Journalist*innen in Syrien: Sie werden nicht verstummen
Im Arabischen Frühling haben sich in Syrien neue, unabhängige Medien gegründet. Trotz des Kriegs sind viele noch aktiv. Wie frei können sie berichten?
Syrien ist eines der gefährlichsten Länder für Medienschaffende. Im Krieg wurden mehr Journalist*innen getötet als in bislang jedem anderen Konflikt weltweit. Reporter ohne Grenzen hat seit 2011 mindestens 300 Medienschaffende gezählt, die von einer der vielen Konfliktparteien ermordet wurden. Möglicherweise sind es sogar deutlich mehr. Das Syrische Menschenrechtsnetzwerk sprach 2020 von mehr als 700. Laut Reporter ohne Grenzen wurden mehr als 300 verhaftet und sind fast 100 Verhaftete oder Entführte verschwunden.
Trotzdem gibt es in Syrien einige Journalist*innen und außerhalb des Lands Hunderte syrische Medienschaffende. Wie verlässlich und kritisch können sie über die komplexe Situation berichten?
Journalist*innen berichten anonym
Hamou ist leitender Redakteur von Syria Direct. Die Nachrichtenplattform besteht seit 2013, das Team möchte „eine demokratische und gerechte Zukunft für das syrische Volk fördern“. Fünf Vollzeitjournalist*innen arbeiten für Syria Direct, zusätzlich zu vier Ausländer*innen und acht Journalist*innen, die frei mitarbeiten.
Sie berichten über Syrer*innen, die vom Regime eingesperrt, gefoltert oder ermordet werden. Sie verfolgten die Covid-19-Entwicklungen in Syrien und hinterfragten, ob Impfstoff gerecht verteilt würde. Sie schreiben über Wassermangel im Nordosten und Benzinschmuggel im Nordwesten des Lands. Sie informieren auch über die Diaspora. Darüber beispielsweise, dass Dänemark Syrer*innen die Aufenthaltsgenehmigung entzieht, weil Teile Syriens sicher für eine Rückkehr seien.
„Wir haben viele Standards, um die Sicherheit von Journalist*innen zu gewährleisten“, sagt Hamou der taz. „Wir bei Syria Direct bitten Journalist*innen innerhalb Syriens nicht, Fotos von Bombenangriffen oder Zusammenstößen zu machen, und wir schützen die Journalist*innen, die mit uns zusammenarbeiten, indem wir ihre Identität verbergen und ihre Standorte nicht angeben. Wir organisieren von Zeit zu Zeit auch Schulungen zur Informationssicherheit und zum Umgang mit VPN.“ Damit können die Journalist*innen geschützte Netzwerkverbindungen aufbauen und im Internet surfen, ohne rückverfolgt zu werden. Mehr als 220 Menschen hat Syria Direct geschult.
Bedrohung von allen Seiten
Der Krieg in Syrien ist nicht vorbei, auch wenn die Kriegshandlungen nachgelassen haben. Machthaber Baschar al-Assad kontrolliert zwei Drittel des Lands, darunter auch Damaskus. Die Provinz Idlib, als letzte Rebellenbastion, wird zu großen Teilen vom islamisch-extremistischen Milizenbündnis Ha’iat Tahrir al-Scham kontrolliert. Der Nordosten des Lands ist unter kurdischer Verwaltung. Dort verüben Extremisten des sogenannten Islamischen Staats weiterhin Angriffe, vor allem auf Gefängnisse. Auch die Türkei geht militärisch gegen die Kurd*innen vor. Zudem bombardiert Israels Luftwaffe regelmäßig Ziele in Syrien.
