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Jerzy Montag über Fall Oury Jalloh„Keine zweite Anklage“

Der Grüne Jerzy Montag ist in Sachsen-Anhalt Sonderermittler im Fall des toten Oury Jalloh. Große Hoffnung für neue Ermittlungen hat er nicht.

Gedenkdemonstration anlässlich des 13. Todestags von Oury Jalloh im Januar 2018 in Dessau-Roßlau Foto: Christian Mang
Christian Jakob
Interview von Christian Jakob

taz: Herr Montag, das Oberlandesgericht Naumburg hat am Donnerstag entschieden: Es wird keinen neuen Prozess im Fall Oury Jalloh geben. Können Sie das nachvollziehen?

Jerzy Montag: Die Entscheidung war zu erwarten. In mehr als 99 Prozent aller Fälle scheitern solche Klageerzwingungsanträge.

Warum?

Die Antragsteller müssen die gleiche Arbeit leisten wie ein Staatsanwalt, der eine Anklageschrift schreibt. In diesem Fall hieße das: Wer genau wird wegen Mordes an Oury Jalloh beschuldigt? Es muss ein Name genannt und genau dargelegt werden, wie sich die Tat abgespielt hat und wie sie bewiesen werden soll. Sie können sich vorstellen, dass das sehr schwierig ist.

Es sind ja 2017 konkrete Beamte als potenziell Mordverdächtige von dem Dessauer Staatsanwalt Folker Bittmann genannt worden, bevor ihm der Fall entzogen wurde.

Ich kenne die Akten noch nicht. Ein Teil der Polizisten ist aber für ein zweites Verfahren gesperrt. Sie sind ja schon in einem früheren Verfahren freigesprochen beziehungsweise verurteilt worden.

Da ging es aber um andere Vorwürfe; diese Verfahren gingen davon aus, dass Jalloh sich selbst angezündet hätte.

Trotzdem ist es derselbe Lebenssachverhalt. Egal was zutage kommt, gegen diese Polizisten kann es keine zweite Anklage mehr geben.

Halten Sie das für befriedigend?

Das ist ein rechtsstaatlicher Grundsatz, den wir ansonsten auch hochhalten.

Sie und der zweite Sonder­ermittler mussten das Naumburger Urteil abwarten, bevor Sie Ihre Arbeit für den Rechtsausschuss des sachsen-anhaltischen Landtags aufnehmen konnten. Was werden Sie jetzt tun?

Zunächst mal: Was wir nicht tun werden, ist die Richtigkeit der juristischen Entscheidungen überprüfen. Denn wir dürfen nur das, was auch das Parlament darf. Und das überprüft ja nicht die Justiz, denn die ist unabhängig. Unser Job ist die Überprüfung des Handelns der Exekutive. Wir schauen, ob gegen Vorschriften verstoßen wurde oder sonstige Fehler begangen wurden.

Wie gehen Sie dabei vor?

Zuallererst sichten wir die gesamten Akten. Die liegen derzeit größtenteils in Magdeburg und harren darauf, dass wir uns auf sie stürzen.

Haben Sie weitere Ermittlungsmöglichkeiten, außer das Studium der Akten?

Ich habe Wert daraufgelegt, dass wir auch mit Auskunftspersonen sprechen können. Anfangs war das nicht vorgesehen.

Und das ist nun möglich?

Ja. Jetzt kann ich bei der Landesregierung den Wunsch äußern, mit bestimmten Personen eventuell zu sprechen.

Eventuell?

Ob das erfüllt wird, weiß ich nicht, denn es handelt sich zum Teil um Beamte, und die brauchen eine Aussagegenehmigung. Die Landesregierung kann die aber verweigern. Eine Aussage erzwingen kann nur ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss.

