Jazz in der DDR: Das Lachen des Louis Armstrong
Im Jahr 1965 gab Louis Armstrong 17 Konzerte in der DDR. An die sensationelle Tournee erinnert jetzt eine Ausstellung im Potsdamer Kunsthaus Minsk.
What’s in this wine, I wanna know“, was nur ist in diesem Wein, fragt Louis „Satchmo“ Armstrong in seiner charakteristischen Reibeisenstimme und dreht den Spieß der Pressekonferenz um. Der Kellner wird in den 20 Minuten der Aufzeichnung noch zu tun kriegen. Es wird geraucht, nicht zu knapp, an diesem 19. März 1965 in Ost-Berlin. Die Moderatoren halten mit ihrem prominenten Gast mit. Der US-Amerikaner Armstrong und seine sechsköpfigen All Stars sind gerade in der Hauptstadt der DDR gelandet, sie werden in den nächsten neun Tagen 17 Konzerte in Ost-Berlin, Leipzig, Magdeburg, Erfurt und Schwerin geben. Als Organisator und Übersetzer fungiert der Journalist und Musiker Karlheinz Drechsel, der „Dr. Jazz“ der DDR.
Es dauert eine reichliche Viertelstunde, bis die erste Frage nach der Musik dieser Mini-Tournee gestellt wird. Dabei ist sensationell, was in diesem März passiert: Noch kurze Zeit zuvor, so hat sich der Free-Jazz-Pianist Ulrich Gumpert einmal in einer Sendung des Deutschlandfunks erinnert, war er an seinem DDR-Internat wegen des Besitzes von Armstrong-Singles gemaßregelt worden.
Im Zuge der Tournee wird es Armstrong-Lizenz-Platten auf dem DDR-Label AMIGA geben, mehrere Titel in mehreren Auflagen. Bereits am 10. März 1965 war in Dresden der US-amerikanische Jazzer Leo Wright aufgetreten. Karlheinz Drechsel hatte ihn und seine Band in die DDR geholt. Auch davon wird eine Platte erscheinen. 1967 tritt Ella Fitzgerald in Ost-Berlin auf, im alten Friedrichstadtpalast, dort, wo zwei Jahre zuvor Louis Armstrong gestanden hat. Es hat gedauert, aber der Jazz ist keine imperialistische Sumpfblüte mehr.
„I’ve Seen the Wall“. Das Minsk, Potsdam. Bis 04. Februar 2024. Zur Ausstellung läuft ein umfangreiches Begleitprogramm
Armstrongs Pressekonferenz ist Teil dieser Entwicklung und Teil der Ausstellung „I’ve Seen the Wall“, die seit Sonnabend im Potsdamer Kunsthaus Das Minsk auf zwei Etagen zu sehen ist. Die Schau hat das Zeug, an Louis Armstrong bis jetzt wenig beleuchtete Facetten zu entdecken: Denn er kann unmöglich nur der ständig lachende Entertainer mit der goldenen Trompete und „Hello Dolly!“ im Gepäck gewesen sein, als der er auf einem Livevideo zu sehen ist. Der Kniff des Musikers Jason Moran, er hat mit der Kunsthistorikerin und Minsk-Direktorin Paola Malavassi „I’ve Seen the Wall“ kuratiert, besteht darin, dieses Video im ersten Stockwerk in einem parallelen Loop mit der Pressekonferenz zu zeigen.
Armstrongs politische Überzeugung
Und da ist er, der zunehmend nachdenkliche, langsam unwillig und dann sogar melancholisch wirkende Louis Armstrong, der sagt, natürlich habe er die Mauer gesehen; aber er, er sorgt sich um sein Publikum. Die Journalisten werden nicht müde, ihn nach seinen politischen Überzeugungen zu fragen. Natürlich hat Armstrong welche, aber er möchte sie nicht wie eine Monstranz vor sich hertragen. Irgendwann beschleicht einen die Frage, wen und was dieser Mensch, zumeist mit Freundlichkeit und Musik, sich eigentlich auch vom Leib gehalten haben muss.
