Journalist verbrennt seine Erinnerungen: Der alte Mann und die Flammen
Miguel Herberg war dabei, als in Chile 1973 das Militär die Macht übernahm. Er sah geheime Gefangenenlager und interviewte als erster Journalist Augusto Pinochet.
Die Szene hat etwas Gespenstisches. Flammen züngeln in der kühlen Nachtbrise. Der struppige, weiße Bart und das wilde Haar von Miguel Herberg leuchten im Widerschein des Feuers. Miguel wirft ein Papier nach dem anderen in die Flammen. „Meine Beweise gegen die Generäle in Chile. Keiner will sie seit 30 Jahren. Ab ins Feuer!“ ruft er. „Mein Interview mit einem der Putschisten. Niemand zeigt Interesse. In die Flammen!“ Herberg bewegt sich agil. Seinen Stock hat er irgendwo vergessen.
Qualm steigt auf über dem Dorfplatz von Morille, immer wieder sind darin Gesichter zu erahnen. Es sind Projektionen der Filmaufnahmen, die Herberg 1974, kein Jahr nach dem Militärputsch unter General Augusto Pinochet gegen die chilenische Volksfrontregierung von Salvador Allende, in den Konzentrationslagern von Pisagua und Chacabuco im Norden des Landes gedreht hat.
Ein einmaliges Zeugnis, das vielen der Insassen das Leben rettete. Die originalen Filmrollen werden am Morgen nach der Verbrennung zusammen mit der Asche auf dem Kunstfriedhof von Morille bei Salamanca in Westspanien, einem 200-Seelen-Dorf, beerdigt. „Die Erinnerung ist vergänglich wie der Rauch, wenn wir sie nicht pflegen“, erklärt der Alte. Dann schickt er weitere Zeugnisse, die zuvor eine Woche lang in einer Galerie in Salamanca ausgestellt waren, in die Flammen. Ein tief im Stolz gekränkter Künstler, ein unbeugsamer Berufsrevolutionär, ein moderner Don Quijote – Herberg ist das alles.
1943, nur vier Jahre nach Ende des Spanischen Bürgerkrieges in Madrid geboren, büxte er mit 13 von zu Hause aus und reiste als Anhalter zum Nordkap. Als junger Erwachsener zog es ihn nach Hollywood, wo er „als Assistent vom Assistenten vom Assistenten“ in der Filmbranche anfing. 1968 war Herberg mit einer Kamera auf den Barrikaden in Paris. Als ihn die Franzosen abschoben, ging er nach Italien. Nach Spanien, wo General Franco mit eiserner Faust regierte, konnte der überzeugte Anarchist nicht.
geboren 1943 in Madrid, büxte mit 13 Jahren von zu Hause aus und reiste per Anhalter ans Nordkap. Als junger Erwachsener arbeitete er in Hollywood, 1968 filmte er die Studentenunruhen in Paris. Geprägt haben ihn vor allem seine Reisen nach Chile. Dort dokumentierte er mit seiner Kamera den Schrecken der Militärdiktatur unter Pinochet.
Die Bilder werden beerdigt
In Rom lernte er Roberto Rossellini kennen, begann für dessen Orizzonte 2000 und das staatliche Fernsehen RAI zu arbeiten. „Eritrea, Südafrika, Vietnam … wir machten politische Filme“, erinnert sich Herberg. Es waren die Jahre, in denen die Kommunistische Partei Italiens (PCI) im Kulturbetrieb den Ton angab. Auch Rossellini und Herberg bewegten sich in deren unmittelbarem Umfeld. Nichts hat Herberg so geprägt wie seine Chile-Reisen. Siebenmal war er in den 1970er Jahren dort. Er erlebte die Volksfront unter Allende und die Repression unmittelbar nach dem Putsch vom 11. September 1973 durch Pinochet. Es ist wertvolles Filmmaterial, das damals entstand und nun mit der Asche der Dokumente und der Fotos, die Herberg mit seiner ständigen Begleiterin – einer alten, abgegriffenen Spiegelreflexkamera schoss – beerdigt wird.
„Rosselini hatte Allende interviewt“, sagt Herberg. „Er kam besorgt zurück. Die Rechte bereite einen Putsch vor.“ Es entstand die Idee, mit der Kamera in der Hand zu recherchieren. „Die PCI bat die Regierung der DDR um finanzielle Unterstützung“, sagt Herberg – in Deutsch. Er beherrscht die Sprache seines Großvaters so gut, dass er einst für das Neue Deutschland und andere ostdeutsche Blätter aus Rom berichtete.
