Journalismus versus Aktivismus: Der Objektivitäts-Schwindel
Journalist*innen als Aktivist*innen zu diskreditieren hat Konjunktur. Aber was ist damit gemeint?
G oogelt man „Journalismus und Aktivismus“, finden sich derzeit 141.000 Ergebnisse. Es erscheinen dann Überschriften von Artikeln mit Worten wie „Idealisten“, „Fahnen runter“ oder „Haltungs-Schäden“, in denen darüber geschrieben wird, dass Journalist*innen sich mit keiner Sache gemein machen sollten. Dass sie neutral, objektiv, haltungsfrei bleiben müssen. Da wird das Eintreten für Menschenrechte schon als politische Positionierung der Autorin oder des Autors gesehen.
Das Bekennen, selbst zu einer sogenannten Minderheit zu gehören, wird als störend und zu persönlich deklariert. Kurzum, wird es unbequem für den Journalismus, der diese Überschriften fabriziert, ist schnell das Totschlagargument zur Hand, es handele sich bei den Schreibenden um Aktivist*innen, nicht Journalist*innen. Es sind oftmals ältere Journalist*innen etablierter Blätter, die diese Meinung vertreten. Die diskursiv bestimmen möchten, wo der Journalismus aufhört und so etwas wie Aktivismus anfängt. Also auch, wer dazugehört und wer nicht.
Dieser Modus der Diskreditierung sollte genauer betrachtet, also selbst Gegenstand journalistischen Schreibens werden. Denn was steckt eigentlich hinter diesem vermeintlichen Ideal des Journalismus? Und aus welcher Zeit stammt die Vorstellung, dass Haltung im Journalismus nichts zu suchen habe?
Auch wenn es zunächst wie das Totschlagargument der „anderen Seite“ klingen mag: Der Journalismus in Deutschland war die längste Zeit vor allem weiß, männlich, heterosexuell. Die Sicht dieser Majorität formte die Redaktionen, die Formate, die Diskurse. Die Perspektive sogenannter Minderheiten hatte kaum Platz in dieser Welt, wurde wahrscheinlich als unnötig gesehen, denn Journalismus muss ja neutral sein. Die marginalisierten Menschen fanden höchstens in der Außensicht statt: Dann schrieben Journalisten über diese Menschen, aus sicherer Distanz. Diskriminierung und Benachteiligung war also etwas, das man beschreiben konnte, ohne es selbst jemals erlebt zu haben. Und diese Sicht auf die Dinge wurde dann neutral genannt haltungsfrei, objektiv – normal.
Matthias Kreienbrink
hat sein Abitur auf dem Abendgymnasium nachgeholt – vorher war er Koch. Darauf studierte er Literatur- und Geschichtswissenschaft an der FU Berlin. Heute schreibt er als freier Journalist für taz, Spiegel Online, Zeit Online oder FAZ über Kultur und Gesellschaft.
Sicherlich: Journalismus muss möglichst neutral bleiben, möglichst objektiv. Er muss Dinge beschreiben, wie sie sind. Sie nicht umformen, der eigenen Narration unterwerfen, sie passend machen. Gerade in der Reportage sollten keine großen Erzählungen fabriziert werden, keine Stringenz und Zielrichtung da hineingedichtet werden, wo im wirklichen Leben der bloße Zufall herrscht. Und natürlich dürfen nicht Dinge behauptet werden, die nicht passiert sind, oder Menschen Worte in den Mund gelegt werden, die sie nicht gesagt haben. Oder die Worte, die sie gesagt haben, aus dem Kontext gezupft werden. Natürlich dürfen Journalist*innen sich nicht bezahlen lassen von den Organisationen, über die geschrieben wird. Objektivität – das sollte bedeuten, all diese Dinge nie zu vergessen.
Doch sollte dieser Journalismus auch immer mitverhandeln, dass eine hundertprozentige Objektivität nicht existiert, da ein Sachverhalt immer aus der Perspektive eines Menschen erzählt wird – der des Schreibenden. Was in der Geschichtswissenschaft längst anerkannt ist, wird im Journalismus immer noch geleugnet: Da gibt es sie noch, die absolute Objektivität.
Nun: Es gibt sie eben nicht. Und die Sicht eines Unbeteiligten, ohne Diskriminierungserfahrung, ist daher nicht wahrer als die eines Menschen, der Diskriminierung erlebt hat. Das Reflektieren dieser Perspektive kann sogar die Stärke eines modernen Journalismus sein. Wenn etwa ein queerer Mensch erkennen lässt, dass er eben nicht unbeteiligt sein kann, da der Zustand der Gesellschaft eine solche Haltung gar nicht zulässt. Oder Journalist*innen zu erkennen geben, dass sie aus einer Arbeiterfamilie kommen, dass diese Erfahrung ihre Texte nicht aktivistischer macht, sondern reicher.
Bei aller gebotenen Warnung davor, dass Journalismus auf Tatsachen basieren muss, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, auf Zeugenberichten, auf tief gehender Recherche. Bei der Diskussion des Begriffes Aktivismus, bei dessen Problematisierung, bei alldem sollten wir aufpassen, dass das Verneinen von Haltung nicht vor allem bedeutet, dass die Sicht von Menschen, die selbst Diskriminierung und Benachteiligung erlebt haben, als fehlerhaft deklariert wird, da sie subjektiv sei.
Haltungsfrei oder Privileg?
Wenn nur Menschen die Welt beschreiben sollen, die keine Angst haben müssen, da sie weiß sind oder heterosexuell, oder die selbst nie erfahren mussten, was es heißt, mit einer Behinderung zu leben. Wenn nur solche Menschen Journalismus machen, die nie zwei Nebenjobs jonglieren mussten, um sich ein Praktikum, eine Ausbildung leisten zu können. Wenn also nur die Menschen Journalismus machen sollen, die selbst komplett unbeteiligt sein können, die sich diesen Luxus auch erlauben können, da für sie selbst nichts auf dem Spiel steht – ist das dann wirklich ein differenzierter, ein reichhaltiger Journalismus? Und wenn wir diese unbeteiligte Position dann objektiv und haltungsfrei nennen, dann ist das nicht die Darstellung von „dem, was ist“, sondern Privileg.
Ist Aktivismus also der Moment, in dem Journalist*innen aus einer Position der eigenen Diskriminierungs- und Marginalisierungserfahrung schreiben, würde Journalismus bedeuten, dass weiterhin nur jene Stimmen relevant sind, die selbst nichts davon kennen. Dann wäre Journalismus weiterhin die Sicht weißer, heterosexueller Männer. Journalist*innen, die selbst anerkennen und verhandeln, dass sie Teil der Diskurse sind, die sie beschreiben, dass sie nicht außen vor stehen, dass sie selbst arm, queer, person of colour sind. Das ist dann eben nicht Aktivismus, sondern die Darstellung von Lebensrealitäten.
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