Kommentar Anschläge in der Türkei: Erdoğans Kalkül muss nicht aufgehen
Immer schärfer bekriegen sich PKK und Erdoğan. Die HDP sollte sich beiden verweigern – und könnte bei der Neuwahl für eine Überraschung sorgen.
D er Montag war besonders blutig in der Türkei. Bei Anschlägen in Istanbul und im kurdischen Südosten des Landes starben mindestens neun Menschen, Dutzende wurden verletzt. Mit den Anschlägen in Istanbul ist die Gewalt nun auch in den Metropolen im Westen des Landes angekommen. Es steht zu befürchten, dass das Attentat auf die Polizeistation im Istanbuler Vorort Sultanbeyli nicht das letzte in den Großstädten war.
Alle Aufrufe, die Waffen niederzulegen und zum Dialog zurückzukehren, sind, so scheint es jedenfalls, bislang von denen, die darüber zu entscheiden haben, ignoriert worden. Dabei wissen alle, dass der Konflikt zwischen der PKK und der Regierung mit Bomben auf PKK-Lager und Attentaten auf Polizei und Militär nicht gelöst werden kann. Früher oder später muss wieder verhandelt werden.
Der Zeitpunkt, wann das sein wird, hängt nicht von militärischen, sondern von politischen Erwägungen ab. Wenn in Ankara nicht noch ein kleines politisches Wunder geschieht, bewegt die Türkei sich auf Neuwahlen im Herbst zu. Präsident Recep Tayyip Erdoğan will es noch einmal wissen, seiner Meinung nach war der Verlust der Regierungsmehrheit ein Betriebsunfall, der korrigiert werden muss.
Aber auch die PKK scheint mit der so stark gewordenen HDP und ihrem charismatischen Chef Selahattin Demirtaş ein Problem zu haben, sonst würde sie Erdoğan nicht so viele Gelegenheiten geben, Demirtaş als „Terroristen“ zu denunzieren.
Doch sowohl Erdoğan als auch die PKK-Führung könnten bei Neuwahlen eine Überraschung erleben. Die meisten türkischen WählerInnen, das zeigen die Umfragen, durchschauen das Kalkül. Wenn Demirtaş sich überzeugend von der Gewalt distanziert, auch von der der PKK, wird die HDP erneut über die Zehnprozenthürde kommen und Erdoğans AKP hätte wenig Chancen, die absolute Mehrheit zurückzugewinnen. Doch bevor es so weit ist, wird es vermutlich noch viele Tote geben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Treffen in Riad
Russland und USA beschnuppern sich vorsichtig