piwik no script img

Jasminrevolution in Tunesien"Es gab keine Anführer"

"Das wird auf die gesamte arabische Welt Auswirkungen haben", glauben viele in Tunesien. Für die Plünderungen sind Polizisten in Zivil und Milizen verantwortlich, sagen sie.

Auf der Straße vor dem ausgebranntem Büro der bisherigen Regierungspartei RCD. Bild: reiner wandler

TUNIS taz | „Willkommen in der ersten digitalen Revolution“, sagt der junge Mann und strahlt dabei übers ganze Gesicht. Als „Kareem Bhiri, Innendesigner, arbeitslos und Facebook-Aktivist“ stellt er sich vor. Er ist am Morgen, nachdem der tunesische Präsident Zine El Abidine Ben Ali abdankte und in einem Jet nach Saudi-Arabien floh, auf dem Weg durch die Innenstadt von Tunis. „Eindrücke sammeln, um sie dann online zu stellen“, berichtet er.

Der 29-Jährige ist stolz auf seine Arbeit. „Schließlich war es das Internet, dass all das möglich gemacht hat“. Seit die „Jasminrevolution“ gegen das Regime des seit 23 Jahren regierenden Ben Ali vor einem Monat begann, twittern und facebooken die jungen Menschen in Tunesien ununterbrochen. „Es gab keine Anführer. Das waren wir alle - junge Menschen, Schüler und Studenten zwischen 15 und 30“. Was in Teheran erstmals als Mobilisationsform ausprobiert wurde, hat im kleinen Tunesien zum Erfolg geführt.

Bhiri steht auf dem Platz Bab Souika in der Altstadt von Tunis, direkt vor dem ausgebrannten Büro der bisherigen Regierungspartei, der Demokratisch-Konstitutionellen Sammlungsbewegung (RCD). Die Fenster wurden eingeschmissen, die Fassade ist schwarz vom Ruß. Plakate, Flugblätter und CDs liegen auf dem Boden. „Die Zerstörungen waren nicht willkürlich, wie das Regime behauptete. Sie richtete sich gegen Symbole der Macht“, sagt Bhiri und schaut rund um den Platz.

Ein Handyladen, eine Kneipe, eine Apotheke, die Post … alles ist unbeschädigt. Hinter den Plünderungen und Brandstiftungen in der Nacht vom Freitag auf Samstag, nachdem Ben Alis Rücktritt bekannt gegeben wurde, sieht der Internetaktivist Milizen, die dem alten Regime dienten. „Sie wollten noch im letzten Moment das Chaos sähen“, sagt er.

Ein Abstecher zum nahegelegenen Hopital Charles Nicolle, einem der wichtigsten Krankenhäuser der Stadt, bestätigt diese Vermutung. Während die Polizei niemanden auch nur die Straße überqueren ließ und Schießbefehl hatte, versuchte eine Gruppe schwarz gekleideter Männer, bewaffnet mit Knüppeln und Eisenstangen, das Spital zu überfallen. „Zusammen mit Jugendlichen aus den umliegenden Stadtteilen haben wir uns den Angreifern mit Gestängen der Transfusionsgeräte entgegengestellt“, berichtet der Universitätsarzt Benslema Riad. Mit Erfolg. Das Krankenhaus blieb verschont: „Das hier ist ein Land, in dem mafiöse Strukturen alles kontrolliert haben, die wollten sich einfach rächen und Panik erzeugen.“

Benslema steht mit einem halben Dutzend seiner Kollegen, die alle am Freitag an der Demonstration gegen Ben Ali teilgenommen haben, auf dem Weg vor einem Krankentrakt. Lautstark diskutieren sie über die Zukunft Tunesiens. In einem sind sie sich einig: „Was hier geschieht, wird auf die gesamte arabische Welt Auswirkungen haben!“ Schließlich werde Tunesien das erste Land sein, in dem weder ein Militär noch ein König das Amt des Staatschefs inne hat.

Überall in Tunis kam es in der Nacht auf Samstag zu Überfällen. Mehrere Einkaufszentren gingen in Flammen auf. Und selbst der Bahnhof wurde teilweise zerstört. Eine Bank und ein Geschäft in der Eingangshalle des Zentralbahnhofes von Tunis sind ausgebrannt. Die Schalter der Straßenbahnstation davor liegen in Trümmern.

