Julia Reda über EU-Urheberrecht: „Die Nutzer:innen bekommen nichts“
Wie soll die neue EU-Urheberrechts-Richtlinie umgesetzt werden? Netzexpertin Julia Reda vermisst grundsätzliche Regelungen.
taz: Frau Reda, als Europaparlamentarierin haben Sie gegen Uploadfilter im Internet gekämpft, sich sagen lassen müssen, die werde es nicht geben, und nun ist klar: Sie kommen doch. Was denkt man in so einem Moment?
Julia Reda: Besonders überraschend kam es leider nicht, schließlich hatten alle Experten genau davor gewarnt. Gleichzeitig zeigt der Entwurf für die Umsetzung der EU-Urheberrechtsreform, den die Bundesregierung jetzt vorgelegt hat: Die großen Proteste, die es damals gab, als die EU die Reform beschlossen hat, die haben schon etwas gebracht.
An welchen Stellen?
Zum einen wird endlich die Alltagskultur im Netz ernst genommen. So soll es erlaubt sein, fremde Videoausschnitte, die kürzer als 20 Sekunden sind, für nichtkommerzielle Zwecke zu verwenden. Die ursprünglichen Urheberinnen und Urheber sollen dafür eine pauschale Vergütung bekommen, wie man das beispielsweise kennt vom Recht auf Privatkopie. Der zweite Punkt ist, dass zum ersten Mal anerkannt wird, dass Systeme wie Content ID systematisch missbraucht werden.
Projektleiterin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Bis 2019 war sie Abgeordnete im EU-Parlament, wo sie sich auf netzpolitische Themen, insbesondere die Urheberrechtsreform, spezialisiert hatte
Content ID, das System, mit dem Youtube hochgeladene Inhalte automatisiert auf mögliche Urheberrechtsverletzungen untersucht.
Genau. Da passiert es immer wieder, dass Inhalte, die berechtigterweise genutzt wurden, gesperrt werden, zum Beispiel wenn angebliche Rechteinhaber:innen falsche Angaben machen. Hier sieht der deutsche Gesetzentwurf Maßnahmen vor gegen Missbrauch.
Die 20 freien Sekunden – ist das jetzt schon das lange geforderte Recht auf Remix?
Die Richtlinie: Im April 2019 wurde die neue EU-Urheberrechts-Richtlinie final verabschiedet. Nun hat die EU-Kommission Interessenverbände gebeten, ihr bis zum 10. September Feedback für die Handreichung zur Umsetzung von Artikel 17 zu geben.
Artikel 17: Besonders umstrittener Teil der Reform. Er sieht unter anderem vor, dass Plattformen wie Youtube oder Facebook dafür sorgen sollen, dass keine urheberrechtsverletzenden Inhalte auf ihren Plattformen landen.
Die Umsetzung: Die Bundesregierung versprach bei der Verabschiedung auf EU-Ebene in einer Protokollnotiz, „das Instrument ‚Uploadfilter‘ weitgehend unnötig zu machen“. Im Entwurf für die Umsetzung sind sie aber drin.
Einerseits ist es weniger, andererseits ist es mehr. Weniger, weil die 20 Sekunden nur für nichtkommerzielle Nutzung gelten. Es besteht also die Gefahr, dass, wer auf Youtube Werbung vor seinem Video erlaubt, nicht mehr darunterfällt. Gleichzeitig ist es mehr, weil die 20 Sekunden keine Veränderung des Materials voraussetzen, was ja bei einem Remix eigentlich der Fall ist. Zum Beispiel das Reaction-GIF, ein alltägliches Internetphänomen. Bei dem wird eine ganz kurze Sequenz aus einem Film genommen, nur mit Untertiteln, um etwas zu kommentieren. Und so etwas wie diese kurzen Sequenzen, aber auch die Nutzung von Inhalten in Parodien, das waren ja auch Punkte, für die die Menschen damals auf die Straße gegangen sind.
Und wo ist der Haken?
