ habe. Das Zitat über die frühere Außenministerin Annalena Baerbock sei von einer Person getätigt worden, die mit Betar nichts zu tun habe.

Makatov zufolge hätten „extremistische Anschauungen“ keinen Platz bei Betar. Was extremistisch ist, wolle man aber selbst bewerten. So sei etwa Artur Abramovych bei Betar aktiv, der Vorsitzende der „Juden in der AfD“ – ein Verein, der von Kritikern als Feigenblatt bewertet wird, um Antisemitismus in der Partei zu verdecken. Die AfD wiederum sieht Makatov einer übertriebenen „Hexenjagd“ ausgesetzt. Es gebe in Deutschland keine nicht-antisemitische Partei, und die AfD sei nicht vorne dabei. „Der linke Antisemitismus und der aus linker Ideologie resultierende migrantische Antisemitismus ist derzeit die größere Gefahr für Juden in Deutschland“, sagt er.

Der Text im Eda Magazin benennt auch einen gewissen „Yehonatan“ als Aktiven aus dem Betar-Umfeld, der auf X unter dem Namen @ashkenaszi poste. Einmal veröffentlicht er ein Schwarz-Weiß-Bild von einer Gruppe deutscher Betar-Aktivisten. Es zeigt sie, posierend mit Israelflaggen, auf einem Platz in Amsterdam. Dazu teilt @ashkenaszi ein martialisches Zitat des Autors und Paramilitärs Avraham Stern. Stern gründete 1940 die Lechi, eine militante Organisation in Palästina, die im 2. Weltkrieg einen Burgfrieden mit den Briten ablehnte. Bevor die industrielle Judenvernichtung bekannt wurde, bemühten sich Mitglieder der Lechi gar um eine Allianz mit Hitler-Deutschland, stritten für die Errichtung eines jüdischen Staates auf der Grundlage nationalistischer und totalitärer Prinzipien. Makatov nennt Stern eine „sehr spannende Persönlichkeit“, er sei aber keine ideologische Inspiration für Betar.

Eine wichtige Rolle spielt auch Betar-Gründer Jabotinsky, jener Vater des revisionistischen Zionismus, der von einem Großisrael träumte. Nimrod Flaschenberg weist auf einen noch extremeren ideologischen Einfluss hin. Flaschenberg ist Israeli, engagiert sich in seiner Heimat in der linken Chadasch-Partei und lebt in Berlin, wo er Proteste gegen den Krieg in Gaza organisiert. Er sieht bei Betar Gemeinsamkeiten mit dem Rabbi Meir Kahane, einem jüdisch-amerikanischen Rassisten, der 1968 in den USA die Jewish Defense League gründete. „Der Kahanismus wollte Juden gegen andere Minderheiten verteidigen“, sagt Flaschenberg der taz. Bei Betar gebe es eine Mischung aus zionistischem Nationalismus, aggressiver Männlichkeit, Alt-Right-Motiven aus den USA und sogar „einigen sehr düsteren völkisch-deutschen Elementen“.

So teilt der Account @ashkenaszi auch Bilder von Kahane, befürwortet in dessen Sinne die Vertreibung von Palästinensern aus Israel, dem Gazastreifen und der Westbank und sorgt sich um die „ethnische Reinheit“ Europas.

„Ein Großteil der Juden in Israel hat eher konservative Ansichten“

Amir Makatov, Mitgründer von Betar Deutschland

Flaschenberg weist jedoch darauf hin, dass in Israel die Grenzen zwischen der traditionellen rechten Likud und den Faschisten verschwimmen. So hat Netanjahu die Vertreibung der Palästinenser aus Gaza zum Ziel erklärt – eine Forderung der Kahanisten. Und mit Itamar Ben-Gvir sitzt mindestens ein kahanistischer Minister im Kabinett, sagt Flaschenberg. „Kahanismus ist jetzt mehr oder weniger die herrschende Ideologie der Likud-Partei“.

Das Verhältnis zu Israel ist für Betar wichtig. Makatov sagt: „Ich hatte das Gefühl, dass es Zeit ist für eine jüdische Organisation, die der ideologischen Ausrichtung des Staates Israel und des Zionismus gerecht wird“. In Israel sei eine „rechte, rechtsradikale, manche sagen rechtsextreme Regierung“ an der Macht. „Ein Großteil der Juden weltweit und vor allen Dingen in Israel hat eher konservative Ansichten, die traditionsbewusst und bis zu einem gewissen Punkt auch militaristisch sind.“ Wenn man diese Punkte aber in Deutschland vertrete, werde man doof angeguckt.

Ähnliches gilt für die Frage, wer Teil eines Volkes ist. „Das ist kein Konsens bei Betar, aber viele Leute meinen: Ja, ich habe den deutschen Pass, aber ich bin ethnisch kein Deutscher“, sagt Makatov. „Das ist der ethno-kulturelle Volksbegriff“. Mittlerweile lässt sich der Account auf X nicht mehr finden – Screen­shots bei Eda aber belegen die Posts. Makatov bestätigt im Gespräch, dass Account-Inhaber Yehonatan Teil des „Netzwerks“ ist, seine Ansichten seien aber nicht repräsentativ für die meisten Leute bei Betar. Diese Idee von Volkszugehörigkeit wird aktuell mit Bezug auf die AfD diskutiert. So begründet der Verfassungsschutz seine Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ zentral damit, dass die Partei ein „ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis“ vertrete, das mit der Verfassung nicht vereinbar sei. Makatov aber meint, Israel mache es ja genauso. „Die sagen: Auch wenn du den deutschen Pass hast, bist du Jude und kannst zu uns auswandern und Israeli werden. Die benutzen ja auch den ethno-kulturellen Volksbegriff.“

Gerade in Israel aber hat Betar als säkulare Organisation in letzter Zeit an Bedeutung verloren, dort wächst die religiöse Rechte. Attraktiv scheint sie vor allem für eine weltliche, sich radikalisierende Diaspora zu sein, besonders nach dem 7. Oktober. Beobachter in den USA meinen, dass Betars Außendarstellung dort viel auf Online-Trolling beruht, weniger auf Straßenpräsenz. Eine Einschätzung, die auch mit Blick auf Betar Deutschland nicht abwegig ist – zumindest bislang.

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