Jörn Kabisch Angezapft: Lager Kollerstatt Corona
Auch in der Krise schreibt die Bierwelt ganz eigentümliche Geschichten. Als die Pandemie im Anrollen war, brach zunächst in den USA die Nachfrage nach Corona Extra ein, dann weltweit. In rund 180 Länder wird Corona exportiert, die mexikanische Biermarke ist eine der globalsten überhaupt, aber kaum irgendwo will noch jemand einen Limettenschnitz in die Flaschen drücken. Irre! So irre, dass ich mich frage, ob es Corona, also der Biermarke, besser ginge, wenn ihre Flaschen einen Aluhut hätten – ja, genau die Staniolkragen um den Flaschenhals sind gemeint. Oder was hatten Sie gedacht, warum viele Brauereien ihre Biere so einkleiden …?
Aber lustige Verschwörungstheorie beiseite, tatsächlich verändert die Pandemie unsere ganz realen Ess- und Trinkgewohnheiten, siehe auch die Texte rechts. Ich bin mir sicher, es geht beim Genuss gerade ideologiefreier zu, Soul Food wird wichtiger als Super Food. Der Geschmack wird neu sozialisiert. Im Hyper-Cocooning sieht schließlich niemand mehr, was ich esse oder trinke. Der Distinktionsgewinn ist kein Moment mehr.
Das schafft aber auch ungeahnte Freiheiten. Vielleicht nimmt der Hipster Abstand vom Craft Beer und trinkt wie in Jugendtagen Sterni. Vielleicht aber probiert der eingefleischte Antihipster auch mal ein Craftbier, es gibt da einige mit ziemlich Soul. Weil: Hinter solchen Bieren stecken Menschen, oft kleine Manufakturen, junge Betriebe, sogar Solo-Selbstständige, also die, die es gerade sehr prekär trifft. Craftbeer trinken heißt deshalb solidarisch trinken. Und – Stichwort #supportyourlocaldealer – viele dieser Brauereien liefern gerade auch in ihre Umgebung aus.
Aber ich will beim Soul bleiben. Denn ich war neugierig, was wohl im „Lager Koller“ steckt, das Johannes Heidenpeter extra zur Kontaktsperre neu aufgelegt hat – auch so eine Geschichte, die die Bierwelt in der Krise schreibt. Für den Brauer aus der Kreuzberger Markthalle Neun gilt übrigens all das Vorgesagte: kleiner Betrieb, in meiner Nähe, und er liefert in die soziale Isolation.
Das Bier ist, wie der Name schon verrät, ein Lager, also untergärig, was sonst nicht so Heidenpeters Art ist. Und in dieses, etwas höherprozentige Lager, eigentlich ein Märzen, hat er bei der Lagerung noch viel Hopfen gestopft, Kalthopfung nennt das der Fachmann. Es ist so viel, dass der Hopfen tatsächlich Koller bekommt und von Anfang bis Ende aus dem Bier herauspurzelt, zitrisch, grassig und mit viel Nadelwaldnoten von Pinie bis Wacholder. Ich mag Biere, die mich so zum Schmunzeln bringen.
Lager Koller, Heidenpeters, 5,9 % vol.
Falls Heidenpeters nicht in Ihrer Nähe liegt, achten Sie auf Soul und denken Sie dran: #supportyourlocaldealer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen