Israelisch-libanesische Grenze: Leben unter den Augen der Hisbollah
Viele Städte in Nordisrael sind wegen anhaltender Angriffe aus dem Libanon schon evakuiert. Hurfeish ist eine Ausnahme.
Die Grenze zum nördlichen Nachbarland verläuft weniger als einen Kilometer Luftlinie von Hurfeish entfernt. Und auch die Stellungen der libanesischen Miliz Hisbollah liegen nur wenige Hunderte Meter weiter. Das macht die Idylle der Kleinstadt trügerisch.
Anfang Juni griffen Drohnen der Hisbollah Hurfeish an, elf Menschen wurden verletzt, einige von ihnen schwer. Trotzdem wollen die Bewohnerinnen und Bewohner nicht evakuiert werden – obwohl der israelische Staat es ihnen empfiehlt. „Wir verlassen unser Land nicht“, sagt Shakeb Shanan, Teil des Gemeinderats von Hurfeish und ehemaliges Mitglied der Knesset. „Nirgendwo fühlen wir uns sicherer als in unseren Häusern.“
Und wenn der vor sich hin schwelende Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah nun in einen viel intensiveren Krieg eskaliert? Die Angriffe der Hisbollah auf Nordisrael nahmen jüngst deutlich zu – und damit auch die Diskussionen, ob eine Offensive des israelischen Militärs in den Südlibanon notwendig ist.
Die Furcht vor der Eskalation
Zehn Zivilisten und 15 Angehörige des Militärs sind seit vergangenem Oktober in der nördlichen Grenzregion Israels durch die Angriffe der Hisbollah ums Lebens gekommen. Dass es nicht mehr sind, liegt vor allem daran, dass die gesamte Region seit damals zum Großteil evakuiert ist. Über 60.000 Menschen müssen seit bald neun Monaten in Haifa, Jerusalem und anderen Städten in Hotels und angemieteten Wohnungen leben.
Hurfeish ist einer der wenigen Orte an der Nordgrenze, in denen noch Menschen leben. Die Berge, die sie umgeben, schützen die Stadt. Dazu kommt, dass 95 Prozent der knapp 7.000 Bewohnerinnen und Bewohner von Hurfeish zur Bevölkerungsgruppe der Drusen gehören. Dass sie sich weigern, ihre Heimat zu verlassen, überrascht wohl kaum einen in Israel. Die gängigsten Klischees über die Minderheit: Die Drusen seien loyal zum Boden ihrer Vorfahren und tapfere Kämpfer für den Staat Israel, dessen Bürger sie seit seiner Gründung sind. Die Zahlen scheinen das Klischee zu bestätigen. Während die Drusinnen und Drusen gerade einmal 1,5 Prozent der Bürger ausmachen, stellen sie etwa 5 Prozent der Streitkräfte Israels.
Die Klischees über ihn und seine Gemeinschaft sind für Gemeinderat Shanan eher ein Kompliment. „Es gibt keinen besseren Ort, um in dieser Region ein Druse zu sein“, sagt er. Trotz ihrer Weigerung, die Stadt zu verlassen, blieben er und seine Familie vorsichtig, betont er. Es gebe einen Punkt in Hurfeish, sagt Shanan, von dem aus man durch eine Lücke zwischen den Hügelkuppen den Libanon von ganz Nahem sehen könne. „Lass dich nicht von Nasrallah erblicken“, scherzt seine Ehefrau, bevor Shanan aus der Haustür tritt, um die Lücke zu zeigen. Hassan Nasrallah ist der Chef der Hisbollah.
Ein wenig später geht es im Auto durch ein Neubaugebiet Richtung Norden, Richtung Grenze. „Solange gebaut wird, haben wir Hoffnung“, sagt Shanan. Auf dem Weg liegt das Gartengrundstück einer seiner Töchter, bepflanzt mit Obst- und Olivenbäumen. Lange sei die Familie nicht mehr dort gewesen.
Immer wieder knallt es
Die Straße wird schmaler, die Büsche am Rand beginnen sie zu überwachsen, die Zweige reichen in den Weg hinein. Shanan deutet auf eine Antenne auf dem Gipfel des nahen Bergs Meron: „Die versucht die Hisbollah immer wieder zu treffen“, sagt er. Eine Militärbasis liegt dort, die Luftaufklärung leistet. Viele ihrer Raketen gingen deshalb auf dem Hügel nieder.
