Janosch zum 90. Geburtstag: Horst Eckerts unheile Welt
Der Merlin-Verlag in der Lüneburger Heide feiert Janosch: Zum 90. Geburtstag widmet man ihm dort einen Prachtband.
„Mein Lebenslauf ist veränderbar“, schreibt er Ende der 1990er, es ist nicht ganz klar, wie weit das gilt. Jedenfalls mit 13 Jahren in Zabrze, wo er vor 90 Jahren geboren wurde, am 11. März 1931, da wäre er fast gestorben, sagt er: Als Anfang 1945 die Rote Armee den Ort im Süden Polens erobert hatte, den die Deutschen nach dem Hitler-Ermöglicher Hindenburg benannt hatten.
Da hätten ihn Soldaten, Russen, heißt es in dem Interview, in dem er das erzählt, gezwungen, Kalaschnikow im Anschlag, 300 Schuss in der Trommel, sich an die Wand zu stellen; ihn, und die Männer des Orts. Er neben seinem Opa, der nur noch heult. Und dann sei die Großmutter gekommen, habe den Soldaten ausgeschimpft und es war vorbei: Das ist die Macht der Frauen, bei Janosch, dem Maler, von dem es leicht ist zu sagen, er sei ein Sexist.
Er sagt das auch selbst von sich. Er kokettiert damit: Nicht nur einmal hat er sich einen Frauenhasser genannt, und so in die Richtung. Und in seinen Bildern, also in denen, wo menschliche Frauen und menschliche Männer zusammenkommen zu schwitzendem Sex in ungewaschener Bettwäsche, da sind die Frauen oft deutlich größer als die Hänflinge, die unter ihrem Pantoffel kümmern. Viele können fliegen.
„Janosch – Leben und Werk“, von Marie Thiriet und Marc Bastet (Hg.), Merlin-Verlag, 240 S., 38 Euro
Das alles ist im Prachtband zu sehen, der jetzt anlässlich des runden Geburtstags im Gifkendorfer Merlin-Verlag erschienen ist, „Janosch, Leben & Werk“, so der Titel, der schon mal gleich klarstellt, dass wir hier nicht mit einem bloßen Kinderbuch-Illustrator zu tun haben. Sondern mit einem Klassiker figürlicher Malerei des 20. Jahrhunderts.
Die Frauen jedenfalls sind gewaltig, trotzen Gefahren, dominieren die Szene: Viragos eher als Vetteln, besitzergreifend. Wie aus Rache malt er sie immer nackt, selbst wenn sie angezogen sind, immer scheinen Brüste und Vagina durchs Kleid. Vielleicht wohnt da eine stille Angst vor ihnen, Angst und Ehrfurcht, die man nicht wahrhaben will. Es ist auf jeden Fall verkorkst.
Nach der Flucht aus Polen – die Familie hatte offenbar nicht daran geglaubt, dass ihr Antrag auf Erteilung der Staatsbürgerschaft bewilligt würde – war der spätere Janosch in Niedersachsen gelandet. Mit Unterbrechungen lebte er von 1946 bis 1958 in Bad Zwischenahn bei Oldenburg. In der Wollspinnerei Ripken verdingte er sich als Hilfsarbeiter. Maschinenputzer. „Ich wollte raus aus der Fabrik“, heißt es im Leben & Werk-Band, „wollte nicht mit den fingern zwischen die Zahnräder geraten.“
Diese Möglichkeit der Verstümmelung nennt er seinen Antrieb, Maler zu werden, denn „die Maschinen machten mich verrückt“. Dann will er Künstler werden, zieht nach München, Schwabinger Bohème, wird aus der Kunsthochschule geschmissen, Gelegenheitsjobs, Tapetenmuster entwerfen, erste Bilderbücher. Und so geht’s weiter.
Jetzt lebt er auf Teneriffa, ist weltberühmt und mit Abstand der bekannteste deutsche Maler der Gegenwart, nur haben die meisten Kunsthistoriker*innen vergessen, dass sie ihn je kannten. Und vielleicht ist das ganz gut, denn wer mit zu viel analytischem Verstand sich in den Bilderkosmos vertieft, den Janosch geschaffen hat, den kann schnell das Grauen anfallen, das überall durch sie spukt. Da lauert ein stiller Horror und durch die knalligen Primärfarben und den infantil-krakeligen Strich hindurch wird sichtbar, dass die vermeintlichen Kinderbuchidyllen durch die Bank bewohnt sind von Unholden.
Ja klar, oft versuchen sie nur, auf ihre tapsige Art zärtlich zu sein. Aber sie sind so grob, dass sie einander dabei trotzdem nicht selten böse verletzen. Nur, dass es am Ende gut ausgeht, übertönt das Unheil dieser Welt. Kaspar Mütze und Kaspar Löffel sind eher mit Joker verwandt, als dass man sie sich mit einem Sepplfreund und im besten Einverständnis mit einem Wachtmeister auf Räuber- und Zaubererjagd vorstellen könnte: In so einem Kaspergrinsen steckt ziemlich viel Böses. Man übersieht es nur gern.
Dass ihn seine Zeit im Ammerland tief geprägt hätte, lässt sich nicht sagen. Aber festzustellen bleibt: Janoschs Figuren leben im Flachland. Tiger und Bär bewohnen eine friesische Reetdachkate. Das Meer aus „Schimanski – Die Kraft der inneren Maus“ ist kein südliches. Und an den wenigen Stellen, wo es Berge gibt, sind sie ein Problem.
Eine Chance, ja, auch, aber vor allem ein Problem, an dessen Rand dann das Auto Ferdinand im gleichnamigen Buch verharrt, ein frühes Meisterwerk, wer es als Kind gelesen hat, kann die Verse noch als frühvergreister Journalist 100 Jahre später auswendig. Die Handlung: Ferdinand schafft es allein nicht ans Ziel.
