Jamie xx: „Politik inspiriert mich eigentlich zu überhaupt nichts“
Der britische Produzent und DJ Jamie xx geht mit seinem Album „In Waves“ auf Tour. Hier spricht er über Gegenwart, Nostalgie und Partys ohne Drogen.
taz: Jamie xx, auf Ihr zweites Soloalbum „In Waves“ musste die Welt neun Jahre warten. Das letzte Album Ihrer Band The xx erschien 2017. Was haben Sie seither gemacht?
Jamie xx: Während der Pandemie erlebte ich erstmals seit meiner Jugend einen normalen Alltag zu Hause. Dadurch kam auch der Spaß am Musikmachen zurück. Inspirierend fand ich in der Zeit auch das Bedürfnis der Leute, zu feiern. Nach dem Lockdown waren Clubs noch geschlossen, in meiner Nachbarschaft war trotzdem viel los: Partys fanden etwa auf Booten am Kanal in Hackney statt, eigentlich unter fast jedem Baum.
taz: Und doch hat es Clubkultur gerade schwer – viele sehen sie gar ernsthaft bedroht.
Jamie xx: Ehrlich gesagt höre ich das, seit ich selbst ausgehe – also seit 20 Jahren. Und ja, es ist nicht schön, wenn Orte sich anders verändern, als man sich das wünscht. Wie oft war ich todtraurig, wenn ein Lieblingsladen geschlossen wurde! Aber so wachsen Städte nun mal. Die ständige Bewegung bringt mit sich, dass sich die Clubkultur weiterentwickelt.
12.3.2025, Hamburg, Sporthalle
14.3.2025, Berlin, Uber Eats Music Hall
18.3.2025, Offenbach, Stadthalle
taz: Das Problem ist nicht nur die Gentrifizierung, sondern auch, dass es junge Leute scheinbar aus verschiedenen Gründen gar nicht mehr so in Clubs zieht.
Jamie xx: Letztes Jahr legte ich zehn Tage am Stück im Londoner Club Venue MOT auf. Es war irgendwie tröstlich, wie viele junge Leute da waren – nicht unbedingt zum Partymachen, im Sinne von Trinken und Drogen nehmen. Aber sie hatten Spaß. In meiner Jugend bin ich vor allem in Clubs gegangen, um Musik zu hören. Für mein Album spiele ich aktuell hauptsächlich große Shows – so ein Zwischending aus DJ-Gig und einer Performance-Version von Auflegen. Zu diesen Abenden kommen tatsächlich eher Leute meines Alters, die ihre Jugend wieder aufleben lassen. Trotzdem fühlt es sich lebendig an – alle, die da sind, lieben Clubkultur.
ist ein Londoner DJ. Der Produzent Jamie xx (James T. Smith), Jahrgang 1988, wurde als Teil des Bedroompoptrios The xx 2009 bekannt – und bald zum gefragten Produzenten und DJ. 2015 erschien sein Soloalbum-Debüt „In Colour“, der Nachfolger „In Waves“ (XL/Beggars/Indigo) kam 2024.
taz: Auf „In Waves“ haben Sie viele Gäste versammelt – wie wird das live umgesetzt?
Jamie xx: Gäste sind live keine dabei – auch, weil es dann zu sehr auf einen Ablauf festgelegt wäre. Ich will variieren und improvisieren; die Shows sind eher Rave als Konzert. Leute sollen miteinander tanzen statt Richtung Bühne zu schauen.
taz: Die Musik von „In Waves“ klingt durch Samples und Referenzen wie eine Reise durch die Geschichte von Clubkultur. Sind Sie nostalgisch?
Jamie xx: Früher haben mich nostalgische Gefühle sehr inspiriert – was damit zu tun hatte, dass ich da noch kaum Lebenserfahrung hatte. Ich hatte idealisierte Vorstellungen von den Anfängen der Clubkultur und von den 1990er Jahren. Jetzt, wo ich älter werde und sehe, wie eine jüngere Generation eine Ära romantisiert, die ich miterlebt habe – und dort nach Anregung sucht – interessiert mich das nicht mehr so. Auch wenn das etwas seltsam klingt: Ich will die Gegenwart annehmen.
taz: Aktuell sind wir von fundamentalen Krisen umgeben. Feiern Menschen da anders?
Jamie xx: Dass wir mit diesen Krisen konfrontiert sind, beschäftigt mich durchaus. Aber wie ich auf Musik reagiere, hat wenig damit zu tun, wie schlecht die Welt gerade ist. Politik inspiriert mich eigentlich zu überhaupt nichts.
taz: Aufgeladene Zeiten haben oft doch spannende Musik hervorgebracht.
Jamie xx: Ich fände ja toll, wenn noch einmal etwas wie Punk entstehen würde. Doch damals hatten Subkulturen Zeit und Raum, sich organisch zu entwickeln. Mittlerweile springt einen alles permanent an – Nachrichten, aber auch alles andere. Ich sehe wenig Raum für neue Bewegungen, als Reaktion darauf, was in der Welt passiert. Eigentlich hat sich keine Subkultur mehr entwickelt, seit das Internet so allgegenwärtig ist.
taz: Lange waren Sie der einzige Ihrer Band mit eigenen Projekten. Zwischenzeitlich haben Romy Madley Croft und Oliver Sim auch bemerkenswerte Soloalben herausgebracht. Hat das die bandinterne Dynamik verändert?
Jamie xx: Wir sind mit dem neuen Album relativ am Anfang. Während der ersten Sessions hatten wir endlose Gespräche, wohin wir uns entwickeln, weil jeder eine starke eigene Perspektive mitgebracht hat. Je öfter wir aufnehmen, desto mehr finden wir in unseren Modus zurück. Es wird immer schöner, wieder zusammenzuarbeiten.
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