Journalistin über Gewalt in Mexiko: „Ich arbeite weiter“
Das Gros der tödlichen Gewalt gehe in Mexiko vom Staat aus, sagt die im Exil lebende Journalistin Anabel Hernández. Sie aber lässt sich nicht einschüchtern.
taz: Frau Hernández, Sie leben seit 2014 im Ausland, mussten Mexiko aufgrund der Angriffe auf Sie und Ihre Familie verlassen. Haben Sie je versucht zurückzukehren?
Anabel Hernández: Ja, 2016 habe ich einen Versuch unternommen. Damals aber meine Kinder, meine Familie außerhalb von Mexiko gelassen, um kein Risiko einzugehen. Ich habe versucht, erneut in Mexiko zu leben, aber es gab massive Angriffe gegen mich – es hatte keinen Sinn.
Wie ist Ihre derzeitige Situation?
Ich lebe in Europa und habe während des mir auferlegten Exils gelernt, meine Arbeit nicht aufzugeben. Das unterscheidet mich von vielen Kollegen, die ins Exil gezwungen werden. Sie verstummen – und das ist ein doppeltes Dilemma für den Journalismus. Ich habe weitergearbeitet und finanziere meine Recherchen vor allem durch meine Bücher und berichte für die Aristegui Noticias.
Wozu arbeiten Sie derzeit?
Ein roter Faden, der sich durch meine Arbeit zieht, ist die organisierte Kriminalität in Mexiko und ihre Verbindungen zu den obersten Etagen der Politik.
Jahrgang 1971, lebt seit 2014 in Europa, nachdem Bewaffnete ihr Haus stürmten. 2019 erhielt sie den Freedom of Speech Award.
Mexiko ist das gefährlichste Land für Journalisten weltweit. 19 Morde gab es allein in diesem Jahr. Von wem geht diese Gewalt aus?
Studien von Reporter ohne Grenzen oder Articulo 19 belegen, dass das Gros der Gewalt von staatlichen Institutionen ausgeht. Die Journalist*innen geraten in eine Sandwichsituation: auf der einen Seite die staatlichen Akteure, auf der anderen die Kartelle. Von beiden werden sie bedroht, weil sie die Verflechtungen zwischen beiden aufdecken. Beide Seiten haben kein Interesse daran, dass die Bevölkerung informiert ist, dass sie die Wahrheit erfährt. Das ist der zentrale Grund, weshalb wir mit Gewalt mundtot gemacht werden sollen.
Welche Rolle spielt die Straflosigkeit, das Versagen der Justiz?
Das ist das zweite zentrale Element. In Mexiko gibt es eine Straflosigkeitsquote von 96 Prozent, viele Verbrechen, auch und gerade Kapitalverbrechen wie der Mord an den 43 Studenten von Ayotzinapa oder die Korruption von hochrangigen Politikern, bleiben ungeahndet, weil es eine Interessengemeinschaft gibt. In vielen Fällen sind es die Journalist*innen, die auf die Defizite bei den Ermittlungen hinweisen.
Seit Ende 2018 ist Präsident Andrés Manuel López Obrador im Amt. Hat sich an der Situation seitdem etwas geändert?
Nein. Für 98 Prozent der Gewaltverbrechen an Journalist*innen werden keine Strafen verhängt. Das ist ein Freifahrschein. Die Hoffnungen wurden enttäuscht.
Wie würden Sie Ihre Situation im Exil beschreiben?
Für mich ist das Exil sehr ambivalent: Auf der einen Seite fühle ich mich sicher, auf der anderen Seite wie amputiert. Ich musste mein Land verlassen, meine Freunde, mein Haus, meine Wurzeln – das ist ein schrecklicher Einschnitt in meinem Leben. Jedes Mal wenn ich nach Mexiko zurückkehre, um zu recherchieren, sage ich mir: Okay, diese Leute haben es geschafft, mich aus Mexiko zu vertreiben, aber sie haben es nicht geschafft, mich mundtot zu machen. Für mich ist das Exil die einzige Weise, wie mein Journalismus überleben kann. Es ist zynisch, aber das Exil ist die einzige Chance, den Kräften, die Mexiko kontrollieren, ein Schnippchen zu schlagen. Mexiko zu verlassen war für mich die einzige Option, um Mexiko weiterhin nah zu sein.
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