Herberg freundete sich mit chilenischen Generälen und Führern der rechten Parteien an: „Du kennst einen, das öffnet dir die Türen zum nächsten, und so weiter.“ Bereitwillig standen sie vor laufender Kamera Rede und Antwort. Nach dem Staatsstreich interviewte Herberg als Erster General Pinochet. Er bekam von ihm die Genehmigung, überall im Land herumzufliegen. Im Norden schließlich erlaubte ihm der zuständige General Joaquín Lagos, die geheimen Gefangenenlager zu besuchen. „Ich hatte ihm gesagt, dass der Westen ungeheuerliche Anschuldigungen erhebe und ich zeigen wolle, dass dies alles nicht wahr sei“, sagt Herberg und schmunzelt dabei.
Im Armeehubschrauber flog er nach Chacabuco, wo die Männer einsaßen, und ins Frauenlager nach Pisagua. „Ich fragte so viele Insassen wie möglich nach Namen und Datum ihrer Verschleppung, filmte und fotografierte dies“, erzählt Herberg. Diese Dokumente retteten vielen das Leben. „Einmal veröffentlicht, konnte keiner mehr behaupten, sie seien einfach verschwunden.“
„Ich habe mein Material jahrelang vergebens unterschiedlichen Institutionen in Chile angeboten“, sagt Herberg. Weder die Stiftung Salvador Allende noch das Museum für das Erinnern in Santiago de Chile hätten Interesse gezeigt. „Chiles Linke ist nach der Diktatur längst Teil des Establishments und haben kein Interesse an der Erinnerung. Ich bin jedenfalls kein Schrank für das historische Gedächtnis eines Landes“, sagt er. Eine Warnung spricht er dann noch aus: „Es gibt Sicherheitskopien all meines Materials und Mikrofilme all jener Dokumente, die die Rolle der USA und der BRD beim Sturz von Salvador Allende betreffen. Sie liegen sicher in einem Safe.“ Die Filme könnte jederzeit wieder ausgraben und die Dokumente eingesehen werden, aber nur „vom chilenischen Volk, vertreten durch die Komitees der Exgefangenen der Konzentrationslager“, und das erst, „wenn auch die letzten Opfer von Pinochet und Franco ausgegraben worden sind“. Er knüpft das Schicksal seines Archivs an das von mindestens 3.000 Verschwundenen in Chile und 150.000 in Spanien.
Endlich Reaktionen
Die Reaktionen lassen nicht auf sich warten. Das Museum für Erinnerung zeigt plötzlich Interesse am Filmmaterial, „aber nur wenn es sich um unveröffentlichte Aufnahmen handelt“. Dahinter steckt der Vorwurf, Herberg sei gar nicht der Autor der Bilder aus den Gefangenenlagern. „Sie stammen von den Filmemachern Walter Heynowski und Gerhard Scheumann und deren Kameramann Hellmich und befinden sich in verschiedenen Archiven in Deutschland und Chile“, schreibt die Museumsleitung. Das Goethe-Institut in Santiago de Chile bestätigt dies. Herberg sei nur Übersetzer gewesen. „Ich bin Filmemacher. Hellmich war tatsächlich mein Kameramann. Wen soll ich denn übersetzt haben?“, fragt dieser. Heynowski und Scheumann waren tatsächlich nie in den Lagern.
Herberg hat sich ganz offensichtlich tief im Netz des Kalten Krieges verstrickt. „Es gab einen Vertrag zwischen mir, der PCI und der Regierung der DDR“, sagt er. Demnach fielen die Rechte für die „kapitalistische Welt“ an ihn, die für „den sozialistischen Block“ an die DDR, die die beiden Ostfilmemacher mit der Montage von Filmen beauftragte. Alte italienische Weggenossen Herbergs bestätigen dies. Ein Gericht in Rom untersagte 1975 den beiden Deutschen die Aufführung des Materials in Italien und sprach Herberg eine Kopie des Rohmaterials zu, das die DDR lange nicht herausgegeben wollte.
„Alte Geschichte“, winkt Herberg müde ab. Nachdem die letzte Schaufel Erde auf den Blechbehälter mit den Filmrollen fällt, schaut Herberg auf das Grab. „Traurig, das es so weit kommen musste“, murmelt er und macht ein letztes Foto mit seiner alten Kamera. Unter seinem rechten Arm klemmen ein paar Klarsichthüllen, die er im letzten Augenblick aus dem Sarg genommen hat. „Briefe aus Chile, die das Desinteresse belegen, Presseausweise der Volksfront und der Militärjunta, Notizbücher, in denen festgehalten ist, wo und was ich dort gedreht habe. Alles, was mir bei einer eventuellen Verleumdungsklage nützlich sein kann.“
Chile will den Alten einfach nicht loslassen.
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