Jüdische Antifaschistinnen aus Berlin: Nieder mit Hitler
Über die Widerstandskämpferin Eva Mamlok und ihre Genossinnen war lange wenig bekannt. Eine Gruppe Forschende will ihre Geschichte ans Licht bringen.
Wahrscheinlich war sie noch keine 14 Jahre alt, als sich Eva Mamlok heimlich Zutritt zum Dach eines der größten Berliner Kaufhäuser verschaffte. 1932 könnte das gewesen sein. Zu dieser Zeit lieferten sich Linke und Nationalsozialisten blutige Straßenschlachten. Hitler kandidierte für die Wahl des Reichspräsidenten und Juden wurden immer heftiger offen angefeindet.
Mit weißer Farbe schrieb Eva Mamlok die Parole „Nieder mit Hitler!“ auf das Dach des Warenhaus Tietz am heutigen Mehringdamm in Kreuzberg, unweit der Wohnung, in der sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester lebte. Sie wurde erwischt und verhaftet, kam aber nach einigen Tagen wieder frei, möglicherweise weil sie noch nicht strafmündig war.
Die Geschichte der jüdischen Antifaschistin Eva Mamlok lässt sich nur lückenhaft erzählen, denn nur vereinzelte Dokumente sind überliefert, wenige aus ihrem Kreis haben die Schoah überlebt. Von ihrer ersten bekannten Widerstandsaktion auf dem Kaufhaus Tietz erfahren wir nur von ihrer Freundin und Genossin Inge Berner. Sie erinnert sich in einem Interview von 1997 an Eva Mamlok: „Sie war zwei Jahre älter als ich, aber sie hatte schon ein ganzes Leben hinter sich.“
Die Dreigroschenoper
Die beiden lernten sich Anfang 1941 in der Kreuzberger Schraubenfabrik Butzke kennen, wo sie Zwangsarbeit verrichten mussten. „Ich habe noch nie jemanden wie sie getroffen. Sie war sehr schön, sehr lustig und hat immer gesungen, sie kannte die gesamte Dreigroschenoper auswendig und sang bei der Arbeit an der Drehbank.“
„Gruppe Eva Mamlok – Widerstandsgeschichten“: FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum, bis 22. September 2024.
18. August, 15 Uhr: Führung mit Miriam Visaczki und Alexandra Weltz-Rombach zum Thema (Jüdische) Jugendorganisationen und Jüdische Zwangsarbeit
31. August, 14-18 Uhr: Poesie-Workshop
7. September, 15 Uhr: Führung für sehbehinderte und blinde Menschen
8. September, 15 Uhr: Führung auf Englisch
19. September, 18 Uhr Abschlussveranstaltung
21. September, 15 Uhr Kuratorinführung
Inge Berner schloss sich der antifaschistischen Gruppe jüdischer Frauen an, die Eva Mamlok anführte. Gemeinsam verteilten sie Flugblätter und schrieben Parolen an Hauswände.
Die Ausstellung „Gruppe Eva Mamlok – Widerstandsgeschichten“ im Berliner FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum widmet sich nun den jungen Frauen aus dem Kiez. Kuratorin Alexandra Weltz-Rombach legt bei der Führung durch die Ausstellung als erstes eine Schallplatte mit Bertolt Brechts Dreigroschenoper auf.
„Das ist die Originalaufnahme der Erstaufführung von 1930, also wahrscheinlich genau das, was Eva Mamlok und Inge Berner damals gehört haben“, erklärt sie. Die Musik läuft im Hintergrund, während sie erzählt, dass die Ausstellung aus einer längeren Recherche hervorgegangen ist.
Forschung aus eigenem Antrieb
Gemeinsam mit Jutta Faehndrich, Miriam Visaczki und Miklas Weber sucht Weltz-Rombach seit zwei Jahren nach Informationen über das Leben Eva Mamloks. Die Gruppe habe sich ursprünglich über Social Media gefunden und dann immer enger zusammengearbeitet. „Wir sind Historiker:innen, unsere Forschung ist aber nicht akademisch sondern von zivilgesellschaftlichem Interesse geleitet.“
Die Ausstellung ist in vereinfachter Sprache verfasst, ergänzend gibt es ein Programm mit vertiefenden Vorträgen. Zwischen den im Raum verteilten Textbausteinen und Fotos gibt es immer wieder leere Stellen, sie symbolisieren die Lücken im Wissen über die Widerstandsgruppe.
