John Woos Actionthriller „Silent Night“: Süßer die Glock nie klingt
John Woo hat mit „Silent Night – Stumme Rache“ einen dialogfreien Actionthriller gedreht. Den Film beherrscht ein Gefühl der Nostalgie.
Um 1990 war John Woo der Actiongott. 1990, das ist allerdings nicht nur lange her, das ist eine andere Ära, im Kino, aber auch in der Gesellschaft. Wenn der nun 77-jährige John Woo mit „Silent Night – Stumme Rache“ noch einmal einen Film vorlegt, der roh und hart zu werden verspricht, so zu sein verspricht, wie seine Filme um 1990, dann kann das eigentlich nur schiefgehen, denn die Zeiten haben sich geändert.
„Heroic Bloodshed“ wurden die Filme genannt, die John Woo um 1990 in Hongkong drehte: „A Better Tomorrow“, „The Killer“, etwas später „Hard Boiled“, unfassbar brutale, pathetische Actionfilme, in denen übercoole Helden in Zeitlupe, mit einer Pistole in jeder Hand, Unmengen von Gegnern abknallten, während weiße Tauben durchs Bild flogen. Meist ging es dabei um Rache, um den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse.
In Hollywood ging es so weiter, vor allem der grandiose „Face/Off“ mit einem losgelösten Nicolas Cage in der Hauptrolle zementierte Woos Ruf als Genie der Actioninszenierung, auch sein „Mission Impossible: 2“ war noch atemberaubend, aber danach war es vorbei. Was vermutlich nicht nur an den Flops lag, die Woo im Anschluss drehte, sondern auch am sich wandelnden Zeitgeist.
Dass Woo nun, nach 20 Jahren Pause, in denen er an ziemlich patriotischen, ziemlich seelenlosen chinesischen Großproduktionen beteiligt war, doch noch einmal einen Film in den USA dreht, hat auch mit einem Grundgefühl zu tun, das seit einigen Jahren nicht nur die Filmindustrie prägt: Nostalgie.
„Silent Night – Stumme Rache“. Regie: John Woo. Mit Joel Kinnaman, Scott Mescudi u. a. USA 2023, 104 Min.
An neuen, frischen Ideen scheint es zu mangeln, immer neue Fortsetzungen von Marvel-Filmen zu drehen, langweilt inzwischen selbst das Publikum, also geht der Blick in die Vergangenheit, in die Zeit, in der viele derjenigen, die heute Filme machen oder über sie schreiben, filmisch sozialisiert wurden.
Kaum ein Wort wird gesprochen
Allein im Actionbereich humpelte der inzwischen 80-jährige Harrison Ford durch einen weiteren, jetzt aber (hoffentlich) wirklich letzten „Indiana Jones“-Film; der auch nicht mehr frische – wenn auch mehr oder weniger frisch geliftete versprich –Tom Cruise rettete in „Top Gun: Maverick“ noch einmal die Welt; nächstes Jahr kommt ein Prequel aus der „Mad Max“-Welt der 80er Jahre, nun also John Woo.
Mit einem kleinen, offensichtlich sehr billig produzierten Film, der ein an sich gar nicht schlechtes Konzept verfolgt: In „Silent Night“ wird kaum ein Wort gesprochen, was mit einem Treffer im Kehlkopf des Helden Brian (Joel Kinnaman) begründet wird, verursacht durch Latino-Gangster in Los Angeles, die Brians Sohn getötet haben.
Dass seine Frau Saya (Catalina Sandino Moreno) nicht mit ihm redet, wirkt schon forcierter, immerhin Textnachrichten werden ein paar geschickt, aber dann hat Saya Brian auch schon verlassen. Denn Brians Wunsch nach Rache ist unerträglich geworden, unbedingt will er den Gangsterboss Playa (Harold Torres) zur Rechenschaft ziehen, was die Polizei nicht kann oder will. Und so nimmt er in bewährter „Dirty Harry“- oder „Ein Mann sieht rot“-Manier das Gesetz selbst in die Hand.
Wie aus einem anderen Jahrzehnt
Ja, es gibt zwei, drei schöne Actionmomente, auch eine minutenlange Kamerafahrt, mit der Woo seinen vielen Epigonen noch einmal zeigt, wer der Meister ist, aber was soll man über einen Film sagen, der sich anfühlt, als wäre er von 1988? Der jeden Latino als schwerst tätowierten Gangster zeigt, die Polizei als komplett unfähig, einen Jedermann, der in Kürze zum beinharten Superkiller wird. Im Teenageralter konnte man so etwas goutieren, um 1990, als die Welt noch in klare Gut-Böse-Muster eingeteilt war, zumindest scheinbar.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „Silent Night“
Im Jahre 2023 ist die Welt jedoch kompliziert geworden, wirkt eher von Graustufen geprägt als von moralischer Klarheit. Ja, es mutet verführerisch an, da einen Film zu sehen, der schlicht und simpel daherkommt, der nicht mehr sein will als eine Reminiszenz an eine in vielerlei Hinsicht längst vergangene Zeit.
Aber am Ende mutet „Silent Night“ dann eben doch nur an wie ein Film aus einem anderen Jahrzehnt, einem anderen Jahrhundert. Die Zeiten aber haben sich geändert, in der Gesellschaft und auch im Kino. Zum Glück.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers