Journalismus im Gazastreifen: Friedhof der Pressefreiheit
Israel hat im Gazastreifen eine Rekordzahl an Journalisten getötet. Reporter ohne Grenzen (RSF) haben dazu heute zu einem Aktionstag aufgerufen.

Dieser August war einer der tödlichsten Monate in einem der tödlichsten Kriege für Journalisten, seit darüber Buch geführt wird. Bereits am 10. August bombardierte die israelische Armee ein Pressezelt vor dem Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt und tötete den Starreporter des katarischen TV-Senders Al-Jazeera, Anas al-Sharif, und sein gesamtes Fernsehteam. Insgesamt zählt das internationale Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) 197 Journalisten, die seit Beginn des Krieges am 7. Oktober 2023 durch Israel im Gazastreifen getötet wurden.
Reporter ohne Grenzen kommen auf 210, von denen mindestens 56 gezielt getötet worden sein sollen. Die internationale Journalisten-Föderation (IJP) geht von mindestens 233 Journalisten und Medienarbeitern aus, und die Palästinensische Journalistengewerkschaft in Ramallah spricht von mehr als 240 getöteten palästinensischen Kolleginnen und Kollegen. Sicher ist nur: es ist eine Rekordzahl. Gaza ist zum Friedhof der Pressefreiheit geworden.
Wie entgrenzt das israelische Vorgehen gegen die Presse mittlerweile ist, zeigt der Angriff auf das Al-Nasser-Krankenhaus in Chan Junis. Israels Premier Benjamin Netanjahu sprach zunächst von einem „tragischen Missgeschick“. Die israelische Armee erklärte nach einer ersten Untersuchung: Ein Panzerschütze hätte auf eine Kamera auf dem Dach des Krankenhauses gezielt.
Teilnehmer: Über 150 Medienunternehmen aus mehr als 50 Ländern nehmen am 1. September an einem groß angelegten Aktionstag teil, der von Reporter ohne Grenzen (RSF) und der globalen Online-Kampagnenbewegung Avaaz koordiniert wird.
Kritik: Die teilnehmenden Redaktionen kritisieren die Verbrechen der israelischen Armee an palästinensischen Journalist:innen und Reporter:innen in Gaza.
Forderung: Die Beteiligten fordern besseren Schutz für alle Medienschaffenden dort und verlangen, dass Israel anderen Journalisten endlich unabhängigen Zugang in den Gazastreifen gewährt.
Verdächtige Kamera
Eine Kamera rechtfertigt in den Augen des israelischen Militärs den Angriff auf ein Krankenhaus? Und das nicht nur einmal? Denn wenige Minuten nach dem ersten Treffer feuerte der Panzer erneut auf die gleiche Stelle und damit erkennbar auf gekennzeichnete Rettungskräfte und Reporter vor Ort. Konsequenzen für die verantwortlichen Soldaten oder Kommandeure gibt es bis heute keine.
In anderen Fällen wirft Israel den Opfern routinemäßig vor, Sympathisanten oder Mitglieder der Hamas gewesen zu sein. Überprüfbare Belege bleibt sie dabei meist schuldig. So war es auch bei Anas al-Sharif. Ihm und fünf weiteren Al-Jazeera-Journalisten hatte das israelische Militär bereits im Oktober 2024 eine Nähe zur Hamas und dem Islamischen Dschihad unterstellt. Sowohl Al-Jazeera als auch die betroffenen Journalisten wiesen diese Vorwürfe zurück. Das Komitee zum Schutz von Journalisten sprach von einer Verleumdungskampagne und forderte ihren Schutz.
Ohne Erfolg: Anas al-Sharif und seine Kollegen starben bei einem gezielten Angriff. Vor ihm wurde sein Al-Jazeera-Kollege Hossam Shabat im März 2024 gezielt getötet. Ein anderer, Ismail Abu Omar, verlor bei einem israelischen Angriff im Februar 2024 ein Bein.
Der weltweite Protest gegen diesen systematischen Angriff auf die Pressefreiheit nimmt zu. Auf der Rangliste der Pressefreiheit stehen die von Israel besetzten palästinensischen Gebiete derzeit auf Rang 163 von 180, Israel selbst auf Rang 112. Insbesondere in arabischen Ländern wird das Schicksal palästinensischer Journalistinnen und Journalisten sehr intensiv verfolgt.
Bei der Sitzung des UN-Sicherheitsrats am Mittwoch hielt der algerische UN-Botschafter ein Foto von Maryam Abu Dagga hoch. Den Tränen nah und mit brüchiger Stimme verlas er einen Brief, den Dagga einige Tage vor ihrem Tod verfasst hatte. Er war an ihren 13-jährigen Sohn Ghaith adressiert, der den Gazastreifen zu Beginn des Krieges verlassen hatte, um bei seinem Vater in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu leben. Gegenüber CNN hatte Maryam Abu Dagga im Mai 2024 erklärt, sie empfinde es als ihre journalistische Pflicht, im Gazastreifen zu bleiben und das Geschehen zu dokumentieren.
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