piwik no script img

Japanischer Experte über Fukushima"Es ist immer noch sehr gefährlich"

In allen Reaktoren sind wohl die Druckbehälter geschmolzen, sagt Regierungsberater Tatsujiro Suzuki. Kontrollieren kann das wegen der Strahlung aber niemand. Die meisten Kosten trägt der Staat.

"Alle drei Reaktoren kühlen langsam herunter. Aber das ist nicht das Ende der Probleme und garantiert keine Sicherheit": Ruine des AKW Fukushima. Bild: dpa
Bernhard Pötter
Interview von Bernhard Pötter

taz: Herr Suzuki, über das havarierte AKW in Fukushima ist ein schwerer Taifun hinweggegangen. Hat er die radioaktive Belastung verstärkt?

Es scheint, dass alles in Ordnung ist. Wir waren besorgt, dass bei schwerem Regen das verseuchte Wasser die Anlage überfluten könnte oder radioaktive Partikel aus der Anlage in die Gegend verweht werden könnten. Aber es gibt keine Anzeichen für erhöhte Radioaktivität.

Wann wird die Situation so weit unter Kontrolle sein, dass man nicht bei jedem Sturm mit dem Schlimmsten rechnen muss?

Wir hatten Glück. Die Betreiber haben die Gebäude verstärkt, gerade rechtzeitig vor der Taifunsaison, auch gegen Nachbeben. Die Regierung jedenfalls plant, die Reaktoren bis zum Ende des Jahres herunterzufahren.

Immer noch leben Tausende Menschen nach der Evakuierung aus der Region Fukushima in Notunterkünften. Was hat die Regierung über ihre Evakuierungspolitik gelernt?

Bild: aec
Im Interview: Tatsujiro Suzuki

ist Vizepräsident der japanischen Atomenergie-Kommission. Das Gremium berät die Regierung. Suzuki studierte Kerntechnik und Politik und lehrt an der Universität Tokio.

Wir werden nach dieser Erfahrung sicher unsere Leitlinien ändern. Zum Beispiel gibt es Vorschläge, nicht mehr in Kreisen rund um die Unglücksstelle zu evakuieren, sondern das anders zu regeln. Aber das ist nicht einfach, die Belastung anhand der Windrichtung zu bemessen. Wir haben auch gelernt, dass Computermodelle hilfreich sein können, da waren wir nicht effektiv genug.

Werden die Evakuierten aus der 20-Kilometer-Zone jemals wieder zurückkehren?

Hoffentlich, aber das wissen wir nicht. Unsere erste Priorität ist, die Gebiete außerhalb der 30-Kilometer-Zone zu dekontaminieren, weil da Menschen wohnen. Dann können wir mit der Dekontaminierung der Evakuierungszone beginnen. Wir wollen die Gegend sicher machen, wenn die Menschen zurückkommen. Aber das wird seine Zeit brauchen.

Wie lange denn? Eher Jahre als Monate, oder?

Ja, wahrscheinlich.

Erwarten Sie eine unbewohnte Zone, wie es sie um Tschernobyl gibt?

Wir hoffen nicht. Die Verseuchung ist nicht so schwerwiegend und so weit verbreitet wie in Tschernobyl. Die Entseuchungsarbeiten können also konzentriert werden. Die Leute könnten auch in die 20-Kilometer-Zone zurückkehren, wo die Strahlenwerte jetzt bereits gering sind. Unser Ziel ist es, die Gegend wieder bewohnbar zu machen.

Das hängt von der Situation in den AKWs ab. Wie schwierig ist die noch?

Alle drei Reaktoren kühlen langsam herunter. Aber das ist nicht das Ende der Probleme und garantiert keine Sicherheit. Wir wissen immer noch nicht, wo genau die beschädigten Brennelemente sind.

Es gab Berichte, dass sich der Nuklearkern in Reaktor 3 durch den Druckbehälter ins Containment gefressen hat.

