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Mehrwertsteuersenkung in der GastronomieIt's not the economy, stupid!

„Die Gastronomie stirbt“: Das ist ein Narrativ, das den Leuten immer schwerer auszureden ist. Die hohe Politik fördert diese Erzählung.

Wie schön, ein traditionelles Wirtshaus! Seufz! Foto: Manfred Bail/imago

U nsere Gaststube lässt Gäste regelmäßig seufzen. Es ist viel Holz an den Wänden, darüber hängen Geweihe, die Lampen sind fränkisches Art déco. Wie schön, ein traditionelles Wirtshaus! Seufz!

Aber dann kommt das Gespräch schnell auf den Zustand der Gastronomie und die verlassenen Lokale, die man ja überall auf dem Land sehe. Und schon laufen wir Gefahr, zu den angeblich Todgeweihten gezählt zu werden. Seufz.

Es ist ein Narrativ, das den Leuten immer schwerer auszureden ist: Die Gastronomie stirbt – und daran sind die allgemeinen Verhältnisse schuld, die Bürokratie, die Abgabenlast, die Mieten und die Inflation. Ärgerlicherweise füttert vor allem die hohe Politik das Narrativ, auch jetzt wieder, in den Koalitionsverhandlungen.

Eine der ersten Maßnahmen, auf die sich Schwarz-Rot geeinigt hat, war die Senkung der Mehrwertsteuer in der ­Gastronomie von 19 auf 7 Prozent. Zur Entlastung der Branche heißt es pauschal. Weil, der geht es mies, das weiß ja jeder.

Den Leuten, die seufzend bei uns am Tresen stehen, erkläre ich deswegen, warum wir kein klassisches Gasthaus führen. Übernachten kann man bei uns immer, mit Frühstück. Dass es abends was zu essen gibt, ist die Ausnahme.

Nur am Wochenende gibt es ein Menü, das der Koch selbst serviert. Man muss dafür vorher reservieren. Wir sind nämlich nur zu zweit. Und damit so ziemlich das Gegenteil vom klassischen Gasthaus, das früher die gesamte Woche mittags und abends offen hatte. Mit Schnitzel, Würsteln und Braten auf der Karte. Wo in der Küche nur selten das Licht ausging.

Das funktionierte, weil es eine große Belegschaft gab. Sie rekrutierte sich aus der Wirtsfamilie, also Kinder, Eltern, Großeltern. Dazu kamen ungelernte „Hausfrauen“ aus der Nachbarschaft, Schüler:innen, alte Leute mit schmaler Rente. Wo immer ich in Unterfranken ein Gasthaus mit dem alten Rund-um-die-Uhr-Betrieb entdecke, stoße ich auf diese Struktur.

Dabei ist sie schon längst ein Stück aus dem Museum. Weil junge Menschen heute nach Interesse und Talent ihren Beruf wählen und nicht nach Familientradition, weil Frauen gleichberechtigter sind, weil Altersarmut vor allem bei Frauen problematisiert wird – Stichwort: Mütterrente, auf deren Erhöhung sich Schwarz-Rot übrigens auch geeinigt hat.

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Daher: Für die Institution Gasthaus bringt die Subvention über die Mehrwertsteuer gar nichts. Ich zweifele sogar, dass die ermäßigte Steuer über die Preise an die Gäste weitergegeben wird. Vor allem wird sie keine neuen Mitarbeiter bringen. Denn für die ganze Branche gilt: „It’s not the economy, it’s the staff, stupid!“ Das Verschwinden der alten Gasthäuser ist nur das beste Beispiel dafür.

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Jörn Kabisch
Autor
Wirt & Autor für taz und FuturZwei
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8 Kommentare

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  • Das Verschwinden der Gasthäuser auf dem Land hat m.E. ähnliche Gründe wie das Verschwinden der Tante-Emma-Läden: das Auto. Die Menschen fahren in die Stadt.

