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Ist Hamburg der Nabel der Musikwelt?Die Faust aufs Auge

Das Reeperbahnfestival verkörpert den Hamburger Traum: gute Musik, viele Business-Leute und noch mehr Touristen.

Mords was los: die Reeperbahn als Konzertarena. Bild: Jörg-Martin Schulze

HAMBURG taz | Die Kultursenatorin lässt warten. Ist ja auch ein ungewohnter Ort für eine Pressekonferenz: Ein Café auf St. Pauli mit Polstersesseln und Nierentischen. Und ein ungewöhnlicher Anlass ist es auch: Die Kultursenatorin kommt, um Werbung zu machen für das Reeperbahnfestival. Das veranstaltet nicht die Stadt, sondern die Inferno Events GmbH.

Als die Kultursenatorin dann da ist, fällt die Werbung euphorisch aus. „Hamburg kann stolz sein auf dieses Festival“, sagt Barbara Kisseler (parteilos), „das Festival hat sich zu einer Art Leitmedium entwickelt. Ich habe von internationalen Kollegen gehört: ’Baut das aus!‘“ Was die Stadt auch tut: Insgesamt fördert Hamburg das Reeperbahnfestival mit fast 500.000 Euro.

Wenn die Kultursenatorin dann von einem „Leitmedium“ spricht, meint sie, dass das Reeperbahnfestival nicht nur ein Festival für Freunde der anspruchsvollen Rockmusik ist, sondern auch ein Treff der internationalen Musikbranche. Neben den über 300 Bands, die in den Clubs an der und rund um die Reeperbahn herum auftreten werden, kommen Leute von Plattenfirmen, Konzertagenturen, Medien, Verbänden und Behörden, um sich auf einer Konferenz parallel zum Festival über die Entwicklungen der Branche auszutauschen und auf erstaunlich vielen Partys Visitenkarten auszutauschen.

500.000 Euro städtische Förderung ist viel Geld für eine Veranstaltung, die es erst seit 2006 gibt. Aber Hamburg möchte erklärtermaßen eine Musikstadt sein und sich international als touristisches Ziel profilieren. Zu beidem passt das Reeperbahnfestival wie die Faust aufs Auge.

Konkurrent ist die Berlin Music Week

Das Konzept, Fachmesse und Festival zu kombinieren, praktizieren aber auch andere: Die Berlin Music Week etwa, die erst Anfang September stattfand und in direkter Konkurrenz zum Reeperbahnfestival steht. Beide Veranstaltungen haben in etwa gleich viele Konzertbesucher und bieten gleich viele Veranstaltungen fürs Fachpublikum. Das Pfund, mit dem das Reeperbahnfestival wuchern kann, ist das Setting: Alle Konzerte, Diskussionen, Ausstellungen, Partys und Vorträge finden auf St. Pauli statt. Von der Kirche bis zum Stripschuppen sind über 70 Locations beteiligt.

Außerdem zeichnet sich das Reeperbahnfestival durch ein kompetentes Händchen bei der Auswahl der Künstler aus. Nur wenige der über 300 Bands haben schon einen Namen, wie in diesem Jahr Y’akoto, Kate Nash oder Kettcar. Der Großteil stammt aus dem Independent-Rock-Bereich und ist einem größeren Publikum noch unbekannt – das Reeperbahnfestival funktioniert als Talentscout.

Wer zu spät kommt, muss warten

Die schöne Vorstellung, mit einem Tagesticket spontan von Club zu Club zu wandern und überall interessante neue Bands zu hören, wird trotzdem in der Regel nicht wahr: Mit rund 11.000 Besuchern pro Tag sind die Clubs schnell voll, und wer zu spät kommt, muss warten oder weiterziehen.

Es empfiehlt sich, Konzerte gezielt auszuwählen und pünktlich zu sein. Oder jene Locations aufzusuchen, die wie das Schulmuseum unbekannt sind und sich am Rande des Geschehens befinden. Hierfür ist ein Fahrrad zu empfehlen: Wer auf dem Reeperbahnfestival nur zu Fuß unterwegs ist, verliert sehr viel Zeit.

Falls das alles nichts hilft oder das Festival ausverkauft sein sollte, gibt es noch eine dritte Programmsäule neben Musik und Konferenz: die Kunst. In den Galerien auf und um den Kiez gibt es unter dem Dach des Festivals so viele Ausstellungen, Filmvorführungen, Lesungen und Installationen, dass auch ohne Musik niemandem langweilig wird. Und der Eintritt für die Ausstellungen ist häufig: frei.

■ Mi, 25. 9. bis Sa, 28. 9., Hamburg-St. Pauli, Infos:

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1 Kommentar

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  • T
    Thommy

    Oh Gott, ich hasse dieses Scheißfestival. Viel zu teuer, bringt niemanden was. Letztes Jahr hätte ich gerne Pascow im Indra gesehen, aber dann den Eintritt für dieses ganze überdimensionierte Spektakel zu blechen, war für mich finanziell einfach nicht drin. Die 500.000 Euro sollten lieber in billige Probräume fließen, damit Jugendliche Bands gründen können. Es ist scheißeschwer in Hamburg bezahlbare Proberäume zu finden. Kulturbudget für Selbstverwirklichung statt Eventkacke und Elbphilharmonien!