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Jazz-Festival in KopenhagenEtwas ist Jazz im Staate Dänemark

Wer sich mit dem Rad auf eine Stadtrundfahrt durch die dänische Hauptstadt begibt, erlebt während des 41. Copenhagen Jazz Festivals vielerlei Rausch.

Weniger ist mehr? Ach was, mehr ist mehr! „Hess is More“ heißt die Band Foto: Kristoffer Juel Poulsen

Wärme, Sonne, Sommerleichtigkeit in Kopenhagen. Draußen am Nyhavn platzen die Restaurantterrassen vor den bunten Giebelhäusern aus dem 18. Jahrhundert aus allen Nähten. Drinnen wird die Luft knapp. In der kleinen Kantine der Kunsthal Charlottenborg, einer ehemaligen königlichen Residenz direkt am Kanal, trübt eine Nebelmaschine die Sicht im Kerzenlicht. Die Vorhänge sind zugezogen. Das Publikum ist schon beim zweiten Drink angekommen, dabei hat der Abend noch gar nicht richtig begonnen. Dann beginnt ein Musiker an einem Synthesizer herumzuschrauben, ein anderer spielt einen monotonen Bass-Rhythmus; Perkussionisten, Bläser, Gitarristen betreten den Raum.

Auf dem Programm: Jazz. Jedenfalls das, was Mikkel Hess davon versteht. Von dessen Band Hess is More ist man Konzerte mit performativem Charakter gewohnt. Doch was der Mann für die diesjährige Ausgabe des Copenhagen Jazz Festivals vorhat, ist selbst für ihn, diesen fantasievollen Schlagzeuger mit grauem Schnauzer, Neuland: An allen zehn Abenden des Festivals hintereinander gibt Hess mit Septett plus Gästen Konzerte in der Apollo Kantine. Danach stehen allabendlich in der Bar nebenan Jamsessions an, dazu kommen Auftritte im Tagesprogramm, einige davon mit seinen älteren Brüdern Nikolaj und Emil Hess, ebenfalls professionelle Jazzmusiker.

Das Motto der Abende: „Apollonian Circles“. Apoll, der Gott des Lichts und der Künste, könnte auch der Schutzheilige dieses Festivals sein, das seit 40 Jahren immer Anfang Juli die Kulturszene der dänischen Hauptstadt aufleuchten lässt. Was in den letzten Jahren zu einem der größten Jazzfestivals Europas heranwuchs, begann schon 1979 mit großen Namen wie Weather Report und Ella Fitzgerald. Mittlerweile findet das Festival an 100 verschiedenen Locations statt, insgesamt sind es mehr als 1.200 Konzerte. Die Stars 2019: Gregory Porter, Gilberto Gil, Joshua Redman und Kruder & Dorfmeister.

620.000 Menschen wohnen in den 15 Bezirken Kopenhagens, 250.000 Besucher hat das Copenhagen Jazz Festival. Dem über die ganze Stadt verteilten Festival ist schwer zu entkommen – gespielt wird in Kirchen, Museen, Parks und auf dem Wasser. Die meisten Konzerte kosten umgerechnet weniger als 15 Euro Eintritt, etliche sind gar gratis.

Miles Davis’ Drummerin

So spielt Marilyn Mazur, eine dänische Jazzlegende, am Freitagnachmittag Open Air im Kongens Have. Mazur ist die einzige Frau, die je fest in Miles Davis’ Band spielte, doch seit einigen Jahren ist sie mit einer rein weiblichen Band unterwegs. Dabei bringt sie afrikanisch Angehauchtes, Latin, nordische Folklore, Free und Ambient zusammen. Keine leicht verdauliche Sommerkost, doch das Kopenhagener Publikum ist in Scharen in den Park gekommen – und bleibt. In den königlichen Parks ist das Radfahren strengstens untersagt. Doch außerhalb der Hecken geht es nicht ohne: Wer das Festival in all seinen Facetten erfahren will, erlebt per Velo eine friedlich-alternative Stadtrundfahrt.

In der beschaulichen Wohngegend Fredriksberg im Westen sind die Livemusik-Cafés schon am frühen Mittwochnachmittag bis auf den letzten Platz gefüllt. Also weiter auf Radwegen in Fußgängerzonen-Breite. „Rad-Rambos“, wie sie die deutsche Boulevardpresse gern schimpft, gibt es in Kopenhagen nicht. Es ist genug Platz zum Überholen, Handsignale beim Bremsen und Abbiegen sind trotzdem unerlässlich. Zwischendurch lässt man sich von freundlichen Rentnern in hier selten gesehener Warnweste abwechselnd auf Englisch und Deutsch beraten und saust am Vergnügungspark Tivoli vorbei Richtung Innenstadt.