Bild: Thomas Trutschel/imago images
Im Interview: Jerzy Montag

72, war von 2002 bis 2013 Bundestagsabgeordneter und rechtspolitischer Sprecher der Grünen. Mit dem früheren langjährigen Münchner Generalstaatsanwalt, dem konservativen Manfred Nötzel, wurde er Mitte 2018 berufen,

den Rechtsausschuss des Landtags von Sachsen-Anhalt dabei zu unterstützen die Jalloh-Akten zu begutachten. Sie sollen die Funktion von Sonderermittlern einnehmen, aber nicht diese Bezeichnung erhalten, darauf legte die CDU Wert – sie fürchtete offenbar, dies könnte sonst als Zeichen des Misstrauens gegen die Justiz gewertet werden. Die Linken hatten statt der Berater einen mit weitgehenderen Rechten ausgestatteten Untersuchungsausschuss gefordert.

Den wollte die Koalition ja nicht. Einen entsprechenden Vorstoß der Linken hatten CDU, SPD und Grüne abgelehnt.

So ist es. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass man uns die Arbeit so schwermacht. Ich gehe davon aus, dass unsere Gesprächswünsche erfüllt werden.

Kommen für Sie nur Polizisten für eine Vernehmung in der Sache in Frage?

Wer denn sonst?

Zum Beispiel der Arzt, der damals Jalloh im Gewahrsam untersucht hat.

Dass muss man im Einzelnen klären. Wenn das ein niedergelassener Arzt war, der von der Polizei hinzugezogen wurde, könnte er ein Gespräch ausschlagen. Aber jetzt ist nicht der Zeitpunkt für solche Spezia­litäten. Ich muss schauen: Wo liegen meine Arbeitsräume, wie sind sie technisch ausgestattet? Ob ich irgendeinen Arzt vernehme, entscheide ich später.

Wie lange wird Ihre Untersuchung dauern?

Vertraglich vereinbart sind sechs Monate. Dann erstatten wir den Bericht für den Rechtsausschuss des Landtags.

Wird der öffentlich gemacht?

Meines Wissens sind keine Aktenteile geheim. Heißt, dass wir den Bericht höchstwahrscheinlich auch nicht als geheim stempeln. Was der Rechtsausschuss damit macht, ist seine Sache. Ich kann mir aber vorstellen, dass dem sachsen-anhaltischen Parlament daran liegt, dass der Bericht veröffentlicht wird.

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6 Kommentare

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  • Der eigentliche Ursprung für den Anspruch des Verletzten auf effektive Strafverfolgung liegt in der Entscheidung des EGMR, 27.06.2000 - 21986/93 in der Sache SALMAN v. TURKEY, NJW 2001, 2001 begründet. Folgt man den in dieser Entscheidung postulierten Grundsätzen, muss auch im Fall Oury Jalloh zwingend eine Aufhebung und Zurückverweisung erfolgen.

    Beim BVerfG liegt derzeit die VB gegen die Entscheidung des OLG Naumburg. Wenn alles mit rechten Dingen zugeht, muss das BVerfG aufheben und zurückverweisen. Dann muss das OLG Naumburg ein zweites Mal ein Klageerzwingungsverfahren durchführen. Dann hat es Auswirkungen, ob das OLG Naumburg im zweiten Anlauf ein faires Verfahren durchführt. Zu einem fairen Verfahren gehören beim Klageerzwingungsverfahren unabweislich eine Mündliche Verhandlung und richterliche Hinweise. Nur dann haben die Angehörigen von Oury Jalloh eine faire Chance, die AnKlageerhebung gegen die beiden des Mordes beschuldigten Polizisten zu erzwingen.

    Das BVerfG kann bei seiner Entscheidung über die VB gegen die Entscheidung des OLG Naumburg im Klageerzwingungsverfahren betreffend den Fall Oury Jalloh auch den Aufsatz Die Zeitenwende im Klageerzwingungsverfahren / von Rechtsanwalt Alexander Würdinger, München zu Rate ziehen. Ich kann die Lektüre nur wärmstens empfehlen.