„Ab hier können sie uns aus ihren Stellungen sehen“, sagt Shanan in einer Kurve. „Ab jetzt solltest du schneller fahren.“ Die Route führt auf eine Anhöhe, an einen Wendepunkt. Eine Betonbarriere versperrt teilweise die Sicht, doch durch eine Lücke zwischen den hohen Blöcken öffnet sich der Blick zwischen zwei Hügelkuppen hindurch auf den Südlibanon. Auf der anderen Seite liegt ein idyllisch wirkendes Dorf zwischen bewaldeten Hügeln.
Auch vom Schrein des drusischen Propheten Sabalan, der im Süden Hurfeishs auf einem Hügel über der Stadt thront, lässt sich ein Blick auf den Libanon werfen. Immer wieder hallt ein dumpfer Knall über das Tal. Sein vierjähriger Enkelsohn, sagt Shanan, könne schon sehr gut unterscheiden, auf welcher Seite der Grenze die Raketen einschlagen. „Er weiß: Wenn es in Israel ist, hört man die Sirenen.“
Israels Angriffe auf die Hisbollah im Libanon nehmen ebenfalls zu. Mitte Juni wurde bei einem Luftschlag Taleb Abdullah getötet, ein Kommandeur der schiitischen Miliz. Die schlug daraufhin mit einer Welle von Hunderten Raketen und Drohnen zurück, eine Eskalation schien nie näher. Die USA und die europäischen Staaten bemühen sich seither vermehrt, in Gesprächen sowohl auf israelischer als auch auf libanesischer Seite, einen ausgewachsenen Krieg zu verhindern.
Den Gegner fest im Blick
Doch im Hintergrund bereitet sich Israel – wie wohl auch die Hisbollah – auf eine Eskalation vor. Einige Militäranalysten in Israel glauben, im August oder September könnte es so weit sein. Nach Angaben der Times of Israel sollen die für den Einsatz im Libanon prädestinierten Einheiten der Armee ihr Training für eine Bodenoffensive beendet haben. Mindestens vier Brigaden sollen nach Angaben verschiedener Analysten derzeit an oder nahe der Grenze stationiert sein. Und doch sind die Vorbereitungen noch nicht abgeschlossen.
Zu viele Soldaten, darunter viele Reservisten, sind noch in die Kämpfe in Gaza eingebunden. Viele sind sich einig: Für eine Bodenoffensive in den Libanon werden auch Truppen benötigt, die derzeit dort kämpfen. Um im Norden einer zweiten, personenintensiven Front standhalten zu können, müssten sie abgezogen werden. Dazu scheint das Militär in Gaza noch nicht bereit zu sein.
Das letzte Mal standen israelische Truppen 2006 auf libanesischem Boden. Nach vier Wochen Krieg läutete die Resolution 1701 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen damals einen Waffenstillstand ein. Die Resolution sah vor, dass Israels Truppen sich aus dem Libanon zurückziehen. Außerdem sollte die Hisbollah ihre Waffen abgebe. Zwischen der Südgrenze zu Israel und dem horizontal verlaufenden Fluss Litani sollte eine Zone frei von bewaffneten Kräften etabliert werden. Wirklich umgesetzt wurde das nie. Das Waffenarsenal und die Stärke der Hisbollah wuchs, sie rückte bis auf Sichtnähe an die Grenze heran.
Erfolg würden Gegner Israels weiter anstacheln
An dem Teil der Grenze, an dem Hurfeish liegt, haben sich die beiden Konfliktparteien im Blick. Die Kibbuzim und Moschaws – landwirtschaftliche Güter – liegen dort teils direkt im Blick der Hisbollah. An den Einfahrten zu den Siedlungen blockieren große Felsbrocken den Weg, einmal sogar ein kleiner Checkpoint. Gelangweilt sitzen dort ein paar junge Soldaten.
Einer von ihnen hat seine Militärjacke ausgezogen und sich in Tanktop und Camouflagehose auf einen Plastikstuhl gefläzt. Wer ihren Checkpoint passieren will, wird lässig durchgewunken. Am Horizont leuchtet die Kuppel der Moschee der südlibanesischen Stadt Ayta ash-Shab. Nach eigenen Angaben hat das israelische Militärs dort erst vor Kurzem eine Raketenabschusstelle der Hisbollah zerstört.
„Wir müssen diesen Krieg gewinnen“, sagt Shakeb Shanan. Nicht nur, weil seine Nachbarn sonst nicht in ihre Dörfer und Kibbuzim zurückkehren könnten. Sondern auch, weil jeder militärische Erfolg die Gegner Israels in der Region noch anstachele. Israel müsse jetzt eine Entscheidung treffen, wie es der Hisbollah und ihren Verbündeten begegne, sagt er. „Sonst müssen wir alle hier bald lernen, bis nach Zypern zu schwimmen.“
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