Er beherrscht einen Swing wie aus den schwärzesten Spelunken der Südstaaten

Der Innenhof des Kulturzentrums Studenterhuset mutet mit seinen orangerot getünchten Wänden südländisch an. Außentemperaturen von 24 Grad befördern das mediterrane Flair. Unter einem weißen Sonnendach tritt hier der Trompeter Tobias Wiklund auf. Der 33-jährige Schwede lebt in Kopenhagen, in der hiesigen Jazzszene fand er Mitstreiter wie Simon Toldam, der seinem billig wirkenden Siebziger-Jahre-Keyboard unfassbare Klänge entlockt.

Toldams Instrument klingt wie eine Geisterbahnorgel und liefert damit den ätherischen Gegenpol zur sensationellen Performance des ganz in schwarz gekleideten Wiklund. Der spielt das Kornett, das nur durch den etwas dunkleren Klang von einer Trompete zu unterscheiden ist. Der Bandleader beherrscht einen dunklen Swing, wie man ihn in den schwärzesten Spelunken der Südstaaten erwartet, irgendwo zwischen Duke Ellington und Sun Ra. Ein grandioses Konzert, voller beständig spürbarer Tradition, die doch immer wieder durch kurze avantgardistische Sequenzen gebrochen wird.

Verboten: Pinkeln und Koks

Zur Avantgarde zählte man sich jahrzehntelang auch im Osten der Stadt. Hier liegt die 1971 von Hausbesetzern gegründete Freistadt Christiania. „You are now entering the EU“, verkündet ein Tor demjenigen, der das Gelände verlässt. Hasch und Gras in allen Darreichungsformen waren so gängig wie andernorts Smørrebrød. Mittlerweile haben die rund tausend Bewohner dem Staat das Gelände abgekauft, und doch wird das alternative Idyll die dunklen Schatten nicht los. Immer wieder kam es zu Gewalttaten, 2016 gab es einen Toten. Die Bewohner warfen die Dealer hinaus, doch die kamen wieder – nur sind ihre Verkaufsstände heute kleiner und mobiler.

Den im parkartigen Gelände errichteten Schildern nach zu urteilen, fürchtet man heute Wildpinkler mehr als Junkies, und doch sind die Selbstverständlichkeiten in Christiania anders. Im dortigen Club Loppen fordert auch anno 2019 noch ein Plakat: „No Hard Drugs“. Darunter wird erläutert: Kokain zählt dazu. Das nächtliche Konzert des britischen Drummers Yussef Dayes ist allerdings auch ohne Rauschmittel ein Trip – dafür sorgen schon die hohen Temperaturen im scheunenartigen Loppen. Dayes, der zu den hippsten Musikern der Londoner Szene zählt, spielt einen rauen, jazzifizierten Funk mit roughen Break Beaks. Für die komplett improvisierten Zugaben nimmt er sich fast eine Stunde Zeit.

Ähnlich viel Ekstase bieten die apollinischen Exkursionen des eingangs schon erwähnten Mikkel Hess am Nyhavn. Der Drummer ist inzwischen fast am Ende seines 10-Nächte-Marathons, die letzten Konzerte werden martialisch als „End Game“ angekündigt. Hess und seine acht Mitstreiter haben die übliche Jazz-Konzertordnung einmal umgedreht: Die Band sitzt, das Publikum steht. Noch. Denn während draußen die Sonne untergeht, bitten Hess Is More einzelne Gäste an den raumfüllenden Dinnertisch. Wein fließt, die Musik wird langsam lauter.

Im Folgenden werden die MusikerInnen dann auf die Stühle springen, das Tischtuch zwischen den Kerzen besetzen und darauf liegen. Vermutlich hält nur skandinavische Reserviertheit das Publikum davon ab, es ihnen nachzutun, denn der Sound ist maximal tanzbar: Disco, Funk, Krautrock und elektronische Spielereien sorgen für Enthusiasmus, wie ihn sonst LCD Soundsystem oder Giorgio Moroder hervorzurufen verstehen. Zum Schluss werden die Kerzen ausgepustet, eine nach der anderen. Das Kopenhagener Jazz Festival ist vorbei, das Leihrad muss zurück, der Autor auch. Die Impressionen bleiben von einem musikalischen Rausch, der zehn Tage lang anhielt.

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