  • Jerzy Montag gab der taz ein Interview. Dazu muss man wissen, dass der Landtag von Sachsen-Anhalt sich auf folgendes Procedere im Fall Oury Jalloh geeinigt hatte: Zuerst muss das Klageerzwingungsverfahren endgültig rum sein (mit dem Akzent auf endgültig), anschließend werden zwei "Sonderermittler" tätig, Jerzy Montag und noch einer.

    1) Der erste gravierende Denkfehler, den Jerzy Montag machte, bestand darin, so zu tun, als sei das Klageerzwingungsverfahren tatsächlich schon endgültig rum. Offenbar wusste Jerzy Montag gar nicht, dass als nächster Verfahrensschritt im Klageerzwingungsverfahren die Anhörungsrüge gem. § 152a VwGO ansteht und dass deswegen das Klageerzwingungsverfahren alles andere als endgültig abgeschlossen ist.

    2) In dem Interview mit der taz äußerte sich Jerzy Montag auch dazu, was überhaupt Gegenstand seines Untersuchungsauftrags als "Sonderermittler" sein soll. Jerzy Montag darf sich dabei gar nicht mit dem konkreten Fall Oury Jalloh befassen (weil ja, nach dieser Logik, rechtskräftig abgeschlossen), sondern er darf nur blumig und weitschweifend irgendwas dazu schreiben, ob Sachsen-Anhaltinische Polizisten irgendwie gemein zu sozialen Randgruppen sein könnten - es gibt auch weicheres Papier zum Hintern abputzen.

    Und ich danke der Süddeutschen Zeitung aus München ganz herzlich für ihre Berichterstattung über den Justizskandal im Fall Oury Jalloh:

    www.youtube.com/watch?v=VT_fwCicJKQ

    Hatte ich in Richtung auf die Süddeutsche Zeitung schon den Begriff "Boykott" ins Spiel gebracht?

    Gast kommentiert am Do, 2019-10-31 08:15 Permanenter Link Das einzige, was man boykottieren sollte, wären Sie, wenn man es denn könnte und man nicht ständig genötigt wäre, Ihren Unsinn für die Mit- und Nachwelt ständig richtig stellen zu müssen, auf dass es später nicht heißt, in der deutschen Rechtswissenschaft sei Trump am Werke oder am Werk gewesen. Alles andere, was nicht von Ihnen stammt, hat ja immer irgendwie Hand und Fuß

    • @Alexander Würdinger:

      Wäre die Rechtsprechung des BayVerfGH, VerfGH München, Entsch. v. 28.1.2020 - Vf. 56-VI-18, Rn. 23 damals schon bekannt gewesen, wäre bereits die Strafanzeige wegen Mordes an Oury Jalloh selbstverständlich unzulässig gewesen, denn es hätte sich im Fall Oury Jalloh selbstverständlich ganz eindeutig um einen Fall von Rechtsmissbrauch wegen Verunsicherung des Staatsanwalts gehandelt. Die Rechtsprechung des BayVerfGH, VerfGH München, Entsch. v. 28.1.2020 - Vf. 56-VI-18, Rn. 23 gebar einen glänzenden Gedanken: Die Strafanzeige gegen einen Münchner Richter oder Staatsanwalt wegen Rechtsbeugung ist rechtsmissbräuchlich, weil sie den Staatsanwalt, der die Strafanzeige zu bearbeiten hat, verunsichert.

    • @Alexander Würdinger:

      Entschuldigen Sie bitte vielmals die holprige Grammatik des BayVerfGH, aber der BayVerfGH formuliert seinen glänzenden Gedanken wie folgt:

      "Der Umstand, dass der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit den im Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 13. November 2019 Vf. 76-VI-19 aufgeführten Verfahren eine Vielzahl von Strafanzeigen und Ablehnungsgesuchen angebracht hat, (...) zeigen, dass der Beschwerdeführer Strafanzeigen und Ablehnungsgesuche (...) versuchen, die Staatsanwälte und Richter zu verunsichern, um letztlich zu einer für ihn günstigeren Entscheidung zu gelangen (vgl. dazu z. B. OLG Koblenz vom 3.1.1977 - 1 AR 44/76 Str - juris Rn. 2)."

