Italiens Fußballklubs scheitern: Schiffbruch der Schönlinge
Die italienischen Klubs sind den englischen Teams physisch und spielerisch unterlegen. Erstmals seit sieben Jahren steht kein Serie-A-Verein im Viertelfinale der Champions League.
Francesco Totti weint nach dem verlorenen Elfmeterschießen gegen Arsenal London. "Ein Champions-League-Finale in Rom gibt es nur einmal in einer Karriere", gibt er schluchzend zu verstehen. Der Kapitän des AS Rom wird das Finale am 27. Mai im heimischen Olympiastadion allenfalls auf der Ehrentribüne erleben dürfen. José Mourinho hingegen bockt. "Ich habe gesiegt", sagte er nach dem Ausscheiden seines FC Internazionale in Manchester. Begründung: Inter habe besser gespielt als noch vor einem Jahr und vor allem keine Angst mehr vor dem Gegner gehabt. "Der Champions-League-Komplex ist überwunden", konstatiert er. Mit dieser bizarren Analyse steht der Portugiese im Lande seiner Geldgeber aber recht allein da.
Die Vereine der Serie A haben das Dreifachduell gegen den englischen Fußball im Achtelfinale der Champions League wie im vergangenen Jahr verloren. Das Viertelfinale findet ohne italienische Beteiligung statt. Und weil auch im Uefa-Cup mit Udinese nur noch ein einziger Club aus dem Land des Weltmeisters im Rennen ist, macht sich nicht nur die verständliche Trauer in der Art eines Francesco Totti breit, sondern gleich Weltuntergangsstimmung.
Wir sind "aus Europa gejagt", titelt zutiefst beleidigt die Tageszeitung Repubblica. "Albtraum Europa", konstatiert die Gazzetta dello Sport - ganz so, als seien sportliche Erfolge ursächlich mit der Psychotechnik des Träumens verknüpft oder als wäre der Kontinent schuld an der Misere. Nein, Juve, Inter und Roma sind völlig verdient ausgeschieden. Ihnen wurden ausgerechnet in ihren jeweiligen Paradedisziplinen die Grenzen aufgezeigt. Inter und Juve, die unerreichten Kraftpakete der Serie A, sind auf Gegner gestoßen, die körperlich mächtiger waren, ähnliche Willensstärke aufwiesen und dazu noch die entscheidenden Sekundenbruchteile schneller reagieren konnten. Der gern wegen seines Kombinationsspiels gepriesene AS Rom hat ohnmächtig zusehen müssen, wie die schmächtigen Buben des FC Arsenal den Ball laufen ließen und später ihre Technik beim Schuss vom Elfmeterpunkt bewiesen.
Der italienische Fußball ist aus Europa gejagt worden, weil er dem internationalen Niveau nicht standhält. Den Spitzenclubs der Serie A gelingt es immer weniger, ein Spiel zu entwickeln. Sie verlassen sich auf einzelne Protagonisten. In der nationalen Meisterschaft mag ein Geniestreich eines Ibrahimovic oder Del Piero, eines Totti oder Kaká (im Falle des aus dem Uefa-Cup gekegelten AC Mailand) ausreichen, um sich drei Punkte zu sichern. Den spielerisch hochwertigeren Fußball praktizieren allerdings schon jetzt Mittelklassevereine wie Genoa oder Cagliari, Palermo oder Atalanta. Dass sie nicht bis ganz oben durchkommen, liegt an individuellen Mängeln, physiologischen Abwärtskurven und auch an der berühmten Sudditanza, der Ergebenheit der Schiedsrichter gegenüber den großen Mannschaften. Im Zweifelsfalle wird denen doch ein Elfmeter zugesprochen oder der farbige Strafkarton in der Tasche gelassen. In Italien können sich Juve und Inter, Milan und Roma darauf verlassen, dass das Beet bestellt ist. Wenn doch einmal etwas schiefgeht, wird der Schuldige im kleinsten und am schlechtesten bezahlten Team auf dem Rasen gesucht: dem der Schiedsrichter. Echten Wettbewerb und schonungslose Fehleranalyse sind die Schönlinge der Serie A nicht gewohnt. Daher erleiden sie Schiffbruch, sobald sie außerhalb der Landesgrenzen antreten müssen.
José Mourinho, engagiert, um die Spielanlage von Inter Mailand zu verbessern, hat dies zumindest erkannt. Er will die Mentalität seiner Spieler verändern. Es wäre allerdings paradox, sollten ausgerechnet in einem System, das zur Sedierung der Gesellschaft perfektioniert wurde - "Italien isst Brot und Fußball", pflegt Regierungschef Silvio Berlusconi zu sagen - Tugenden wie Rationalität, Tüchtigkeit und Ehrlichkeit einziehen würden.
Davor muss aber niemand Angst haben. Juventus etwa, mit einem halben Dutzend begabter Mittelfeldspieler versehen, die einen tollen Kombinationswirbel entfachen würden, wenn der Coach sie damit beauftragte, sieht die Rettung nicht in der verstärkten Arbeit am Ball, sondern in der Verpflichtung neuer Stars. Das ist so, als nähme man Red Bull gegen Krebs.
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