  • Es ist auch irgendwie was besonderes, wenn man ein Lokal aufsuchen kann, das zumindest teilweise ohne unbeteiligte Angestellte auskommt. Mir ist erst kürzlich aufgefallen, wieviele Läden in der Nähe einfach nur wie Ketten geführt werden, und dass die besten eigentlich stets die sind, bei denen die Inhaber selbst arbeiten.

  • Ist halt außerdem ein Teufelskreis, da essen immer teurer wird gehen weniger Leute essen und je wenig Leute essen gehen umso weniger rentiert es sich und umso teurer wird es.

    Wobei man ja schon auch gleichzeitig sagen muss, dass in Städten die Restaurants voll sind, oft ist es ja schwierig überhaupt einen Platz zu finden, ohne zu reservieren.

    Gehen die Leute auf den Land einfach weniger essen? Weil sie mehr aufs Geld schauen? Weniger verdienen (wohl eher nicht?)?

  • Ein Begriff fehlt, bei Aufzählung der "Schuld" habenden Verhältnisse.



    Wir waren früher oft im Restaurant, einmal die Woche; mindestens ... Aber "seit Corona" hat sich das drastisch reduziert, haben wir in Küche und Keller investiert; nebst einiger guter Kochbücher!

  • Vielen Dank für den nüchternen und unverbauten Blick auf das klassische Wirtshaus - im Spessart (ist heute eine Autobahnraststätte) und anderswo. Vielleicht müssen wir das Gast- und Wirtshaus völlig neu denken, z. B. als generationenübergreifende Hobbygastronomie, die vom örtlichen Wirtshausverein betrieben wird. Aber dagegen sprechen sicher wieder einige Vorschriften, durch die die kommunale Verwaltung gezwungen wäre, das Projekt sofort wieder abzuwürgen. Ein Tipp: In Sachsen ist es ziemlich einfach, so etwas zu eröffnen. Das sächsische Gaststättenrecht ist äußerst liberal.

  • Die Gastronomie hat sich teils auch selbst abgeschafft: Durch das Ersetzen regulärer Arbeitsplätze (Kellner war in meiner Jugend ein ehrbarer Lehrberuf) durch Minijobber, die ungelernt oft mehr schlecht als recht die Gäste quälen, wurden die Preise im europäischen Vergleich niedrig gehalten. Daran hat sich das Volk gewöhnt und ist jetzt nicht bereit, den realen Preis zu zahlen. Würde ein angemessener Stundenlohn für alle Beschäftigten wie Kellner, Köche, Reinigung, Spüler-ein Knochenjob, wie ich aus Erfahrung weiß-, bezahlt und Waren frisch von guter Qualität verarbeitet und in einem angenehmen Ambiente von halbwegs anständig gekleideten Menschen serviert werden, wären die Preise wesentlich höher. Dies dem Publikum zu vermitteln, ist schlicht nicht möglich, da der Kunde nur rückblickend bewertet (Früher war alles besser, in diesem Fall billiger, alles andere wird ausgeblendet). Die Kunden sind eher bereit, sich in die Schlange zu stellen und die Tabletts zum Tisch zu tragen, als den Service zu bezahlen, was u.A. der Erfolg der unzähligen "Back-Cafés" bestätigt, die den Gewinn schon lange nicht mehr mit dem Verkauf von Backwaren machen.



    Nicht alle, jedoch die Mehrheit.

  • Oder, anders ausgedrückt, es geht besser als gefühlt. Und früher war nicht alles besser.



    Da mussten junge Leute mitarbeiten, gefragt wurde nicht. Heute sind die auch mit 14 noch auf e Schule und ziehen im Zweifel eh weg.



    Und die Alten müssen selbst bei relativ niedrigen Renten nichts mehr zwangsläufig hin zu verdienen. Jedenfalls nicht auf dem Lande. So ist also eine Menge Ausbeutung abgeschafft.

  • Um die Gastwirtschaft zu fördern, müsste man vielleicht die Kinder- und Großeltern-Arbeit wieder mehr fördern.

    Das jedenfalls legt der Artikel nahe.