  • In dem gegenwärtigen Verfahrensstadium sind folgende fünf Verfahrensvorschriften zu beachten:

    1) Anhörungsrüge, § 152a VwGO



    Gegen die rechtskräftige Entscheidung des OLG Naumburg vom 22. Oktober 2019 ist die Anhörungsrüge gemäß § 152a VwGO statthaft. Diese muss innerhalb von zwei Wochen ab Zugang der angefochtenen Entscheidung beim Prozessvertreter des Verletzten bei Gericht eingehen. Das Gericht erhält dadurch Gelegenheit, seine eigene Entscheidung zu korrigieren.

    2) Beiladung der Beschuldigten, § 65 VwGO



    Damit sich die des Mordes beschuldigten Polizisten zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen äußern können, ist die Beiladung der Beschuldigten gemäß § 65 VwGO anzuordnen.

    3) Untersuchungsgrundsatz, § 86 Abs. 1 VwGO



    Es gilt der Untersuchungsgrundsatz gemäß § 86 Abs. 1 VwGO. Danach hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären.

    4) Richterliche Hinweise, § 86 Abs. 3 VwGO



    Ist der Sach- oder Rechtsvortrag des Verletzten unvollständig, sind Richterliche Hinweise gemäß § 86 Abs. 3 VwGO zu erteilen. Der Verletzte erhält danach die Gelegenheit, seinen Sach- oder Rechtsvortrag zu ergänzen.

    5) Mündliche Verhandlung, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, § 101 Abs. 1 VwGO



    Wie in jedem anderen Prozess auch, hat auch hier gemäß Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK in Verbindung mit § 101 Abs. 1 VwGO eine Mündliche Verhandlung stattzufinden.

  • Der Fall Oury Jalloh

    In diesem Klageerzwingungsverfahren im Fall Oury Jalloh pochen die Angehörigen auch nach der Entscheidung des OLG Naumburg vom 22. Oktober 2019 mit dem Az. 1 Ws (gE) 1/19

    dejure.org/dienste...ericht=OLG%20Naumb...

    darauf, dass eine mündliche Verhandlung stattzufinden hat. Dieses Verfahren wird allerdings im Ergebnis nur dann erfolgreich sein, wenn das OLG Naumburg den Angehörigen Gelegenheit geben wird, ihre Antragsschrift zu ergänzen. Hierbei ergibt sich das Gebot der mündlichen Verhandlung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK, das Gebot richterlicher Hinweise aus § 86 Abs. 3 VwGO.[71]



    Der Fall Oury Jalloh ist dabei nur einer von mehreren ähnlich strukturierten Fällen:

    initiativeouryjalloh.wordpress.com/

    Würde das KlEV bzw. das EEV die Mindestanforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren erfüllen (Mündliche Verhandlung, Richterliche Hinweise), würde es den Verletzten ermöglicht werden, ihre (prozessualen) Rechte in einer effektiven Weise selbst in die Hand nehmen zu können. Beachten Sie auch, was ich zum Fall Oury Jalloh bereits geschrieben habe:

    initiativeouryjall...press.com/kontakt/

    Der bundesdeutsche Rechtsstaat stellt im Fall Oury Jalloh sehr überzeugend unter Beweis, dass er, wenn es ihm politisch opportun erscheint, in der Lage ist, sehr angestrengt wegzuschauen. Was soll denn noch passieren? Zwei Polizeibeamte stehen im Verdacht, auf ihrer Polizeidienststelle einen Schwarzafrikaner ermordet zu haben. Der Sachverhalt wird vertuscht, die Ermittlungen werden verschleppt, es handelt sich um einen Justizskandal.