Das größte Problem ist, dass es trotz allem immer noch zur automatischen Sperrung legaler Inhalte kommen wird. Zum Beispiel: Ich habe etwas hochgeladen, aber jemand anders behauptet, das sei sein Inhalt. Das passiert häufig, wenn zum Beispiel Fernsehsender alle ihre Inhalte in einen Filter wie Content ID einspeisen, ohne zu prüfen, ob sie auch an allem die Rechte haben. In solchen Fällen können Nutzerinnen und Nutzer dann nur im Nachhinein gegen eine Sperrung vorgehen und das bedeutet: Einen langen Prozess – und das Video ist erst mal weg.
Wie ginge es besser?
Das Problem ist, dass der umstrittene Artikel 17 widersprüchlich ist: Einerseits verlangt er von den Plattformen, alles zu unternehmen, um Urheberrechtsverletzungen zu verhindern. Andererseits sieht er vor, dass legale Inhalte nicht gesperrt werden dürfen. Daher finde ich, es muss immer noch eine händische Prüfung geben durch einen hinreichend qualifizierten Menschen.
Die EU-Kommission entwickelt gerade Handreichungen für die Umsetzung der Urheberrechtsreform, auch in Deutschland wird es noch dauern, bis das Gesetz fertig ist. Welche Spielräume sehen Sie?
Einige. Deutschland könnte zum Beispiel sagen: Wir halten Uploadfilter für grundrechtswidrig. Am vielversprechendsten wäre es, wenn Deutschland seinen Einfluss nutzt, um die Diskussion auf EU-Ebene dahingehend zu beeinflussen. Ein kleines bisschen passiert das schon. Zum Beispiel hat Frankreich in seinem ersten Entwurf für die Umsetzung der Richtlinie den Punkt, dass legale Inhalte nicht gesperrt werden dürfen, gar nicht berücksichtigt. Dann hat Deutschland seinen Entwurf veröffentlicht, auch auf Englisch, und damit die Position der EU-Kommission unterstützt, die in Richtung Frankreich gesagt hat: Das geht so nicht. Kleine Mitgliedstaaten orientieren sich oft daran, wie die Großen EU-Richtlinien umsetzen. Deshalb war es wichtig, dem französischen Vorschlag etwas entgegenzusetzen.
Das alte Urheberrecht war reformbedürftig, weil es nicht für das digitale Zeitalter taugte. Wie zukunftsfest ist das neue?
Die grundsätzlichen Fragen, die das digitale Zeitalter für das Urheberrecht aufgeworfen hat, werden überhaupt nicht angegangen.
Zum Beispiel?
Urheberrecht war ja immer ein Ding für spezielle Branchen, wie die Musik- oder Filmindustrie. Jetzt haben auf einmal alle damit zu tun, jeder nutzt das Internet. Und dafür ist auch das neue Urheberrecht überhaupt nicht gemacht. Genauso wenig dafür, dass es mittlerweile Geschäftsmodelle wie Plattformen gibt, die so verschränkend arbeiten, dass sie sich an teilweise widersprüchliche nationale Gesetze halten müssen.
Wie ließe sich das lösen?
Das hätte sich durch ein einheitliches europäisches Urheberrecht lösen lassen, also durch eine Verordnung. Das war damals in der Diskussion, aber die EU-Kommission hat sich dagegen entschieden und nur eine Richtlinie vorgeschlagen, deren Details jedes EU-Land anders umsetzen kann. Und wir haben weiter lauter kleine Spezialregeln: Die Musikindustrie bekommt Artikel 17, der die Uploadfilter ermöglicht. Die Presseverlage bekommen das Leistungsschutzrecht und die Bibliotheken das Recht, Kopien von Werken in ihren Beständen anzulegen. Nur die Nutzerinnen und Nutzer bekommen nichts.
Und die 20-Sekunden-Regelung wird die dann nur in Deutschland gelten?
Eine schwierige Frage. Es könnte darauf hinauslaufen, dass sie tatsächlich nur in Deutschland gilt – in anderen Ländern müssten Plattformen diese Nutzungen dann womöglich geoblocken. Aber ob das tatsächlich so kommt, das werden wohl Gerichte klären müssen. Am besten wäre es, wenn andere EU-Länder sich an dem Vorschlag ein Beispiel nehmen und vergleichbare Regelungen einführen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus