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Joachim Gauck zu Hilfe für Flüchtlinge„Wir neigen zur Selbstgerechtigkeit“

Bundespräsident Gauck fordert, dass Deutschland und Europa mehr für Flüchtlinge tun. Er kritisiert indirekt die Regierung, doch die Botschaft kommt nicht an.

Rechte für Asylsuchende garantieren: Gauck mit Lebensgefährtin und Flüchtlingsfamilie Bild: dpa

BERLIN dpa | Bundespräsident Joachim Gauck hat wegen der steigenden Flüchtlingszahlen nach Europa dazu aufgerufen, alle Hilfesuchenden menschenwürdig zu behandeln und ihre Rechte zu achten. Eindringlich forderte er am Montag in Berlin mehr Solidarität mit den Flüchtlingen, aber auch bei der Teilung der Lasten zwischen den europäischen Ländern.

„Die Flüchtlinge, die an Italiens oder Maltas Küsten landen, sind nicht allein die Angelegenheit Maltas oder Italiens“, sagte Gauck bei einer Tagung der Evangelischen Akademie zum Flüchtlingsschutz. Es sei die gemeinsame Verantwortung der Europäer, wie mit diesen Menschen umgegangen werde. Flüchtlinge hätten Rechte, die zu achten sich Europa verpflichtet habe.

„Die Bilder der Särge im Hangar des Flughafens von Lampedusa, die Bilder der kletternden Menschen am Stacheldrahtzaun der Exklaven Ceuta oder Melilla – sie passen nicht zu dem Bild, das wir Europäer von uns selber haben“, sagte Gauck laut Redemanuskript. Als zentrale Forderung formulierte er: „Eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik hat sicherzustellen, dass jeder Flüchtling von seinen Rechten auch Gebrauch machen kann – nicht zurückgewiesen zu werden ohne Anhörung der Fluchtgründe, gegebenenfalls auch Schutz vor Verfolgung zu erhalten.“

Gauck appellierte an die europäischen Partner, die Verantwortung nicht zwischen den einzelnen Ländern hin- und herzuschieben. „Eines sollten wir nicht tun: einander vorrechnen, was erst der andere tun muss, bevor wir selbst uns bewegen.“

Die Regierung sieht keinen Unterschied

Deutschland lehnt bisher jede Debatte über eine neue Lastenteilung ab, weil die Bundesrepublik in absoluten Zahlen die meisten Menschen aufnimmt. Regierungssprecher Steffen Seibert wollte aber keine Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesregierung und Staatsoberhaupt einräumen. Er sagte zu der Gauck-Rede, es gebe in der Flüchtlingspolitik „mit Sicherheit keine Unterschiede zwischen dem Bundespräsidenten und der Bundeskanzlerin“.

Gauck warnte davor, den deutschen Beitrag zur Aufnahme von Asylsuchenden etwa aus Syrien zu überschätzen. Im Libanon lebten derzeit mehr als eine Million Syrien-Flüchtlinge. „Das ist, gerechnet auf die Bevölkerung, als wären in Deutschland 20 Millionen Menschen gestrandet.“

In absoluten Zahlen kämen in kein anderes Land Europas mehr Asylsuchende. Doch „gemessen an der Bevölkerungszahl aber liegt Deutschland in Europa längst nicht an der Spitze, sondern auf Platz 9, deutlich hinter Schweden, auch hinter Österreich, Ungarn und Belgien. Blicken wir nur auf uns selbst, neigen wir nicht selten zur Selbstgerechtigkeit.“

Der Bundespräsident begrüßte zwar, dass Bund und Länder beschlossen hätten, weitere 10.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Das sei „wichtig und wertvoll“. 5.400 Syrer hätten dank der ersten beiden Kontingente Schutz in Deutschland gefunden. Der überwiegende Teil der rund 32.000 Syrer, die seit Beginn des Bürgerkriegs nach Deutschland kamen, habe sich aber auf anderen Wegen durchschlagen müssen, auch auf dem illegalen und lebensgefährlichen Weg übers Mittelmeer.

