Jahrestag Genozid an Armenier*innen: Schweigen und relativieren
Vor 105 Jahren begann der angeordnete Massenmord an Armenier*innen im Osmanischen Reich. Doch die Türkei lehnt eine Aufarbeitung noch immer ab.
A m 24. April wird des Genozids an den Armenier*innen gedacht. Vor 105 Jahren, begann der angeordnete Massenmord an Armenier*innen im Osmanischen Reich. 1915-16 ermordeten das „Komitee für Einheit und Fortschritt“, auch Jungtürken genannt, und einige sunnitisch-kurdische Gruppen 1,5 Millionen Armenier*innen.
Es begann damit, dass am 24. April in Istanbul Hunderte armenische Schriftsteller und Intellektuelle verschleppt, gefoltert und hingerichtet wurden. Wehrfähige Männer wurden als Erste ermordet. Dann begann die Vertreibung von Frauen, Kindern, Alten und Kranken. Sie wurden in Todesmärschen in die syrische Wüste getrieben, wo sie verhungerten und verdursteten. Mädchen und Frauen wurden vergewaltigt oder als Sexsklavinnen verkauft.
Es herrscht Geschichtsrevisionismus
Der Völkermord ist in der Türkei immer noch nicht anerkannt. Stattdessen herrscht seit 105 Jahren ein Geschichtsrevisionismus à la Turka:“Armenier? Die waren auf einmal weg.“ À la Turka Premium: “Die Türken wurden von den Armeniern ermordet.“ Seither wird in der Türkei keine Aufarbeitung geleistet, im Gegenteil, nach 105 Jahren, ist „Armenier“ in der Türkei immer noch ein Schimpfwort.
Journalist*innen und Historiker*innen, die recherchieren wollen, wird der Zugang in türkische Archive verwehrt oder erschwert. Deutschland, die lahme Schnecke, hat erst 2016 den Genozid an den Armenier*innen anerkannt. Wahrscheinlich hat es so lange gedauert, weil das Deutsche Reich unter Kaiser Wilhelm II. mit den Jungtürken verbündet war. Deutsche Kontinuitäten!
Diese deutsch-türkische Freundschaft wird auch in Berlin weitergeführt: In Neukölln auf dem Gelände der türkischen Şehitlik-Moschee (surprise, surprise: Ditib) befinden sich die Ehrengräber von Cemal Azmi Bey und Bahattin Şakir Bey. Bis er 1943 in die Türkei überführt wurde, war auch Talat Pascha (1915 Innenminister der Türkei, leitete den Völkermord ein) dort begraben. Bahattin Şakir Bey ist Gründungsmitglied des Komitees für Einheit und Fortschritt und Mitorganisator des Genozids, Cemal Azmi Bey war Hauptverantwortlicher des Genozids in Trabzon. Azmi hielt sich einen armenischen Haussklaven und schenkte seinem Sohn „schönste armenische Mädchen im Alter von zehn bis dreizehn Jahren“.
Teil der deutschen Geschichte
Auf der Webseite der Ditib-Moschee sind Talat, Cemal und Bahattin unter „wichtige und bekannte Persönlichkeiten“ des Friedhofs gelistet. Kein Wort darüber, welche Rolle sie beim Völkermord spielten, dafür die Notiz, dass alle drei von Armenier*innen ermordet worden sind. Auch einige türkische Interessenverbände in Deutschland (Türkische Gemeinde, Ditib, UETD) erkennen den Genozid nicht an oder drücken sich um klare Benennung. Doppelte Standards: hier Rassismus beklagen, aber selbst Genozid relativieren. Wow. Deutschland, wann kriegst du deine Faschisten in den Griff?
Der Genozid an den Armenier*innen ist Teil deutscher Geschichte und gehört in die deutschen Lehrpläne. Und die Leugnung des Genozids sollte unter Strafe stehen.
Diese Kolumne widmen wir den ermordeten Armenier*innen, den Überlebenden und ihren Nachkommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?