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Jour­na­lis­t*in­nen in SyrienSie werden nicht verstummen

Im Arabischen Frühling haben sich in Syrien neue, unabhängige Medien gegründet. Trotz des Kriegs sind viele noch aktiv. Wie frei können sie berichten?

Gefährlicher Job: Journalist*innen, die über die Präsidentschaftswahl 2021 in Syrien berichteten Foto: Youssef Badawi/epa

Beirut taz | Von Zeit zu Zeit fragt der syrische Geheimdienst die Cousins von Ammar Yaser Hamou nach ihm aus. Seine Familie in der Stadt Douma in der Ost-Ghouta wird von den Sicherheitsbehörden befragt, weil ihr Verwandter als Journalist arbeitet.

Syrien ist eines der gefährlichsten Länder für Medienschaffende. Im Krieg wurden mehr Jour­na­lis­t*in­nen getötet als in bislang jedem anderen Konflikt weltweit. Reporter ohne Grenzen hat seit 2011 mindestens 300 Medienschaffende gezählt, die von einer der vielen Konfliktparteien ermordet wurden. Möglicherweise sind es sogar deutlich mehr. Das Syrische Menschenrechtsnetzwerk sprach 2020 von mehr als 700. Laut Reporter ohne Grenzen wurden mehr als 300 verhaftet und sind fast 100 Verhaftete oder Entführte verschwunden.

Trotzdem gibt es in Syrien einige Jour­na­lis­t*in­nen und außerhalb des Lands Hunderte syrische Medienschaffende. Wie verlässlich und kritisch können sie über die komplexe Situation berichten?

Jour­na­lis­t*in­nen berichten anonym

Hamou ist leitender Redakteur von Syria Direct. Die Nachrichtenplattform besteht seit 2013, das Team möchte „eine demokratische und gerechte Zukunft für das syrische Volk fördern“. Fünf Voll­zeit­jour­na­lis­t*in­nen arbeiten für Syria Direct, zusätzlich zu vier Aus­län­de­r*in­nen und acht Journalist*innen, die frei mitarbeiten.

Sie berichten über Syrer*innen, die vom Regime eingesperrt, gefoltert oder ermordet werden. Sie verfolgten die Covid-19-Entwicklungen in Syrien und hinterfragten, ob Impfstoff gerecht verteilt würde. Sie schreiben über Wassermangel im Nordosten und Benzinschmuggel im Nordwesten des Lands. Sie informieren auch über die Diaspora. Darüber beispielsweise, dass Dänemark Sy­re­r*in­nen die Aufenthaltsgenehmigung entzieht, weil Teile Syriens sicher für eine Rückkehr seien.

„Wir haben viele Standards, um die Sicherheit von Jour­na­lis­t*in­nen zu gewährleisten“, sagt Hamou der taz. „Wir bei Syria Direct bitten Jour­na­lis­t*in­nen innerhalb Syriens nicht, Fotos von Bombenangriffen oder Zusammenstößen zu machen, und wir schützen die Journalist*innen, die mit uns zusammenarbeiten, indem wir ihre Identität verbergen und ihre Standorte nicht angeben. Wir organisieren von Zeit zu Zeit auch Schulungen zur Informationssicherheit und zum Umgang mit VPN.“ Damit können die Jour­na­lis­t*in­nen geschützte Netzwerkverbindungen aufbauen und im Internet surfen, ohne rückverfolgt zu werden. Mehr als 220 Menschen hat Syria Direct geschult.

Bedrohung von allen Seiten

Der Krieg in Syrien ist nicht vorbei, auch wenn die Kriegshandlungen nachgelassen haben. Machthaber Baschar al-­Assad kontrolliert zwei Drittel des Lands, darunter auch Damaskus. Die Provinz Idlib, als letzte Rebellenbastion, wird zu großen Teilen vom islamisch-extremistischen Milizenbündnis Ha’iat Tahrir al-Scham kontrolliert. Der Nordosten des Lands ist unter kurdischer Verwaltung. Dort verüben Extremisten des sogenannten Islamischen Staats weiterhin Angriffe, vor allem auf Gefängnisse. Auch die Türkei geht militärisch gegen die Kur­d*in­nen vor. Zudem bombardiert Israels Luftwaffe regelmäßig Ziele in Syrien.

Im Regimegebiet sind Medien auf die machtvolle staatliche Nachrichtenagentur SANA angewiesen. Obwohl auch die sozialen Medien staatlich kontrolliert werden, posten nichtstaatliche Medien ihre Inhalte dort. Doch journalistisches Training und Geld fehlen. Für Syria Direct arbeiten drei Jour­na­lis­t*in­nen aus Idlib in Nordwestsyrien, eine Journalistin arbeitet unter einem fiktiven Namen. Sie alle leiden unter den Behörden, sagt Hamou. „Zum Beispiel kann sich ein Journalist in Damaskus wegen des Regimes in Gefahr bringen, und im Nordwesten ist es nicht möglich, Hai’at Tahrir al-Scham zu kritisieren. Also schreiben Leute aus Syrien unter falschen Namen.“