Es ist wahrscheinlich, dass sich bei den Reaktoren 1 und 3 und vielleicht auch 2 die Kerne durch den Druckbehälter geschmolzen haben und in den Schutzbehälter (Containment) gefallen sind. Aber das haben wir noch nicht bestätigt bekommen.

Das heißt, in allen drei Reaktoren liegen hochradioaktive Substanzen außerhalb des Druckbehälters, der sie eigentlich einschließen soll?

Das stimmt. Wir kühlen deswegen die Druckbehälter und die Containments.

Das bedeutet, da kann auch niemand hin wegen der hohen Strahlung.

Im Moment nicht. Wir müssen uns etwas ausdenken, was da zu tun ist. Das wird sehr lange dauern.

Wie lange?

Wir arbeiten jetzt gerade an einer langfristigen Planung für die Aufräumarbeiten. Beim Atomunfall in Harrisburg hat es zehn Jahre gedauert, um die Brennstäbe herauszubekommen. Das ist das Minimum.

Aber in Harrisburg gab es nur einen havarierten Reaktor und der Brennstoff war im Druckbehälter geblieben.

Das stimmt. Deshalb sind zehn Jahre auch die Mindeszeit.

Bedeutet das, niemand kann für zehn Jahre das Containment betreten?

Wir hoffen, dass wir die Strahlung reduzieren können. Wir schicken Roboter rein, wir pumpen Wasser rein, um die Situation zu stabilisieren. Wir müssen immer noch herausfinden, warum Wasser austritt, und diese Lecks abdichten, und vielleicht können wir danach reingehen. Aber jetzt ist die Strahlung einfach noch zu hoch.

Wie hoch denn genau? Haben Sie überhaupt verlässliche Daten?

Wir haben keine Messungen für die Strahlung im Containment. Selbst außerhalb des Schutzmantels waren es stellenweise 5 bis 10 Sievert. Wer sich solcher Strahlung aussetzt, kann getötet werden. Das gibt Ihnen eine Ahnung, wie es da drin aussehen könnte. Es ist immer noch sehr gefährlich.

Welchen finanziellen Schaden hat der Unfall angerichtet?

Eine ganz grobe Schätzung: Harrisburg hat 900 Millionen Dollar gekostet. Hier sind es vier Reaktoren, wir rechnen mit etwa 5 Milliarden Dollar auf dem Gelände.

Und außerhalb?

Nach unabhängigen Schätzungen können das bis zu 250 Milliarden Dollar sein. Das enthält die Aufräumarbeiten und die Kosten, wenn die Regierung verstrahltes Land aufkauft.

Wer zahlt dafür?

Das Gesetz verpflichtet Tepco dazu, die Aufräumarbeiten und die Entschädigungen zu zahlen, noch einmal 10 Milliarden Dollar. Aber wenn Tepco das Geld ausgeht, müssen sie sich einen Kredit besorgen.

Das heißt, Tepco zahlt 5 bis 15 Milliarden Dollar. Und der japanische Steuerzahler 250 Milliarden.

Ja, etwa in diesem Bereich. Darüber müssen wir später nachdenken.

Wie hat sich die Stimmung zum Atom verändert?

Vor Fukushima waren 60 Prozent der Bevölkerung für weiteren Ausbau der Kernkraft. Jetzt sind 60 Prozent für den Ausstieg.

Was passiert mit Japans ehrgeizigem Klimaziel, bis 2030 minus 30 Prozent Treibhausgase zu erreichen?

Dieser Plan beruhte auf den Plänen für 14 neue AKW. Er wurde widerrufen. Jetzt gilt immer noch unser Ziel, bis 2020 minus 25 Prozent zu erreichen. Im Energiemix werden wir mehr fossile Brennstoffe einsetzen. Wir wollen immer noch die 25 Prozent erreichen, aber das schaffen wir vielleicht auch, indem wir mehr Emissionszertifikate von anderen Staaten kaufen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • SS
    Stefan Stark

    Der Werte Herr sieht die Sache allzu optimistisch. Es wäre eher Pessimismus gefordert, vor allem weil man mittlerweile weiss, wie dort mit der Bevölkerung umgegangen wird.

