Israelischer Luftangriff in Syrien: „Die ganze Welt ist davon betroffen“
Der israelische Sicherheitsexperte Ganor über Gefahren, die von Chemiewaffen-Labors und anderen Rüstungsschmieden in Syrien ausgehen.
taz: Dr. Ganor, gab es einen Angriff auf einen Waffenkonvoi, eine syrische Forschungseinrichtung oder beides?
Boas Ganor: Das ist schwer zu sagen. Offensichtlich ist, dass es einen Angriff gab. Wenn Israel daran beteiligt war, ist aus israelischer Sicht eine rote Linie überschritten worden – sei es, dass Chemiewaffen an die Hisbollah geliefert werden sollten oder moderne Waffen. Israel kann nicht zulassen, dass solche Waffen in die Hände von Terroristen fallen.
Womöglich wurde nur die Forschungsstation angegriffen. Womöglich gab es auch einen Angriff auf einen Konvoi, der sich vielleicht nicht mehr auf syrischem Boden befand.
Seit dem israelisch-libanesischen Krieg 2006 sollen UNO-Truppen den Waffenschmuggel in den Libanon unterbinden. Warum überlässt Israel ihnen nicht diese Aufgabe?
Wenn wir die Soldaten nach dem Ergebnis beurteilen, dann sind sie leider ihrer Aufgabe offensichtlich nicht gewachsen. Und zwar nicht erst seit Beginn des Bürgerkrieges in Syrien. Seit Kriegsende bis heute liefert Iran via Syrien – und auch Syrien selbst – moderne Waffen in großem Umfang und ganz offen an die Hisbollah. Die Waffenlager der Hisbollah sind nicht nur wieder aufgefüllt, sondern das Arsenal konnte verdoppelt, wenn nicht verdreifacht werden.
Rechnen Sie mit Reaktionen vonseiten Syriens oder der Hisbollah auf die israelischen Angriffe in der Nacht zum Mittwoch?
Im Moment wäre eine Reaktion schwierig. Die syrische Regierung ist damit beschäftigt, sich an der Macht zu halten. Ein Konflikt mit Israel wäre, wenn überhaupt, erst dann wahrscheinlich, wenn die syrische Führung ihre Hoffnung auf ein Überleben aufgibt. Ob die Hisbollah reagiert, hängt zunächst davon ab, ob sie überhaupt angegriffen wurde, was wir noch nicht wissen.
51, ist Gründer und Direktor des „International Policy Institute for Counter-Terrorism“ (ICT) am Interdisziplinären Zentrum in Herzlia, Israel.
Die Hisbollah hat das Problem, dass ein Teil ihrer Kämpfer sich derzeit in Syrien befindet, um den Truppen von Präsident Baschar al-Assad beizustehen. Eine zweite Front ist für sie nicht wünschenswert. Dazu kommt, dass in Europa darüber diskutiert wird, die Hisbollah auf die Liste der Terrororganisationen zu setzen. Auch deshalb wäre es momentan klüger, die israelische Kröte zu schlucken und nicht zu reagieren.
Rechnen Sie damit, dass Israel erneut angreifen wird?
Das Problem ist nicht beigelegt, schließlich geht es nicht nur um eine Forschungsanlage. Das syrische Arsenal nichtkonventioneller Waffen gehört zu den größten der Welt. Das syrische Regime wackelt, es ist eine Frage der Zeit, bis es stürzt. Die Hisbollah und andere Terrorgruppen, auch solche, die al-Qaida nahestehen, werden versuchen, ihre Hand auf diese gefährlichen Stoffe zu legen. Wenn das passiert, werden wir zuschauen müssen, wie sie überhaupt auf der Welt zum Einsatz kommen – nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in Europa, Afrika und anderswo.
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