Juneteenth und Autor Ralph Ellison: Schöne Illusion
Ein Auftritt Donald Trumps in Tulsa weckt Erinnerungen an Juneteenth und ein rassistisches Massaker. Zur Aktualität von Ralph Ellisons Werk.
![](https://taz.de/picture/4218288/14/25401830-1_Ralph_Ellison_Juneteenth_Rassismus_Sklaverei-1.jpeg)
„Ich bin unsichtbar, weil man mich einfach nicht sehen will. Die Unsichtbarkeit […] ist die Folge einer eigenartigen Anlage der Augen, derer, mit denen ich in Berührung komme.“ Schrieb Ralph Ellison im Prolog seines existenzialistischen Romans „Der unsichtbare Mann“ (1952).
Ellisons Protagonist bleibt bei seiner grotesken Wanderung durch die segregierte US-Gesellschaft unsichtbar und namenlos. Die rastlose Suche nach Identität und Selbstrepräsentanz, ignoriert von der weißen Mehrheitsgesellschaft, lässt ihn trotz Widrigkeiten die Fülle von Leben und Kultur erkunden. Am Ende dieses großen Werks der Weltliteratur geht er in einen Kohlenkeller, der von 1.369 brennenden Glühlampen erleuchtet wird.
Unsichtbar sind Schwarze in den realen USA längst nicht mehr. Unrecht geschieht ihnen weiterhin, wie die Weltöffentlichkeit seit dem brutalen Tod von George Floyd hautnah vor Augen geführt bekommt. Barack Obama nahm in seinen beiden Amtszeiten immer Stellung, wenn es zu rassistischen Übergriffen gekommen war.
Keine Empathie von höchster Stelle
Das hat sich unter seinem Nachfolger Donald Trump geändert. Wenn BürgerInnen von höchster Stelle die Empathie versagt bleibt, lässt das Rückschlüsse auf den gesellschaftlichen Zustand des Landes zu und gibt Anlass zu Sorge, besonders, da die weiße Mehrheitsgesellschaft in absehbarer Zeit Geschichte sein wird.
Trump hat sich auch 20 Tage nach dem todbringenden Polizeiübergriff auf Floyd bisher nicht in einer Rede an die Nation gewandt, um sie in krisenhafter Zeit zu einen. Dafür bestreitet er seinen ersten Wahlkampfauftritt seit dem Lockdown. Sein Team hat dafür die Stadt Tulsa im Bundesstaat Oklahoma ausgewählt. Dort hat Trump treue WählerInnen. Die republikanische Partei erhofft sich von diesem Auftritt Geldspenden und einen Push für seine Wiederwahl im November.
In Tulsa ereigneten sich im Juni 1921 brutale Ausschreitungen mit bis zu 300 Toten. Aufgrund von Falschinformationen nach einer Begegnung zwischen einem schwarzen Liftboy und einer jungen weißen Frau brandschatzten und mordeten Weiße durch die Geschäftsstraße „Black Broadway“ im Stadtteil Greenwood.
Offizieller Feiertag
In den USA gilt „Juneteenth“, der 19. Juni, in vielen Bundesstaaten als offizieller Feiertag: Zur Erinnerung an den 19. Juni 1865, als im texanischen Galveston Sklaven von Soldaten der Nordstaaten befreit wurden. In Tulsa ist die Erinnerung an „Juneteenth“ eine andere, unweit brutalere. Dementsprechend alarmiert hat die Bevölkerung auf die Ankündigung von Trumps Auftritt in der Stadt reagiert. Das Wahlkampfteam hat den Termin zwar um einen Tag – auf heute – verschoben, die Gemüter hat das kaum besänftigt.
Nun kommt Ralph Ellison wieder ins Spiel, der 1914 in Oklahoma geboren wurde und dessen zweiter, 1999 postum veröffentlichter Roman „Juneteenth“ heißt. Ellison nennt den 19. Juni darin „Festtag einer schönen Illusion“, um ungelöste Probleme im Zusammenleben von Schwarz und Weiß in einem virtuosen Zwiegespräch zu beschreiben.
„Es wird noch viele Juneteenths geben, bevor wir wirklich frei sind“, lässt Ellison den schwarzen Prediger Alonzo Hickman sagen, der mit seinem Waisenkind, dem weißen Jungen Bliss, spricht, aus dem sich im Verlauf der Story der rassistische Politiker Sunraider entwickelt. „Gesellschaften sind Menschen Werk“, formuliert Ellison und trifft ins Herz von Bigotterie: Wer „Juneteenth“ liest, bekommt einen guten Eindruck vom Selbstverständnis ehemaliger Sklavenhalter und den Auswirkungen ihrer Ausgrenzung.
Ellison hat immer dagegen angeschrieben, Opfer zu sein. Er hat zeitlebens auf Gleichberechtigung hingearbeitet: „Die Zeit […] ist ein Karussell im Inneren eines Karussells; nur Menschen fallen herunter oder aus der Zeit.“ Vielleicht rückt dieser Zeitpunkt im November näher.
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