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Italien qualifiziert sich für Fußball-EMFest des Fußballs

Italien qualifiziert sich an einem sehr besonderen, auch politischen Abend für die EM 2024. Das hat vor allem mit dem Gegner aus der Ukraine zu tun.

Intensive Partie: Georgiy Sudakov (l) aus der Ukraine und Italiens Alessandro Buongiorno im Duell Foto: Federico Gambarini/dpa

Tore haben den Ruf, die Essenz des Fußballs zu sein, das Fleisch am Knochen dieses mitunter etwas zäh erscheinenden Spiels, aber manchmal entsteht der Zauber der Sportart sogar ohne irgendwelche Treffer. Das 0:0 in der EM-Qualifikation am Montag zwischen der Ukraine und Italien war exakt so ein Fest des Fußballs auf ganz unterschiedlichen Ebenen: sportlich, historisch und vor dem Hintergrund der Weltlage irgendwie auch politisch.

„Die Spieler haben den Charakter der Ukraine gezeigt“, sagte der Trainer Serhiy Rebrov, nachdem seine Mannschaft die direkte Qualifikation für das Kontinentalturnier verpasst hat und auf eine erfolgreiche Play-off-Runde im kommenden März hoffen muss. „Sie alle wissen, dass der Krieg in der Ukraine weiterläuft. Es ist immer noch sehr hart für die Spieler, sie schauen ständig auf ihre Handys und verfolgen die Nachrichten aus der Heimat“, erklärte Rebrov. „Es ist nicht einfach, in dieser Atmosphäre zu arbeiten.“

Das ist einerseits sehr traurig, trug aber nicht unwesentlich zur Intensität dieses Fußballabends bei. Die Ukrainer trugen diese offiziell als Heimspiel deklarierte Partie im Rheinland aus, weil hier besonders viele ukrainische Flüchtlinge untergekommen sind, die tatsächlich ein Heimspielambiente erzeugten.

Aber auch die Italiener trugen viel zur hochintensiven Stimmung bei, die jederzeit friedlich und respektvoll war. Während die ukrainische Hymne lief, applaudierten viele Italiener, alles blieb jederzeit fair und respektvoll. Ein Hauch jenes Turnierzaubers war zu spüren, den sich die deutschen Veranstalter für den kommenden EM-Sommer wünschen. Und hoch spannend war es ebenfalls.

Trauma des späten Gegentreffers

Als die Schlussphase anbrach, war alles angerichtet für ein neuerliches italienisches Drama des Scheiterns. Ein Tor und der EM-Titelverteidiger hätte nach verpassten Weltmeisterschaften 2018 und 2022 eine weitere direkte Turnierqualifikation verpasst. Die Italiener waren schon die etwas bessere Mannschaft über die 90 Minuten hinweg, aber das Trauma des Gegentreffers gegen Nordmazedonien in der zweiten Minute der Nachspielzeit, mit dem die Mannschaft 2022 die WM in Katar verpasste, war als tiefe Angst allgegenwärtig in jenen Minuten.

Die hingebungsvollen Ukrainer drängten mit zunehmender Verzweiflung auf den Treffer, mit dem sie Italien vom direkten Qualifikationsplatz verdrängt hätten. Und dann gab es in der Nachspielzeit diesen Fußkontakt zwischen Mykhailo Mudryk und Francesco Acerbi im Strafraum, den die Schiedsrichter mit guten Argumenten als Foulspiel hätten betrachten können. Vielleicht war die Szene nicht ganz glasklar, sodass ein Eingriff des VAR ausbleiben konnte, aber wenn es den Strafstoß für die Ukraine gegeben hätte, hätte auch kein klarer Fehler vorgelegen. „Aus meiner Sicht war das ein Elfmeter“, sagte Rebrov.

So blieb dem Spiel seine Schlusspointe verwehrt, und die Italiener konnten feiern, statt ein weiteres tragische Fußballdrama erleiden zu müssen. „Es war keine Selbstverständlichkeit, sich für die Europameisterschaft zu qualifizieren, so wie im Fußball überhaupt nichts einfach ist“, sagte Luciano Spaletti, der Meistertrainer des SSC Neapel, der seit dem Sommer für die Squadra Azzurra verantwortlich ist und ein Umbruchprojekt eingeleitet hat.

Besonders in den zwanzig Minuten vor der Pause war Spallettis flügellastiger Offensivstil gut erkennbar gewesen, insgesamt war Italien schon die bessere Mannschaft mit den stärkeren Einzelspielern. „Wir hatten die Möglichkeit, in Führung zu gehen, aber wenn das nicht gelingt, ist es ganz normal zu leiden“, sagte Spalletti. Zumal den Italienern ihre Coolness abhanden gekommen ist, diese Selbstgewissheit, mit der Gegner zermürbt und zahllose Spiele der Vergangenheit zu zähen Aneinanderreihungen von Unterbrechungen wurden. Die hohe Kunst der Destruktion gehört derzeit wahrlich nicht zum Wesen dieser Mannschaft.

Dass dieser Erfolg in dieser schönen Atmosphäre in Deutschland geschafft wurde, nährt dennoch die Zuversicht für den kommenden Sommer. Die rund 6.000 Italiener im überwiegend mit Ukrainern gefüllten Stadion haben „uns ihre ganze Unterstützung spüren lassen“, sagte Spalletti, das sei „ein gutes Omen“ für die EM. Und Torhüter Gianluigi Donnarumma dachte bereits über eine Titelverteidigung nach. „Wir sind überglücklich, weil wir wieder da sind, wo wir hingehören“, sagte er, „und das ist nur gerecht so, weil wir der Titelverteidiger sind – und die EM im nächsten Jahr auch wieder gewinnen wollen.“ Die Ukrainer hingegen treffen in den Play-off-Halbfinals entweder auf Bosnien, Israel oder Polen.

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