Eine Gruppe mit dem Namen Eva Mamlok gab es im Übrigen wahrscheinlich nie. „Das ist eine Setzung von uns“, erklärt Alexandra Weltz-Rombach. „Wir wissen, dass es diesen widerständigen Kreis an jungen Frauen um Eva Mamlok gab. Aber ob sie sich als Gruppe definiert haben und ob sie sich einen Namen gegeben haben, das konnten wir bisher nicht herausfinden.“
Ungebrochen aufmüpfig
Während christlich-bürgerlicher Widerstand in der deutschen Erinnerungskultur fest verankert ist, ist über jüdischen Widerstand bis heute wenig bekannt. „Hätte es das Interview mit Inge Berner nicht gegeben, hätten wir womöglich nicht von den Aktionen Eva Mamloks und ihrer Genossinnen erfahren. Es gab in dem Freundeskreis um Inge Berner auch Überschneidungen zur Gruppe Herbert Baum. Ob das ein großer Freundeskreis war, wissen wir allerdings nicht“, sagt Alexandra Weltz-Rombach.
Bekannt ist jedoch, dass Eva Mamlok im November 1934, mit 16 Jahren, auf dem Berliner Friedhof der Sozialisten erneut festgenommen wurde, als sie Blumen auf die Gräber von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht niederlegte. Daraufhin war sie ein halbes Jahr lang im niedersächsischen KZ Moringen inhaftiert.
In den ausführlichen Akten aus dieser Zeit wird sie als „staatsfeindlich“ bezeichnet. Aus ihnen geht hervor, dass Eva Mamlok der Sozialistischen Arbeiterjugend angehörte. Sie soll sich gegenüber dem Gefängnispersonal aufmüpfig verhalten und auf dem Hof bei den Kommunistinnen gestanden haben, sodass ihre Internierungszeit verlängert wurde. „Es scheint, als habe sie sich nicht brechen lassen“, sagt Alexandra Weltz-Rombach.
Verbotene Bücher
Später, als sie Zwangsarbeit leisten mussten, verliehen Eva Mamlok und Inge Berner heimlich Bücher, unter anderem an einen interessierten deutschen Vorarbeiter. Als dieser von einem anderem Mitarbeiter aus Butzkes Schraubenfabrik verraten wurde, wurden die verbotenen Bücher gefunden. In ihnen befand sich noch Inge Berners Ex Libris. Im September 1941 wurden Eva Mamlok, Inge Berner und Inge Lewinsohn, eine weitere Zwangsarbeiterin bei Butzke, verhaftet.
Eva Mamlok war inzwischen Mutter geworden. Sie musste sich von ihrer unehelichen Tochter Tana verabschieden, die beiden sahen sich nie wieder. Nach vier Monaten Haft in Berlin wurde Eva Mamlok im Januar 1942 gemeinsam mit Inge Berner in das Ghetto Riga deportiert.
Wenige Monate vorher war ein Großteil der lettischen Juden im Getto bei einem Massaker ermordet worden. In deren Behausungen mussten die Neuankömmlinge einziehen. Inge Berner und Eva Mamlok teilten sich ein Zimmer, gemeinsam mit drei von Inge Berners Verwandten.
Eine Kamera im Kuchen
Laut Berner waren die beiden Frauen im Getto neben der schweren körperlichen Zwangsarbeit weiterhin im Widerstand aktiv. Unter anderem organisierten sie eine Kamera für eine Untergrundgruppe, zu der Eva Mamlok Kontakt aufgenommen hatte.
Der Recherchegruppe zu Eva Mamlok ist es ein besonderes Anliegen, noch mehr über diese Geschichte herauszufinden, erklärt Alexandra Weltz-Rombach: „Die Minikamera wurde in einem Kuchen ins Getto geschmuggelt. Wir haben nach Bildern geforscht, die von ihr stammen könnten. Bisher konnten wir aber noch nichts eindeutig identifizieren. Inge Berner können wir nicht mehr fragen, sie ist 2012 gestorben.“
Die Forschung der Gruppe sei aber auch noch nicht abgeschlossen. „Bisher kam immer, wenn wir dachten, eine Spur sei kalt, von irgendwo wieder ein neuer Hinweis.“
KZ Stutthof
Inge Berner und Eva Mamlok wurden im Herbst 1944 aus Riga ins KZ Stutthof deportiert und voneinander getrennt. Inge Berner erinnert sich an die Zustände in Stutthof: „Das erste, was wir sahen, war ein Berg von Schuhen. Es war ein riesiger Kegel, alles Schuhe. Wir dachten, Riga und Kaiserwald waren schlimm, aber das ist das Ende. Wir trafen dort Leute, die wir in Riga gekannt hatten. Wir erkannten sie nicht mehr.“
Die beiden Freundinnen trafen sich nicht wieder. Am 23. Dezember 1944 starb Eva Mamlok im KZ Stutthof. Ihre vierjährige Tochter Tana war bereits zwei Jahre zuvor alleine aus Berlin nach Auschwitz-Birkenau deportiert und ermordet worden.
Inge Berner konnte einen Monat später gemeinsam mit einer Freundin von einem Todesmarsch fliehen. Sie schlugen sich in den Wäldern durch und schafften es quer durch Europa im Sommer 1945 wieder zurück nach Berlin zu gelangen. In dem Interview von 1997 erzählt Inge Berner, wie sie die in Trümmer zerlegte Stadt zum ersten Mal sah. Es habe sich gut angefühlt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“