    Dekontamination findet nicht statt und Kinder spielen in dem Sand (in einer Stadt namens Fukushima). Der ist hoch verstrahlt.

    Kontaminierte Erde wird ein bisschen abgetragen und da man die Grenzwerte einfach erhöht, reicht das dann auch.

     

    Nein, diese Katastrophe wurde runtergespielt und wird es noch. Das ganze Zeug ist im Meer gelandet und möchte nicht wissen, wie gross da eine verseuchte Fläche ist. Greenpeace wirds hoffentlich einmal wagen, anzutesten.

    Natürlich wird man dann halt machen, wenn die Verstarhlung lebensgefährlich wird.

     

    In La Hague, ein anderer Skandal, hat Greenpeace grosse ökologische Schäden festgestellt, durch amtlich genehmigte Verklappung von Radioaktivem Müll.

     

    Die nächste grössere Atomkatatstrophe (Westküste USA) wird der übrigen Welt den Gong verpassen, dass die Atomkraft keiner mehr will.

  • R
    reclaim

    Liebe TAZ: Wenn Ihr solchen Atomlobbyisten hier schon unbedingt ein Sprachrohr geben wollt, dann informiert Euch doch bitte vorher und stellt ein bisschen kritischere Fragen. Die Headline reisst den verharmlosenden Charakter des Interviews auch nicht raus:

     

    "TAZ:über das havarierte AKW in Fukushima ist ein schwerer Taifun hinweggegangen. Hat er die radioaktive Belastung verstärkt?

     

    SUZUKI:Es scheint, dass alles in Ordnung ist. Wir waren besorgt, dass bei schwerem Regen das verseuchte Wasser die Anlage überfluten könnte oder radioaktive Partikel aus der Anlage in die Gegend verweht werden könnten. Aber es gibt keine Anzeichen für erhöhte Radioaktivität. "

     

    Die Wahrheit: http://fukushima-diary.com/2011/09/news-japan-after-the-typhoon/

     

    ------------------

     

    "SUZUKI: Die Regierung jedenfalls plant, die Reaktoren bis zum Ende des Jahres herunterzufahren."

     

    Viel Spaß dabei. So sehen die Reaktoren aus, die da bald runtergefahren werden sollen: http://cryptome.org/eyeball/daiichi-npp/daiichi-photos.htm . Die Brennstäbe sind bei den Explosionen sonstwohin katapultultiert worden und/oder an einen unbekannten Ort geschmolzen: http://enenews.com/japan-nuke-expert-fuel-rods-estimated-be-12-meters-underground-reactors-1-3-be-100-feet-deep-year

     

    ------------------

     

    "SUZUKI:Unsere erste Priorität ist, die Gebiete außerhalb der 30-Kilometer-Zone zu dekontaminieren, weil da Menschen wohnen."

     

    Und warum wohnen da Menschen? Warum wurden die Menschen dort nicht evakuiert, wenn dort Dekontaminierung notwendig ist?

     

    ------------------

     

    "SUZUKI:Die Verseuchung ist nicht so schwerwiegend und so weit verbreitet wie in Tschernobyl."

     

    Das weiss aber doch schon Ihre eigene Regierung besser Her Suzuki: "AMY GOODMAN: And you say Japan is equal to or worse than Chernobyl, the Fukushima Daiichi plant?

