Jahrestag der Revolution in Nicaragua: Revolutionäre in Isolationshaft
Präsident Daniel Ortega feiert den 43. Jahrestag der sandinistischen Revolution von 1979 als Diktator. Einstige Mitstreiter sitzen in seinen Kerkern.
„Den Yankees, dem Imperialismus kann man nicht über den Weg trauen“. Man würde zwar gern verhandeln, aber es sei unmöglich. Informierte erkannten darin eine Anspielung auf die Geheimdiplomatie des Ortega-Sohns Laureano in Washington, die nach dem Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine von nicaraguanischer Seite abrupt abgebrochen wurde.
Anders als in Zeiten, da noch jubelnde Massen zum Festakt geströmt waren, fand die Feier nach Einbruch der Dunkelheit auf dem relativ kleinen Revolutionsplatz statt, der nur mit zwangsverpflichteten Staatsangestellten gefüllt werden konnte. Als einziger ausländischer Regierungschef gab sich Ralph Gonsalves, Ministerpräsident des karibischen Zwergstaats St. Vincent and the Grenadines, her. Zur Belohnung wurde er mit dem Sandino-Orden dekoriert.
Ortega hat zuletzt auf dem Weg vom autoritären Staat zur offenen Diktatur eine weitere Etappe zurückgelegt. Vor wenigen Tagen ließ er sieben der letzten oppositionellen Bürgermeister durch Parteileute ersetzen. Die Begründung, dass deren Partei Bürger für die Freiheit (CxL) als staatsfeindlich aufgelöst worden sei, findet keine Grundlage in der Verfassung.
Zunehmend geknebelt wird auch die Zivilgesellschaft. Seit Jahresbeginn wurden fast 800 NGOs, die ausländische Finanzierung erhalten, als „ausländische Agenten“ verboten. Darunter praktisch alle Menschenrechts-, Umwelt- und Frauenorganisationen aber auch entwicklungspolitisch engagierte Organisationen aus Europa wie medico international.
Politische Arbeit ist in Nicaragua schon lange nicht mehr möglich. Vor der Wahlfarce vom November wurden fast alle möglichen Gegenkandidaten und Oppositionsführer sowie prominente Journalisten verhaftet. Viele von ihnen wurden inzwischen nach eigens geschaffenen Gummigesetzen wegen „Verletzung der nationalen Souveränität“ zu 8 bis 14 Jahren Kerker verurteilt.
Ortegas ehemaliger Weggefährte Hugo Torres ist schon im Februar an den Haftbedingungen gestorben. Der ehemalige Vizeaußenminister Víctor Hugo Tinoco wurde zum Sterben in den Hausarrest entlassen.
Mit ausgewählter Grausamkeit wird auch die ehemalige Heldin der Revolution und spätere Gesundheitsministerin Dora María Téllez gequält. Seit mehr als 400 Tagen ist sie bei völliger Dunkelheit in eine Einzelzelle gesperrt und konnte seither nur achtmal Besuch von Angehörigen empfangen. Die Angehörigen wollen jetzt mit dem Slogan „Sei menschlich!“ auf das Schicksal der politischen Gefangenen aufmerksam machen und deren Freilassung durchsetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!