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Jelinek-Premiere in ZürichAuf Bräune folgt Schwärze

„Sonne, los jetzt!“ heißt eine Endzeitrevue in Zürich über Dummheit, Furcht und Schuld in Sachen Klimakatastrophe. Geschrieben hat sie Elfriede Jelinek.

„Sonne los jetzt“ nach Elfriede Jelinek am Schauspielhaus Zürich Foto: Philip Frowein

Seit rund 4,5 Milliarden Jahren scheint die Sonne, und vermutlich wird sie dies noch weitere 5 Milliarden Jahre tun. Gut möglich, dass das Leben auf dem die Sonne umkreisenden Planeten Erde innerhalb dieser unvorstellbar langen Endlichkeit nur eine kleine Episode ist, und dass es, aus Perspektive der Sonne, keine Rolle spielt, ob die Spezies Mensch zur vorzeitigen Auslöschung dieses Lebens beiträgt.

Denn was ist Zeit? Etwas, das uns erst durch Kommen und Gehen der Sonne bewusst wird, so Elfriede Jelinek in „Sonne/Luft“, zwei von der Lektüre altgriechischer Philosophen inspirierten Reflektionsschleifenfolgen zu diesen Elementen, geschrieben teils aus deren Perspektive. „Sonne“ ist ein Monolog des Himmelskörpers, mit dem die Autorin der Klimaangst ins Gesicht leuchtet: „Ich bin da, um den Menschen Bräune zu geben. Und danach Schwärze.“

Jelineks Versuch, die Sonne als nichtmenschliches Bewusstsein zu denken, hat jetzt Nicolas Stemann unter dem Titel „Sonne, los jetzt!“ auf die Bühne des Zürcher Schauspielhauses gebracht. Der 1968 geborene Regisseur und Co-Intendant blickt auf eine lange Geschichte mit der österreichischen Dramatikerin zurück; vor allem in den nuller Jahren wurden seine Uraufführungen ihrer Texte wie „Das Werk“ (2003), „Ulrike Maria Stuart“ (2006) oder „Die Kontrakte des Kaufmanns“ (2009) zum Berliner Theatertreffen oder den Mülheimer Stücken eingeladen.

Stemann und seine Schau­spie­le­r:in­nen übersetzten und verstärkten das Politische von Jelineks Textflächen, die sich schon damals auf menschengemachte Katastrophen und Hybris einschließlich der eigenen bezogen, mit einer Mischung aus Neugier, Spiellust und Popmusik.

Wer ist jetzt der größere Zerstörer?

„Sonne, los jetzt!“ auf der Zürcher Pfauen-Bühne schlägt zunächst düstere Töne an. Im dunklen Zuschauerraum stimmt der amerikanischen Dichter T. S. Eliot mit feinem Singsang vom Band sein Gedicht „The Hollow Men“ an, das mit den bitteren Zeilen endet: „This is how the world ends / Not with a bang but a whimper“.

Dann liest Karin Pfammatter mit schöner, klarer Stimme die ersten Seiten Jelinek, die Musiker Thomas Kürstner und Sebastian Vogel rühren dazu leise Fetzen eines Soundtracks an, und vom Bühnenhimmel klappt langsam eine große, mit dünnem Zellstoff bespannte Sonnen­skulp­tur, die sich im Sprühnebel der nächsten zwei Stunden auflösen wird.

In Auflösung gerät auch der anfänglich puristische Fokus auf den Text. Natürlich ist Jelineks Projekt, mithilfe eines Perspektivwechsels von der eigenen Selbstzentriertheit abzusehen, hoffnungslos, denn ihre Sonne ist allzu menschlich: „Gewordenes zu zerstören ist lustiger. Jedes Kind, das vor seinem drei Meter hohen Legoturm steht, weiß das“, räsoniert sie. Wer aber ist jetzt der große Zerstörer, die Sonne, der Mensch? Oder sind vor dem Kosmos eh alle gleich? 

Mit der Dummheit, Furcht und den Schuldgefühlen in Sachen Klimakatastrophe, die Jelineks Sonne genüsslich aus der Draufsicht beschreibt, können Stemann und sein furioses Ensemble am meisten anfangen. Dabei schlüpfen die Schau­spie­le­r:in­nen Alicia Aumüller, Lena Schwarz, Patrycia Ziolkowska, Daniel Lommatzsch und Sebastian Rudolph, allesamt vor 1984 geboren, neben Karin Pfammatter abwechselnd in die Rolle der Sonne, lassen ihr Gesicht auf die Sonnenscheibe projizieren, spielen aber auch unbelehrbare Urlauber, die mit Plastikplanen Meer markieren und Globus-Wasserbälle ins Publikum werfen.

Viel Elektroschrott

Sie singen, dass es „zu spät“ sei, greifen später als grellbunte Louis-XIV.-Sonnenkönig:innen zu E-Gitarren und kreischen „Highway to Hell“ oder hauchen liebevoll das Gutenachtlied „Schmetterling / kommt nach Haus“ ins Mikro.

Zur Materialsammlung für die Endzeitrevue gehört ein sicher teures Kulissenteil voller Elektroschrott mit nichts als der Funktion, Konsumwahn zu symbolisieren. In immer neuen raffinierten Kostümen von Katrin Wolfermann treten die Per­for­me­r:in­nen auf, schwarze Kluften, die sich per Reißverschluss in schillernde Abendgewänder verwandeln; hoffen wir mal, dass das alles recycelt ist.

Apropos, wie geht eigentlich die reiche Schweiz mit dem Klimawandel um? Ein Schweizerfähnchen wird in einen namenlosen Planetenboden gerammt, doch schmerzhafte Provokationen braucht das Schauspielhauspublikum nicht zu fürchten.

Aussterbende Arten

Wie zuletzt öfter im Theater zählen die Spie­le­r:in­nen ausgestorbene Arten auf, verlängern die Liste in die Zukunft – 2059 ist es nach Pferd und Kuh auch um den Mensch geschehen, doch das Schwein kehrt zurück. Ein Lacher. Schnell noch in Tierfelle und -masken geschlüpft.

Klar ist Theater Verschwendung, entschuldigt sich das Programmheft, aber kein Thea­ter sei schließlich auch keine Lösung. Sicher? Auch Elfriede Jelinek, die in „Sonne/Luft“ nicht nur die Erde untergehen, sondern auch die Sonne bis auf einen Kiesel verglühen lässt, würde jederzeit zugeben, dass sie nichts als weitermachen kann. „Bis dahin wälzen wir wie Mistkäfer unsre Schuld, am Leben zu sein. Doch auch das führt zu gar nichts. Zu nichts“, sind ihre letzten Worte.

Stemann hält zwar mit Greta Thunbergs aus dem Off eingespieltem „How dare you?“ dagegen. Aber es ist eben nicht seine, sondern die Stimme der hier sonst ganz abwesenden nächsten Generation.

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