     

    ROBERT ALVAREZ: That’s correct, because if — the Soviet Union and Russia basically have claimed that about 50 million curies of radioactivity were released to the environment — this is roughly comparable to what the Japanese government has currently admitted — and that this site continues to release significant amount of radiation in the atmosphere,"

    (Quelle: http://www.democracynow.org/2011/6/10/as_japan_nuclear_crisis_worsens_citizen)

     

    ------------------

     

    "SUZUKI: Alle drei Reaktoren kühlen langsam herunter. Aber das ist nicht das Ende der Probleme und garantiert keine Sicherheit. "

     

    Könnte es eventuell sein, Herr Suzuki, dass die Reaktoren deshalb herunterkühlen, weil das was Hitze erzeugt, die Reaktoren bereits zu einem guten Teil verlassen hat? Ach. Sehen Sie ja auch so: "SUZUKI:Wir wissen immer noch nicht, wo genau die beschädigten Brennelemente sind."

     

    ------------------

  • R
    reclaim

    @AntiFun:

     

    "Wieviele Menschen sind denn nun dort gestorben?"

     

    Schwierige Frage, da es nicht immer leicht ist, bei einem konkreten Todesfall definitiv festzustellen, das Strahlung die Ursache war. Siehe hierzu z.B den Streit um die Zahl der Opfer von Tschernobyl:

     

    http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,411839,00.html

     

    Eins ist aber sicher: Die wirklich "interessante" Frage ist nicht, wieviel bisher durch die Atomindustrie (hier die Japanische) umgebracht worden sind - so schnell wirken bestimmte Strahlungsdosen nicht, sondern Wieviele Menschen in Japan, der Westküste der USA und anderen nähergelegenen Regionen der Welt den nächsten Jahren tot und/oder krank sein werden und Wieviele auf Grund der Verseuchung gar nicht erst den Mutterleib verlassen werden können/dürfen...

  • A
    AntiFun

    Wieviele Menschen sind denn nun dort gestorben?

  • I
    ilmtalkelly

    Das klingt doch irgendwie schwammig. Das schöne Wort Dekontaminierung kann in diesem Fall wie auch in Tschernobyl einfach nicht ernst genommen werden.Es ist unmöglich, in einem Gebiet von 20 km Umkreis den Boden auszutauschen, noch den Grundwassereintrag zu kontrollieren.

    Bei aller väterlichen Besorgtheit der japanischen "Reaktorsicherer" ist ihre Ratlosigkeit latent immer dabei.

  • P
    pekerst

    "In allen Reaktoren sind wohl die Druckbehälter geschmolzen..." - Soweit ich weiß, gibt es in jedem Reaktor nur einen Druckbehälter, der in allen Reaktoren geschmolzen ist.

    "Immer noch leben Tausende Menschen..." - "tausend Menschen", aber "Tausende Menschen"? Warum?

    "Es ist wahrscheinlich, dass sich bei den Reaktoren 1 und 3 und vielleicht auch 2 die Kerne durch den Druckbehälter geschmolzen haben..." - Jeder Reaktor hat einen Kern, der sich bei allen durch den Druckbehälter geschmolzen hat. Aber der Plural ist halt zu faszinierend.

  • D
    DDViper

    "Reaktoren bis zum Jahresende runterfahren"...ach, laufen die denn noch? Ich dachte, die sind schon längst "runtergefahren"... kritische Sache sowas.

    Soso, und den CO2-Ausstß um 25% reduzieren, indem man Zertifikate von anderen Ländern kauft...

    Aufgrund des IQ-Testes habe ich eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie. Die gute ist: Ihr IQ ist zweistellig...Die schlechte ist: Es befindet sich ein Komma dazwischen...

     

    Dennoch wurden zwei schöne Kernaussagen getroffen:

    1. Das wird Jahrzehnte dauern, bis da was aufgeräumt ist.

    2. Wie immer zahlt der Steuerzahler für Fehler der Wirtschaft. Es lässt sich halt immer ein dummer finden zum Zahlen der Zeche.

  • V
    Volker

    http://fukushima-diary.com/2011/09/news-japan-after-the-typhoon/

     

    Das mit der Strahlung nach dem Taifun liest sich hier aber etwas anders.

  • B
    barbara

    Ich bin keine Freundin von Verschwörungstheorien, aber DEM Mann glaube ich kein Wort. Er kann und wird schon aufgrund seiner position nich tehrlich sein.