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12 Kommentare

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  • 9G
    90191 (Profil gelöscht)

    Ich kann seine Sonntagsreden nicht mehr ab. Die ganzen hohlen Phrasen, hinter denen keine Überzeugung steht und die ohne jede Konsequenz bleiben, stattdessen allein Narzißmus und Self-Marketing.

  • Dann soll er doch mal mit gutem Beispiel voran gehen und die hälfte seines Gehalts dafür ausgeben und zusätzlich Flüchtlinge in seinem Schloss aufnehmen dann wär er glaubwürdig.

    • @Tobias Müller:

      Ihr Kommentar hat Stammtisch-Niveau. Wieviele Flüchtlinge haben sie denn in IHR Schloß (respektive Wohnung) aufgenommen?

       

      Es ist leicht Forderungen an andere zu richten, das könnte ich auch den ganzen Tag.

       

      Die ganzen Aktivisten, deren einzige Aktivität ist zu fordern und zu demonstrieren und Aufrufe via Twitter auf ihrem Imperialisten-Iphone zu starten, während sie nen Kiosk suchen der das politisch korrekte "Astra"-Pils verkauft, beeindrucken mich auch nicht.

    • @Tobias Müller:

      Sie sind ja lustig! Und wer Schulen fordert, soll Klassen bei sich aufnehmen, wer flächendeckend Krankenhäuser für nötig hält, einen OP zur Verfügung stellen, oder wie?

      Was halten Sie von Wahlen?

       

      Wieso? Kann nirgendwo lesen, Gauck hätte von irgendjemand das halbe Gehalt und Flüchtlingsunterkünfte in den eigenen 4 Wänden gefordert.

      Von Ihnen vielleicht? Auch nicht? Achso, Sie hatten nur einen kurzen Logikaussetzer. Kann ja mal passieren.

    • @Tobias Müller:

      Aber bitte, Thomas Müller, seit wann ist das üblich, dass Bonzen sich selbst auferlegen, was sie von anderen fordern?

      Gauck nimmt keine Flüchtlinge bei sich auf. Menschlich verständlich, ich tu das gleiche. Aber ich trommle auch nicht für die Zuwanderung in die Sozialsysteme.

      • 9G
        90191 (Profil gelöscht)
        @DirkM:

        Letzteres sollten Sie aber tun. Es ist die einzige konkrete Möglichkeit, mehr Menschen zu retten - und Schland ist ja reich genug, da kann man locker ein paar Milliarden jährlich abknapsen.

         

        Sinnvoll wäre eine Flüchtlingssteuer auf alle Luxus- und Genußgüter, wie etwa 1 Euro auf jede ausgeschenkte Maß Bier, 10 Euro auf jedes verkaufte Smartphone, 100 Euro pro verkauften Fernseher, 1000 Euro pro verkauftem SUV.

        • @90191 (Profil gelöscht):

          Oder 5 € von ihrem Hartz4-Regelsatz?

          Aber das ginge sicher zu weit......

      • @DirkM:

        "Bundespräsident Joachim Gauck hat ... dazu aufgerufen, alle Hilfesuchenden menschenwürdig zu behandeln und ihre Rechte zu achten."

         

        Wo nehmen Sie "zuhause aufnehmen" und Gaucks angebliche Forderung danach her? Und wer "trommelt" eigentlich "für Zuwanderung in die Sozialsysteme"?

         

        Noch ätzender als 'Bonzen' sind frustrierte Kleinbürger, die Appelle für Selbstverständliches wie die Menschenwürde mit Geheul gegen 'Bonzen und Fremde' kontern (man kennt das historisch...) Die sich trotz ihrer Privilegien als Mitteleuropäer zum Verlierer der globalen Verteilungsprozesse stilisieren.

         

        Bist du aber nicht. Auch ohne dein Zutun sorgen deine verhassten Bonzen bestimmt weiterhin dafür, dass du mehr hast als deine ‚Sozial-Zuwanderer’.

  • Herr Gauck hat wohl verdrängt, dass er selbst mitverantwortlich für die Flucht vor dem Krieg von Millionen Menschen ist. Er will doch mehr Krieg.