Dabei eröffnet Louis Armstrong die Pressekonferenz mit dem Satz, es sollen wirklich alle zu Wort kommen dürfen: „Dafür bin ich hier.“ Im Grunde ist das eine Variante des Traums, der den afroamerikanischen Besatzungsoffizier Washington Price in Wolfgang Koeppens „Tauben im Gras“ umtreibt: „Niemand ist unerwünscht.“ Das ist auch das Prinzip des Jazz.
Davor steht im Erdgeschoss ein groß auf ein Gerüst montiertes Hochformatfoto von Armstrong, der am 20. März 1965 im Friedrichstadtpalast durch den Bühnenvorhang schaut. Und da ist etwas in diesem Gesicht, das zu denken gibt. Mit einiger Sicherheit können wir davon ausgehen, dass Armstrong hier lacht. Wir tun das, weil wir es so mit eigenen Ohren gehört haben. Hätten wir das nicht, dann könnte Armstrong auf dem Foto auch weinen oder schreien. Oder aber, er hat etwas Schelmisches, fast Teuflisches.
„They tell all your children / The devil he’s a villain / It ain’t necessarily so“, wer eigentlich hat euch von klein auf eingetrichtert, der Teufel sei ein Schurke? Es ist nicht zwingend so, heißt es in dem Lied aus George Gershwins Oper „Porgy and Bess“, Schulstoff übrigens in der DDR und auf einer der Armstrong-AMIGA-LPs in einem Duett mit Ella Fitzgerald erschienen.
Im Hintergrund sichtbar
Den Blick Armstrongs durch den Vorhang greift ein Gemälde, ebenfalls im Hochformat, des Malers Willi Sitte, auf: „Angela Davis und ihr Richter“, 1972 auf der VII. Kunstausstellung der DDR mit anderen Gemälden zu Ehren der Bürgerrechtsaktivistin Davis ausgestellt und jetzt im zweiten Stockwerk des Minsk zu sehen. Einige vermuten im Bildhintergrund den singenden Louis Armstrong. Angela Davis schaut durchdringend aus einer zerschossenen USA-Fahne heraus. Es ist naheliegend, zu sagen, sie blickt durch ein Loch, aber erstaunlicherweise sind die Stripes der an dieser Stelle verkohlten Flagge intakt geblieben. Sitte war nicht einfach ein Propagandist. In der Fahne hat sich Militär mit dem Gewehr im Anschlag verschanzt; vor Davis liegt aufgeschlagen eine Art Gerichtsbuch mit den Namen der Nazi-Kriegsverbrecher, darunter der Rassentheoretiker Alfred Rosenberg.
Gegenüber von Angela Davis sind eine Assemblage von Peter Brötzmann, ein Windmesser und mehrere Holzkistenkonstruktionen des im Juni verstorbenen Jazzmusikers und Bildenden Künstlers zu sehen. Dass die Ausstellung den gerne als Avantgardisten verbuchten Brötzmann und den als Traditionalisten eingeordneten Armstrong zusammenbringt, ist ein weiterer schöner Kniff: Brötzmann war kein skrupelloser Modernist, er mochte Armstrong; und die eigenwilligen Baumodelle des Wuppertalers, eines davon zum Beispiel mit einem Schalltrichter als tragende Säule, verweisen auf ein in Potsdam prominent ausgestelltes Hobby des Jungen aus New Orleans: Louis Armstrong beklebte die Kartons seiner Tonbänder mit fantasievollen Collagen. Eine davon zeigt ihn, wie er einer ihm abgenommenen Gesichtslarve die Trompete zum Mund führt. Armstrong lacht, wieder einmal. Was nur vermutet werden kann, ist bei der Maske verblieben.
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