Jordanier:innen gegen Israel: Königreich für Waffenstillstand
In Jordanien verurteilen viele Israels Angriffe auf Gaza – nicht aber das Massaker der Hamas. Doch abhängig ist man von guten Beziehungen mit allen.
Heute, nach dem Ausbruch des Konflikts in Gaza, ist dieser Balanceakt schwieriger geworden. Laut der jüngsten Umfrage des Center for Strategic Studies der University of Jordan befürworten 66 Prozent der jordanischen Bevölkerung weitgehend den Angriff der Hamas vom 7. Oktober, lediglich 8 Prozent lehnen ihn komplett ab, und mehr als zwei Drittel betrachten den Krieg als Genozid. Traditionell unterstützt die Mehrheit in Jordanien nicht die Hamas. Doch es bestehen historische Verbindungen zu einigen Parteien und Gruppen.
Das Ergebnis der Umfrage ist für Abdullah Jbour, Forscher für politische Soziologie und Jordanien-Experte am Carnegie Middle East Center, nicht überraschend. Der Angriff Israels werde in der Bevölkerung einstimmig verurteilt. Und „seit dem 7. Oktober gewinnt die Hamas erheblich an Unterstützung in der palästinensischen Gemeinschaft“, erklärt er.
Abdullah Jbour, Carnegie Middle East Center
Tatsächlich boykottieren immer mehr Jordanier*innen US-amerikanische und westliche Produkte, die sie als proisraelisch ansehen. Restaurants tauschen bei Erfrischungsgetränken die berühmten US-Marken gegen heimische Alternativen, Filialen von westlichen Gastronomieketten bleiben halbleer. Laut der Umfrage nehmen 93 Prozent der Jordanier*innen am Boykott teil. Auch an Streiks beteiligten sich am Montag viele Menschen, um einen Waffenstillstand in Gaza zu erzwingen. Geschäfte und öffentliche Einrichtungen blieben geschlossen.
Keine Reisen, keine Partys
Zudem melden Branchen wie der Tourismus seit Kriegsausbruch sinkende Zahlen. Tourismusminister Makram Queisi sagte, die Abnahme der Besucherzahlen hätte sowohl Hotels als auch Reiseagenturen getroffen. Besuchten im Schnitt 5.000 Menschen pro Tag vor dem Konflikt die berühmte Wüstenstadt Petra, kämen inzwischen lediglich um die 1.000 Tourist*innen, bestätigte der Präsident der dortigen Tourismusbehörde, Fares Breizat, gegenüber dem Sender Roya News. Auch Partys in Bars, Clubs und Restaurants waren wochenlang ein Tabu.
Laut der Umfrage des Center for Strategic Studies glaubt mehr als die Hälfte der Jordanier*innen, dass der Krieg wirtschaftliche Auswirkungen in Jordanien haben wird, 39 Prozent haben ihr Ausgabeverhalten geändert. Doch die Lage hat sich nicht nur in der Bevölkerung verschärft.
Am Sonntag warf Jordaniens Außenminister Ayman Safadi Israel die „rechtliche Definition von Völkermord“ vor: „Was wir in Gaza sehen, ist nicht einfach die Tötung unschuldiger Menschen und die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen, sondern ein systematischer Versuch, den Gazastreifen von seiner Bevölkerung zu befreien“, so Safadi am Sonntag in Katar.
Verschiedene israelische Minister*innen hatten sich in den vergangenen Wochen wohlwollend zu einer Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus Gaza geäußert, teils von einer weiteren Nakba gesprochen, teils von „freiwilliger Auswanderung“. Ein Sprecher von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dagegen reagierte auf Safadis Äußerungen und erklärte explizit, Israel habe nicht die Absicht, die Bevölkerung zu vertreiben. Safadis Worte seien „unerhörte und falsche Anschuldigungen“.
Deals auf dem Prüfstand
Erst kürzlich hat die Regierung zusätzliche Truppen an der Grenze zum Westjordanland aufgestellt, offenbar als Warnung, dass eine Vertreibung von Palästinenser*innen jenseits des Jordans nicht geduldet werde. Premierminister Bisher al-Khasawneh sagte, sein Land werde „zu jedem Mittel, das in seiner Macht stehe“, greifen, um dies zu verhindern.
Inzwischen hat Jordanien seinen Botschafter aus Israel abgezogen, Feldlazarette und tonnenweise Hilfsgüter nach Gaza und ins Westjordanland geschickt sowie Israels Angriff auf Gaza als Kriegsverbrechen bezeichnet. Den Deal „Wasser gegen Energie“, mit dem Jordanien entsalztes Wasser aus Israel bekommen sollte, will das Königreich jetzt nicht unterschreiben.
Alle anderen Abmachungen mit dem Nachbarland inklusive Friedensvertrag von 1994 sollen ebenfalls überprüft werden. Ob sich dadurch etwas ändert, ist fraglich. Premier Khasawneh hat laut Medienberichten bereits erklärt, man werde das laufende Gasabkommen mit Israel nicht kündigen.
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