Jahresbericht Flüchtlingswerk UNHCR: 110 Millionen auf der Flucht
Der Krieg in der Ukraine hat den schnellsten Anstieg der Flüchtlingszahlen seit dem Zweiten Weltkrieg verursacht. Die Türkei hat die meisten Flüchtlinge aufgenommen.
„Diese Zahlen zeigen uns, dass Konfliktparteien viel zu schnell einen Konflikt beginnen, ohne politischen Lösungen genügend Raum zu geben, und viel zu langsam sind, um Lösungen zu finden“, sagte der Hohe Kommissar der UN für Flüchtlinge, Filippo Grandi. „Die Folgen sind Verwüstung, Vertreibung und Leid für jeden einzelnen der Millionen Menschen, die gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben wurden.“
Von den 108,4 Millionen bis Ende 2022 Vertriebenen sind 35,3 Millionen Flüchtlinge, also Menschen, die eine internationale Grenze überquert haben. Bei 62,5 Millionen Menschen handelte es sich im sogenannte Binnenflüchtlinge, die innerhalb ihrer Heimatländer Schutz suchten.
5,7 Millionen Flüchtlinge als Folge des Ukraine-Kriegs
Der Krieg in der Ukraine machte im Jahr 2022 die stärkste Veränderung aus. Er ließ die Zahl der internationalen Flüchtlinge aus dem Land auf 5,7 Millionen ansteigen. Es ist die schnellste Entwicklung einer Flüchtlingssituation seit dem Zweiten Weltkrieg. Zum Vergleich: Aus Syrien floh die gleiche Zahl an Menschen nach 2011 innerhalb von vier Jahren.
Weiterhin finden die mit Abstand meisten Menschen Schutz in armen Ländern. Allein auf die 46 am wenigsten wirtschaftlich entwickelten Staaten der Erde entfallen weniger als 1,3 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung, aber mehr als 20 Prozent der Flüchtlingsaufnahme. Internationale Hilfen für humanitäre Hilfe und Aufnahmeländer blieben derweil nach Angaben des UNHCR auch 2022 „weit hinter dem Notwendigen zurück“.
Die Staaten mit der höchsten Flüchtlingsaufnahme weltweit waren die Türkei (3,6 Millionen), Iran, wohin rund 3,4 Millionen Afghan:innen geflohen sind, Kolumbien, das rund 2,5 Millionen Venezolaner:innen aufnahm, und auf Platz 4 Deutschland mit rund 2,1 Millionen Aufgenommenen. An der Spitze der Herkunftsländer lag Syrien mit 6,5 Millionen, gefolgt von der Ukraine und Afghanistan mit je 5,7 Millionen. Den höchsten absoluten Zuwachs an neuen Asylanträgen verzeichneten die USA mit rund 730.000 Schutzgesuchen, gefolgt von Deutschland mit rund 218.000 Anträgen.
„Menschen auf der ganzen Welt zeigen weiterhin eine außergewöhnliche Gastfreundschaft gegenüber Flüchtlingen, indem sie ihnen Schutz und Hilfe gewähren“, sagte Grandi. „Aber wir brauchen viel mehr internationale Unterstützung und eine gerechtere Aufteilung der Verantwortung, gerade mit den Ländern, die die meisten Vertriebenen aufnehmen.“
Fast 340.000 Flüchtlinge kehrten freiwillig heim
Zu den positiven Entwicklungen zählt, dass viele Menschen das Exil wieder verlassen konnten. 2022 kehrten mehr als 339.000 Flüchtlinge freiwillig in 38 Länder heim, etwa in den Südsudan, nach Syrien, Kamerun und Côte d’Ivoire. Gleichzeitig kehrten im vergangenen Jahr 5,7 Millionen Binnenvertriebene zurück in ihre Heimat, vor allem in Äthiopien, Myanmar, Syrien, Mosambik und in der Demokratischen Republik Kongo.
Kein öffentliches Wort der Kritik kam vom UNHCR an den einschneidenden Verschärfungen des Asylrechts in der EU. Andere Organisation nahmen die neuen Flüchtlingszahlen hingegen dafür zum Anlass.
So sagte David Miliband, der Präsident des International Rescue Committee, die Rekordzahl von Vertriebenen zeige, wie unzureichend die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft auf die humanitären Auswirkungen von Konflikten und der Klimakrise sei.
Gleichzeitig würden die globalen Mechanismen, die vor humanitärem Leid schützen sollen, immer weiter abgebaut. Die von der EU beabsichtigten und „von den EU-Innenminister*innen inklusive der von Ministerin Faeser“ kürzlich abgesegneten Grenzverfahren hätten zur Folge, dass noch mehr Menschen, Kinder nicht ausgenommen, unter haftähnlichen Bedingungen an den Außengrenzen festgehalten werden, so Miliband. Es bestehe die Gefahr, dass „Verantwortliche für gewalttätige und illegale Pushbacks weiterhin nicht zur Rechenschaft gezogen werden“.
Angesichts der größten Vertreibung seit dem Zweiten Weltkrieg sei es „sehr besorgniserregend, dass vor allem die Länder mit hohem Einkommen Geflüchtete und Asylsuchende nicht mit Menschlichkeit und Gerechtigkeit, sondern mit Unmenschlichkeit und Grausamkeit empfangen. Anstatt Sicherheit zu garantieren, verstärken diese grundlosen politischen Entscheidungen nur die unsicheren Bedingungen, vor denen asylsuchenden Menschen überhaupt erst fliehen.“
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