     

    Die andere Seite ist die die Kritik der ALLES beherschenden Executive am Präsidenten im Amt. Deutschland leidet unter der allmächtigen Executive, die sowohl die Legislative mit mehr als 2/3-Mehrheit beherscht und sich selbst damiit auch noch die (Bundesverfassungs-)Richter setzen darf. Gesteuert wird alles über weniger als 3 Prozent der Wahlberechtigten, die in den Parteien Kandidaten setzen dürfen und den Wahlkampf von uns auch finanzieren lassen.

    Ein Recht auf Aufnahme in diese Parteien gibt es nicht. Und Vorwahlen für die Kandidaten-Bestimmung gibt es auch nicht.

     

    Die korrekte Bezeichung unserer Staatsform ist VERWALTUNGS-DIKTATUR.

    Wir braucenn eine radikale Verfassungsreform; möglichst noch vor dem BigBang.

    • @Rainer Pakosch:

      Er hat es nicht verdrängt, er denkt aber er wäre im Ernstfall nur für die "guten Kriege".

  • Herr Seibert

    seibert - hätte womöglich Wehner eine solche Stellungnahme abgebügelt. Entweder gilt Merkels dümmlicher Spruch, dass ein Verfassungsorgan nicht das andere kommentiert, gemeint war wohl, wie sich hier zeigt: kritisiert - schon ein Angriff auf die Unabhängigkeit der ursprünglich als gewaltengeteilt gedachten Institutionen - oder man wirft Nebelkerzen, um eine womöglich kritische Frage in eine zustimmende Feststellung umzudeuten - was erwartet uns dann erst, wenn unserer Söldnerarmee dann wirklich befohlen wird, nicht nur Nebelkerzen zu werfen?

  • Als oberster Notar

    hat der Bundespräsident auf die Rechtslage und die damit verbunden Probleme, um so den demokratischen Meinungsbildungsprozess zu fördern. Statt dessen gefällt er sich in moralischen Appellen. Das gefährdet sein Ansehen – ein Argument, das ihm doch einleuchten sollte, und letztlich das seines Amtes, wofür ein Gepür und ein Bewusstsein entwickeln sollte. Tagespolitische Stellungnahmen sind nur dann seines Amtes, wenn die Exekutive Gesetze der BRD verletzt. Die Rechte auch der Flüchtlinge erfordern: Gastrecht für alle, die sich bei uns aufhalten wollen, das auf z.B. ein Jahr befristet ist. Gäste haben keinen Anspruch auf irgendwelche staatliche „Fürsorge“ und müssen nach einem Monat nachweisen, dass sie für sich selbst sorgen können oder Bürger der BRD für ihren Lebensunterhalt bürgen. Gäste haben Anspruch auf Einbürgerung, wenn sie unbescholten sind und selbst für ihren Unterhalt sorgen können und einen festen Wohnsitz haben. Wenn wir solche Gesetze hätten, könnte der Bundespräsident gerne für mehr Hilfsbereitschaft der viel beschworenen Zivilgesellschaft werben. Nebenbei würde eine solche Lösung die öffentlichen Haushalte entlasten und den nationalistischen Strömungen viel Wind aus den Segeln nehmen, obwohl wir dann ein wirklich menschenfreundliche Lösung hätten und kein und erst recht kein restriktives Asylrecht brauchten, weil Asylanten als Gäste nach Maßgabe der Zivilgesellschaft willkommen wären. Die Beteiligung der BRD an der Überwachung und dem „Schutz“ der EU-Außengrenzen verdient allerdings die Kritik des Amtsinhabers – auch semipermeabel sind eisern kontrollierte Vorhänge inakzeptabel und schränken das Recht der Freizügigkeit ein, indem sie Menschen, die nicht Bürger einer der EU-Staaten sind, nachhaltig diskriminieren, weil das gegen die vielfach festgeschriebenen Grundrechte verstößt. Hat das Herr Gauck gemeint? So weitgehend wollte er wohl nicht interpretiert werden - schade...