„Die kamen gestern am späten Nachmittag“, weiß der Bahnhofsvorsteher, der seinen Namen nicht nennen will, zu berichten. In seiner stolzen blauen Eisenbahneruniform steht er mitten im Durcheinander. „Das waren keine Teilnehmer der Demonstration vor dem Innenministerium. Es waren bewaffnete, gut organisierte, junge Männer - Milizen oder Polizisten in Zivil“, ist er sich sicher. Die Demonstration sei schließlich friedliche gewesen, bis die Polizei Tränengas in die über Zehntausend zählende Menge schoss, die den ganzen Freitag über lautstark den Rücktritt von Ben Ali gefordert hatte.

Die Milizen hätten die Gunst der Stunde genutzt, um zu zerstören und zu plündern, und das trotz Ausgangssperre und Ausnahmezustand. „Sie wollten damit das Chaos sähen und dem Ruf der Demokratiebewegung schaden“, meint der Bahnhofsvorsteher. Viele seiner Eisenbahner hatten an der Demonstration vor dem Innenministerium teilgenommen. Er selbst sympathisiert mit der Revolte: „Ich war ein Aktivist für Demokratie in meinen Studentenjahren.“

Draußen vor dem Bahnhof zieht derweil die Armee auf. Die Soldaten kontrollieren an den wichtigsten Kreuzungen der Innenstadt peinlich genau Autos, meist die, in denen junge Männer sitzen. Mannschaftshubschrauber bringen immer mehr Truppen in die Stadt. Alles deutet daraufhin, dass die Übergangsregierung damit um jeden Preis verhindern will, dass es weiterhin zu Bildern der Verwüstung kommt. Premierminister Mohammed Ghannouchi, der am Freitag Abend im Staatsfernsehen das Ende der Ära Ben Ali bekannt gegeben hatte, riet der Bevölkerung, sich in Gruppen zusammenzuschließen, um ihre Habe zu schützen.

Der Bahnhofsvorsteher beobachtet, wie ein Putztrupp in aller Eile den Eingangshalle aufräumt. „Wir müssen schnell arbeiten, um wieder einsatzbereit zu sein und zur Normalität zurückkehren“, erklärt er, „denn sonst droht die Lage unkontrollierbar zu werden.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • F
    flippah

    Genau darum brauchen wir Vorratsdatenspeicherung und Internetsperren, damit sich so etwas in Deutschland nicht auch zutragen kann.

  • A
    arribert

    Wenn das das Internet möglich gemacht hat, werden Innenminister aller Länder sich jetzt schon Gedanken machen, wie man sowas in Zukunft unterbinden kann.

  • R
    rocker

    "schließlich war es das internet, was all das ..." Es waren die Menschen VOR ORT, die all das...

  • A
    anonymous

    Die erste Anonymous-Revolution! Da staunt ihr Alt-68er, was?

  • V
    vic

    Ein Volk verjagt den Machthaberclan, nur durch passiven Widerstand und lautstarke Demonstrationen.

    Das ist Revolution!

    Hoffentlich hat der Nachfolger andere Vorstellungen von Regieren - und vor allem - hoffentlich hat

    er das Militär im Griff, im Sinn das Volkes.

  • K
    KFR

    korrekt, wieder mal das Internet und die Netzwerke schneller, informativer, etwa mit dem "jasmin hashtag" konnte man die Entwicklung bei Twitter live miterleben !

    ( einfach mal auf twitterearch alle 30 Sekunden updaten lassen, dazu braucht man sich nicht mal anmelden )

  • F
    Frotsch

    Der Bevölkerung zu raten, sich in Gruppen zusammenzuschließen um ihr Hab und Gut zu schützen mag zwar realistisch sein...

     

    ... ist aber auch selbst ein Garant dafür, dass Chaos und Anarchie um sich greifen.

     

    Bleibt zu hoffen, dass Gewalt und Unruhen mit dem Rücktritt wirklich vorüber sind und es nicht noch weiter zu Ausschreitungen und deren bewaffneter Niederschlagung kommt.

     

    In jedem Fall hat diese Episode die Macht des Internet und die Macht des Volkes, wenn es sich denn mal zusammenschließt, ganz deutlich demonstriert. Das dürfte ja wohl für überall auf der Welt gelten...