Daraufhin: reinste Kraftfahrzeugs-Solidarität, Taxi sieben, das Auto von der Post, Feuerwehr mit sieben Mann, alle kommen, schieben, bis der Traktor von dem Bauern Nolte – auch ein eher norddeutscher Name – sie mit seiner Riesenkraft auf den Berg geschafft und die Story beendet hätte, wenn nicht oben der „Ferdinand / hinunter übern Bergesrand / und von der steilen Höh’ / in einen tiefen See“ fallen würde. Wo dann, Technikbegeisterung und -skepsis halten sich sehr schön die Waage, ein Pferd ihn rettet. Es ist weiß und seine Mähne ist struppig, die Erinnerung sagt: orange.
Dank sei Pferd! Zu den eigentümlichen Erfahrungen mit diesem Buch gehört die komplette Verschmelzung zwischen dem Fahrer und dem gelben Oldtimer-Coupé. Letzterem allein gilt dabei die Sorge der kindlichen Leser*innen, das ist erprobt über drei Generationen: Der Mann mit dem Schnäuzer ist nur der Geist in der Maschine. Sie hat ihn sich einverleibt. Das Auto hier heißt Ferdinand. Gilles Deleuze hätte sich eingenässt vor Glück.
Andere Männlein zerbrechen fast an ihren Äpfeln. Der fiese Froschkönig aus dem Märchen zerrt die Prinzessin in eine Unterwasserwelt, als wäre er Anne Sextons Vater. Maulwürfe lieben Grillen. Keiner fragt nach dem Verwandtschaftsverhältnis von Tigerente und Tiger. Der lebt mit Bär in einer festen Beziehung. Bis Ferkel kommt, die Sau.
Tatsächlich bedient das kleine Schweinchen den Topos der Verführerin, wie Dido in der Odyssee: Es sprengt die Zweisamkeit von Tiger und Bär, ein Paar, so innig wie Philemon und Baucis. Aber übersieht, wer das feministisch als frauenfeindlich verurteilt, nicht, dass nicht die Figur, sondern sie als weiblich zu lesen sexistisch ist? Dass die Geschlechter dieser surrealen Imagerie vor allem eines sind – fluide? Dass Figuren, die hier Personen sind, ihres Raubtierdaseins müde sind und die Konkurrenz satt haben? Wäre ihre Welt nicht polymorph?
Komplette Verweigerung
Wirklich nach Norddeutschland gekommen ist Janosch erst dank des Merlin-Verlags, als der Ruhm schon anfing. Bei der Buchmesse 1976 habe ihr Vater bei einem TV-Talk in den Zuschauerreihen gesessen, erzählt Verlegerin Katharina Eleonore Meyer, und in dem sei auch Janosch als Interviewpartner vorgesehen gewesen: „Janosch beantwortete einfach jede Frage mit: ‚Ich bin der Janosch.‘“, komplette Verweigerung. „Immer einfach nur: ‚Ich bin der Janosch.‘“
Für den Journalisten ja eher unschön. Aber ihren Vater, den habe diese schroffe Abwehr fasziniert. Und als er ein Jahr später eine Mappe mit Radierungen zu Kinderliedern plante, habe Andreas J. Meyer dann den Kontakt zu Janosch gesucht. Habe ihm einen Drucker vermittelt, an seinem damaligen Wohnhort bei München, der Janosch in die Kaltnadel-Technik einführt. „Und das war der Beginn einer dann doch sehr langen Zusammenarbeit.“
Entstanden ist dabei ein eigener Verlag, die Little Tiger GmbH, in Kooperation mit dem Hause Dressler-Oetinger aus Hamburg, zunächst exklusiv für Janosch-Postkarten und Papier-Merchandising. Mittlerweile hat man auch kanadische Kinderbücher im Programm, Dressler hat seine Anteile nach Gifkendorf abgegeben.
Noch bis zum 20. März zeigt das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe die Ausstellung „Janosch – Lebenskunst“. Für den Besuch ist eine Ticketbuchung erforderlich.
Im Merlin-Verlag selbst aber ist der Janosch als Künstler ernst genommen worden, von Anfang an, und es ist vielleicht sinnvoll, von dort auf sein bekannteres Oeuvre zu schauen: Die süßen Geschichten hat jemand gemalt, der Bukowski liebt und auch als Illustrator von de Sade gewirkt hat. Und hier ist auch sein dramatischer Monolog „Zurück nach Uskow, oder Der Hund von Cuernavaca, oder Eine Spur von Gott“ erschienen, sperriger Titel, fürwahr, zu lang, um für einen Dramaturgen catchy zu sein, möglicherweise.
Abrechnung mit der Kindheit
Das Theaterstück für einen Mann und einen Fernseher formuliert eine niederschmetternde Abrechnung mit der Kindheit. Die ähnelt stark dem, was über Horst Eckerts ersten Jahre bekannt ist, auch die Kalaschnikow kommt vor: Sie erscheint als Ort des Missbrauchs, der Vergewaltigung, der Betäubung mit Schnaps, der Schläge, der Tritte, der Beimpfung mit religiösem Wahn, durch einen Katholizismus, der Menschen zu Staub macht.
Auf ewig. Und sie vergeht nicht: „Eigentlich“, wird der Mann, der im Stück nur Steiner heißt, am Ende sagen, „konnte ich nie so leben, wie es sein muss. Mühelos und fröhlich“. Immer habe er diesen Ekel in sich getragen, „und es war auch dieser Hass“. In seiner Kunst und seinen Büchern ist Eckert dieser Kindheit entronnen. Als der Janosch. Der leben kann. Dazu herzlichen Glückwunsch.
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