In den selbstverwalteten kurdischen Gebieten scheint es um die Pressefreiheit besser zu stehen. „Im Nordosten gibt es ein Gesetz, das es Jour­na­lis­t*in­nen erlaubt, ihre Quellen zu schützen“, erzählt Radiomanagerin Sherin Ibrahim während einer Onlinekonferenz, veranstaltet von Free Press Unlimited. „Wenn du das hörst, könntest du glauben, du seist in der Schweiz“, scherzt sie. „Aber, um ein Beispiel zu geben: Unser Korrespondent hat versucht, über Proteste zu berichten. Die Verkehrspolizei hat ihn gestoppt und in das Büro der internen Sicherheit gebracht. Wir haben ein Gesetz und den Zusammenschluss der freien Presse, der Verstöße gegen die Pressefreiheit überwacht, um einen sicheren Raum für Medienarbeit zu schaffen. Doch alles hängt von der Bereitschaft der Polizei ab, davon, wie sie mit den Medien umgeht.“

Unterstützung durch internationale Geldgeber

Sherin Ibrahim arbeitet beim unabhängigen syrischen Gemeinschaftssender Arta FM. In Nordsyrien leben Kur­di*­in­nen mit Ar­me­nier*in­nen, Chris­t*in­nen und Je­si­d*in­nen zusammen. Arta FM berichtet seit 2013 als ein multiethnisches Team und produziert Programme auf Kurdisch, Arabisch und Armenisch. Fünf Transmitter in Städten im Nordosten entlang der Grenze zur Türkei senden Berichte über die Höhe der Steuern für Taxifahrende oder über die Syrienkonferenz in Brüssel.

Syriens erster kurdischsprachiger Radiosender ist wichtig in dem Land, in dem Kur­d*in­nen sonst verhaftet wurden, weil sie sich in ihrer Erstsprache unterhielten. Vor der Revolution gab es so etwas nicht. Die Medien dienten als verlängerter Arm des Regimes, und es gab nur arabischsprachige Nachrichtenagenturen. Mit den Protesten begannen auch Bür­ger­jour­na­lis­t*in­nen ohne einschlägige Ausbildung damit, wichtige Informationen zu sammeln und zu verbreiten. Mittlerweile haben unabhängige Jour­na­lis­t*in­nen einen Raum für die öffent­liche Debatte geschaffen. Sie diskutieren über soziale Tabus, die Zukunft des Lands und dessen ­zusammengebrochene Wirtschaft.

Doch können sie in ihrer Arbeit wirklich frei sein? „Ich glaube nicht, dass es freie, unabhängige Medien in Syrien gibt“, sagt Sherin Ibrahim. Ich verbinde Unabhängigkeit immer mit der Unterstützung durch europäische oder internationale Geldgeber*innen. Aber wir können nicht komplett unabhängig sein, wenn wir internationale Gelder oder Gelder von Privatpersonen bekommen. Aber es gibt Menschen, die mit geringen Mitteln einen Unterschied zu machen versuchen.“

Restriktionen auch im Ausland

Auch Syria Direct wird von internationalen Organisationen finanziert, unter anderem der GIZ und der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Ge­be­r*in­nen haben keinen redaktionellen Einfluss. Auch wenn die Redaktion außerhalb Syriens agiert, hat sie mit Restriktionen gegen die Presse zu kämpfen. Die Redaktion von Syria Direct arbeitete lange vor allem aus Jordanien heraus.

„Im Juli 2021 bat uns der jordanische Geheimdienst, unsere Büros in Amman zu schließen, also beantragten wir Asyl in Europa. Derzeit leben syrische Journalist*innen, die früher in Jordanien gearbeitet haben, in Frankreich, und wir haben ein Büro in Berlin eröffnet“, so Hamou. Der Grund für den Druck sei, dass Jordanien wieder Beziehungen zum syrischen Regime aufnehme.

Sherin Ibrahim von Arta FM ist trotz allem optimistisch: „In den letzten Jahren haben wir schwierigeren Situationen standgehalten“, sagt sie. „Wir arbeiten derzeit daran, die Stabilität im Land zu stützen, indem wir marginalisierten Gruppen die Möglichkeit geben, sich zu äußern. Wir versuchen Menschen zur Rechenschaft zu ziehen und Fälle von Korruption aufzudecken. Wir sind davon überzeugt, dass Frieden aufgebaut werden muss und nicht von außen auferlegt werden kann. Und um ein wirklich unabhängiges Medium zu sein und an der Friedensbildung zu arbeiten, müssen wir sicherstellen, dass alle Parteien vertreten sind und wir alle Perspektiven wiedergeben.“

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1 Kommentar

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  • Bitte den Reset-Knopf für den Libanon drücken. Einzige Chance.



    Oder eine Kontrolle durch ausländische Spezialisten.



    Hat man das nicht in einem der Balkan-Länder praktiziert?

    Die Zeiten, in denen jeder D-Kerl sein ergaunertes Geld auf libanesischen Banken deponieren konnte, sind zum Glück vorbei - wie in der Schweiz. Aber genau diese Zeiten werden als glanzvoll gesehen.