Im Regimegebiet sind Medien auf die machtvolle staatliche Nachrichtenagentur SANA angewiesen. Obwohl auch die sozialen Medien staatlich kontrolliert werden, posten nichtstaatliche Medien ihre Inhalte dort. Doch journalistisches Training und Geld fehlen. Für Syria Direct arbeiten drei Journalist*innen aus Idlib in Nordwestsyrien, eine Journalistin arbeitet unter einem fiktiven Namen. Sie alle leiden unter den Behörden, sagt Hamou. „Zum Beispiel kann sich ein Journalist in Damaskus wegen des Regimes in Gefahr bringen, und im Nordwesten ist es nicht möglich, Hai’at Tahrir al-Scham zu kritisieren. Also schreiben Leute aus Syrien unter falschen Namen.“
In den selbstverwalteten kurdischen Gebieten scheint es um die Pressefreiheit besser zu stehen. „Im Nordosten gibt es ein Gesetz, das es Journalist*innen erlaubt, ihre Quellen zu schützen“, erzählt Radiomanagerin Sherin Ibrahim während einer Onlinekonferenz, veranstaltet von Free Press Unlimited. „Wenn du das hörst, könntest du glauben, du seist in der Schweiz“, scherzt sie. „Aber, um ein Beispiel zu geben: Unser Korrespondent hat versucht, über Proteste zu berichten. Die Verkehrspolizei hat ihn gestoppt und in das Büro der internen Sicherheit gebracht. Wir haben ein Gesetz und den Zusammenschluss der freien Presse, der Verstöße gegen die Pressefreiheit überwacht, um einen sicheren Raum für Medienarbeit zu schaffen. Doch alles hängt von der Bereitschaft der Polizei ab, davon, wie sie mit den Medien umgeht.“
Unterstützung durch internationale Geldgeber
Sherin Ibrahim arbeitet beim unabhängigen syrischen Gemeinschaftssender Arta FM. In Nordsyrien leben Kurdi*innen mit Armenier*innen, Christ*innen und Jesid*innen zusammen. Arta FM berichtet seit 2013 als ein multiethnisches Team und produziert Programme auf Kurdisch, Arabisch und Armenisch. Fünf Transmitter in Städten im Nordosten entlang der Grenze zur Türkei senden Berichte über die Höhe der Steuern für Taxifahrende oder über die Syrienkonferenz in Brüssel.
Syriens erster kurdischsprachiger Radiosender ist wichtig in dem Land, in dem Kurd*innen sonst verhaftet wurden, weil sie sich in ihrer Erstsprache unterhielten. Vor der Revolution gab es so etwas nicht. Die Medien dienten als verlängerter Arm des Regimes, und es gab nur arabischsprachige Nachrichtenagenturen. Mit den Protesten begannen auch Bürgerjournalist*innen ohne einschlägige Ausbildung damit, wichtige Informationen zu sammeln und zu verbreiten. Mittlerweile haben unabhängige Journalist*innen einen Raum für die öffentliche Debatte geschaffen. Sie diskutieren über soziale Tabus, die Zukunft des Lands und dessen zusammengebrochene Wirtschaft.
Doch können sie in ihrer Arbeit wirklich frei sein? „Ich glaube nicht, dass es freie, unabhängige Medien in Syrien gibt“, sagt Sherin Ibrahim. Ich verbinde Unabhängigkeit immer mit der Unterstützung durch europäische oder internationale Geldgeber*innen. Aber wir können nicht komplett unabhängig sein, wenn wir internationale Gelder oder Gelder von Privatpersonen bekommen. Aber es gibt Menschen, die mit geringen Mitteln einen Unterschied zu machen versuchen.“
Restriktionen auch im Ausland
Auch Syria Direct wird von internationalen Organisationen finanziert, unter anderem der GIZ und der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Geber*innen haben keinen redaktionellen Einfluss. Auch wenn die Redaktion außerhalb Syriens agiert, hat sie mit Restriktionen gegen die Presse zu kämpfen. Die Redaktion von Syria Direct arbeitete lange vor allem aus Jordanien heraus.
„Im Juli 2021 bat uns der jordanische Geheimdienst, unsere Büros in Amman zu schließen, also beantragten wir Asyl in Europa. Derzeit leben syrische Journalist*innen, die früher in Jordanien gearbeitet haben, in Frankreich, und wir haben ein Büro in Berlin eröffnet“, so Hamou. Der Grund für den Druck sei, dass Jordanien wieder Beziehungen zum syrischen Regime aufnehme.
Sherin Ibrahim von Arta FM ist trotz allem optimistisch: „In den letzten Jahren haben wir schwierigeren Situationen standgehalten“, sagt sie. „Wir arbeiten derzeit daran, die Stabilität im Land zu stützen, indem wir marginalisierten Gruppen die Möglichkeit geben, sich zu äußern. Wir versuchen Menschen zur Rechenschaft zu ziehen und Fälle von Korruption aufzudecken. Wir sind davon überzeugt, dass Frieden aufgebaut werden muss und nicht von außen auferlegt werden kann. Und um ein wirklich unabhängiges Medium zu sein und an der Friedensbildung zu arbeiten, müssen wir sicherstellen, dass alle Parteien vertreten sind und wir alle Perspektiven wiedergeben.“
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