Jahresbericht zu Antidiskriminierung: So viele Anfragen wie nie
Die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman stellt am Dienstagmorgen ihren Jahresbericht vor. Die meisten Anfragen gab es zu Rassismus.
Insgesamt betrafen 6.627 Fälle ein im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschütztes Merkmal wie Alter und Geschlecht – nicht dazu gehören Fälle, die einen Bezug haben zur Staatsangehörigkeit, zum sozialen Status oder der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Die Zahl macht deutlich: Es sind so viele Anfragen wie noch nie. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 waren es noch 4.247 Anfragen. Die meisten Fälle betrafen Rassismus (43 Prozent), gefolgt von Anfragen zur Behinderung (27) und des Geschlechts (21).
Ataman hat laut dem Bericht drei wesentliche Ziele: Das AGG sowie die Antidiskriminierungsstelle sollen bekannter gemacht werden, damit „alle ihre Rechte kennen“, Beratungsstellen sollen flächendeckend zur Verfügung stehen und das AGG soll reformiert werden. Laut ADS sei das deutsche eines der schwächsten Europas. Bei der Reform sollen Diskriminierungsgründe geweitet werden, Fristen verlängert und ermöglicht werden, dass auch Antidiskriminierungsverbände klagen können. Letzteres sei sonst überall in Europa möglich.
Diskriminierung durch KI
Dem Bericht zufolge gab es über 1.000 Anfragen zu diskriminierendem Verhalten von Ämtern und Behörden und mehr als 300 durch die Polizei und die Justiz. Staatliche Stellen können jedoch nicht vom Diskriminierungsschutz durch das AGG belangt werden. Auch das soll durch die Reform des AGG geändert werden. Mit 16 Prozent liegt dieser Bereich der Anfragen auf Platz 3, hinter der Arbeit mit 27 Prozent und „Güter und Dienstleistungen“ mit 20 Prozent.
In der Vorstellung des Berichts am Dienstagmorgen kündigte Ataman zudem eine Studie an, die sich mit der Diskriminierung durch Algorithmen und Künstlicher Intelligenz auseinandersetzen soll: „Wir wissen, dass schon heute bei sehr vielen Alltagsgeschäften wie Wohnungsvergaben mit automatisierten Entscheidungssystemen gearbeitet wird“, so Ataman. „Die Frage ist: Ist das diskriminierungssensibel? Daten sind nicht neutral.“
Ataman setzt sich für pflegende Angehörige ein
Derzeit gäbe es „nicht einmal 100 Vollzeitstellen für Antidiskriminerungsberatungen“, heißt es im Bericht. Im Durchschnitt sei damit eine Beratungsperson für fast eine Million Menschen zuständig. Laut einer Studie des ADS soll künftig ein Schlüssel von maximal einer Beratungsperson für 200.000 Menschen gelten. Dies soll ermöglicht werden durch das Programm „respekt*land“, mit dem der Bund insgesamt fünf Millionen Euro zur Verfügung stellt. Damit sollen ab Ende des Jahres 35 Projekte für drei Jahre mithilfe der Länder gefördert werden.
Zu bereits geltenden Diskriminierungsformen will sich Ataman zudem mehr für sorgende Angehörige einsetzen – beispielsweise pflegende Töchter oder werdende Väter, denen bei Inanspruchnahme von Elternzeit oder Pflegezeit mit negativen Konsequenzen im Job gedroht wird. Nach geltendem Recht seien das keine Fälle von Diskriminierung, sondern ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot. Deshalb sollen „Fürsorgeverpflichtungen“ als Diskriminierungsmerkmal aufgenommen werden. Bislang gibt es Alter, Behinderung, Geschlecht, sexuelle Identität, Religion und Weltanschauung sowie ethnische Herkunft.
Die Antidiskriminierungsstelle berät bereits seit 2006, jedoch ist Ferda Ataman seit Juli 2022 die erste Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung. Ataman arbeitete zuvor als Journalistin und gründete unter anderem die Neuen Deutschen Medienmacher*innen. Ihre Wahl auf fünf Jahre wurde begleitet von einer Kampagne von rechts.
Seit ihrer Wahl muss die Bundesregierung sie einbeziehen, wenn sie Gesetze und Maßnahmen zur Antidiskriminierung plant. Sie selbst hat die Möglichkeit, Stellungnahmen abzugeben. So setzt sich Ataman dafür ein, dass das Diskriminierungsmerkmal „Alter“ in Artikel 3 des Grundgesetzes aufgenommen wird, und zuletzt auch immer wieder für das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG).
Beim SBGG kritisiert sie immer wieder den sogenannten Hausrechtsparagrafen, der es in den Entwurf des SBGG geschafft hat. Demnach sollen Betreiber_innen von Frauensaunen selbst entscheiden können, wer Zutritt bekommt. „Es ist sehr beunruhigend, wenn in einem Gesetzestext, und sei es nur in der Begründung, auf rechtspopulistische Argumente eingegangen wird“, sagte Ataman dazu am Dienstagmorgen. „Das macht mir Bauchschmerzen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs