Israels Militär auf den Golanhöhen: „Selbst wenn die Panzer kommen, werden wir nicht gehen“
Im Dorf Hamidaya auf den syrischen Golanhöhen sind die israelischen Truppen nicht weit. Seine Bewohner sind des Krieges überdrüssig – und wollen bleiben.
Die zusammen Tee trinkenden Männer nicken zustimmend. Das ist die Stimmung in Al-Hamidaya, einem syrischen Dorf mit etwas mehr als 2.000 Einwohnern in der sogenannten entmilitarisierten Zone zwischen Israel und Syrien auf den Golanhöhen.
Obwohl die Truppen nah sind, gebe es ihnen ein wenig mehr Sicherheit, wenn man sie nicht sehe, sagen die Menschen im Dorf. Der Innenhof ist somit ein guter Zufluchtsort für Gespräche.
Die Dorfbewohner sind mehr verbittert als wütend: Die israelischen Truppen, die ihr Gebiet besetzt haben, sollen abziehen und sie in Ruhe lassen. Sie sind des Kriegs überdrüssig, nachdem der syrische Bürgerkrieg fast 14 Jahre angehalten hatte. Sie wollen keinen Ärger mehr.
Sind Israels Stellungen wirklich temporär?
Der blitzschnelle Vormarsch der Rebellen gegen das Regime von Baschar al-Assad gipfelte am Sonntag, dem 8. Dezember, in der Einnahme der Hauptstadt Damaskus. Mit ihm einher ginge eine Ausdünnung der syrischen Sicherheitskräfte. Die von der Zivilbevölkerung gefürchteten Checkpoints verschwanden, ebenso die Sicherheitskräfte vor offiziellen Gebäuden, sowie an den Landesgrenzen.
Israels Grenzen zu seinen Nachbarn sind labil. Mit jedem Scharmützel, jedem Konflikt, jeder Annexion werden sie verschoben. Und auch diesmal ergriff Israel die Gelegenheit, die Karte der Region neu zu zeichnen. Seit dem Krieg von 1967 besetzt Israel die Golanhöhen – und will dort laut einer jüngsten Ankündigung der Regierung die Zahl der Bevölkerung verdoppeln.
Nun stehen Israels Truppen auch in der entmilitarisierte Zone zwischen den israelischen Golanhöhen und Syrien. Und besetzt damit auch mehrere Orte – wie das kleine al-Hamidaya im syrischen Gouvernement Quneitra – ganz oder teilweise. Und ebenso den Gipfel des strategisch wichtigen Berges Hermon weiter nördlich.
„Die israelischen Truppen sind am Sonntagmorgen um 6 Uhr hier eingedrungen, nachdem das Regime gefallen war“, sagt der 60-jährige Atallah Hamud. Das Haus, in dem die Nachbarn zusammen Tee trinken, gehört ihm. „Die Menschen hatten große Angst, vor allem die Kinder. Wir wussten nicht, was los war! Wir konnten Schüsse in der Luft hören.“
Die Hauptstraße aus dem Dorf hinaus ist unterbrochen
Die Soldaten hätten die Bewohner von al-Hamidaya aus ihren Häusern gezwungen, erzählen die Männer. Sie hätten sich auf dem Dorfplatz versammeln müssen, die Truppen hätten die Herausgabe aller Waffen verlangt und ihre Häuser durchsucht. „Wir haben zwei Tage lang in anderen Häusern geschlafen“, sagt Atallah. Danach hätten die Truppen ihnen die Rückkehr erlaubt – „aber wir mussten feststellen, dass sie das Haus in eine Kaserne verwandelt hatten“, sagt er. Atallah ist auch der stellvertretende Bürgermeister von Al Hamidaya.
Atallahs Frau zeigt daraufhin Bilder des Hauses auf ihrem Handy: Die Decken in den Zimmern liegen auf dem Kopf, die Küche ist auf den Kopf gestellt, Lebensmittel wurden weggeworfen. Mittlerweile hat die Familie das Haus wieder ausgeräumt. Doch es gibt immer noch Spuren der Besetzung: An einer Wand steht etwas auf Hebräisch.
„Sie verhängten eine Ausgangssperre für 5 Uhr“, sagt Atallah. „Wir hatten fast eine Woche lang keinen Strom und Wasser, weil sie beides abstellten. Dann stellten sie es wieder an. Jetzt ist alles besser, stabiler… Aber wir fühlen uns erdrückt.“ Die Hauptstraße, die den Ort mit Khan Arnabeh – der wichtigsten Stadt in der Region, außerhalb der entmilitarisierten Zone – verbindet, sei unterbrochen. „Wir müssen über Nebenstraßen fahren, und das dauert sehr lange.“ Und die Fahrt sei wegen des hohen Benzinpreises sehr teuer.
In ihren Gesprächen beim Tee erwähnen die Menschen immer wieder den Bürgermeister eines Nachbarortes. Er hatte mit den israelischen Truppen gesprochen. Die Botschaft, die er erhalten habe: Die israelischen Soldaten sollen Ende Dezember abziehen, eine Delegation von Hayat Tahrir al Sham (HTS) – dem Zusammenschluss von Rebellengruppen, die die Offensive zum Sturz des Regimes angeführt hatte – soll mit den Truppen verhandeln. Dann sollen auch die derzeit im Dorf besetzten Häuser – nach Angaben von Einheimischen sind es sieben – wieder freigegeben werden.
Wie lange werden die Truppen nahe al-Hamidaya bleiben?
Die israelische Regierung hat bisher nicht klargestellt, wie lange die Truppen in der entmilitarisierten Zone bleiben werden. Bei einem Besuch in dem strategisch wichtigen Gebiet nur zehn Tage nach dem Sturz Assads erklärte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, dass seine Truppen so lange dort bleiben würden, bis eine andere Vereinbarung gefunden sei, „die Israels Sicherheit garantiert“. Parallel dazu haben die israelischen Streitkräfte Hunderte Ziele in ganz Syrien bombardiert, von Militärbasen bis hin zu Waffenlagern und Marineflotten.
Der Anführer der HTS, Ahmed al Shara – vor der Übernahme Syriens unter seinem Kampfnamen Abu Mohamed al Golani bekannt – erklärt: Der Wiederaufbau und die Stabilität eines Syriens sei nun Priorität. Man könne es sich nicht leisten, in weitere Kämpfe verwickelt zu werden. Er warnte aber auch, dass Israel jetzt – da die Assad-Verbündeten Iran und Hisbollah das Land verlassen haben – keinen Vorwand mehr habe, in syrisches Gebiet einzumarschieren und es zu bombardieren.
Der stellvertretende Bürgermeister Atallah, der als Sprecher der Nachbarn fungiert, zeigt auf eine Narbe an seinem Bein. Er sagt, bei einem Angriff des syrischen Regimes sei seine Ex-Frau getötet und er selbst verletzt worden, am 23. November 2016, betont er. Ein Datum, das er nicht vergisst.
Die Menschen haben keine Lust mehr zu kämpfen. Zumindest die in diesem Innenhof. Sie haben genug. „Wir wollen keinen Krieg, mit niemandem“, sagt Atallah. Und sie alle wollen bleiben: „Selbst wenn die Panzer kommen, werden wir nicht gehen“, sagt Khalil. Die anderen nicken zustimmend. Im Hintergrund ist das Donnern der israelischen Flugzeuge zu hören.
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