Israel: Flüchtlinge im Gelobten Land
Auf mindestens 2000 werden die Flüchtlinge aus Afrika geschätzt, die es nach Israel verschlagen hat. Dort leben sie unter schwierigen Bedingungen, zumeist ohne Job.
JERUSALEM taz Agnes Samson sitzt gekrümmt auf einem Plastikstuhl. Die 23-Jährige ist im zweiten Monat schwanger und kämpft gegen den Brechreiz. "Ich will zu meinem Mann. Jemand muss sich um mich kümmern", jammert die junge Frau aus Swasiland. Ihr Mann, Clement Charles Buddha Schaschwell, sitzt aber einige Kilometer entfernt im Flüchtlingslager Ketziot. Die beiden sind vor sechs Wochen illegal über die ägyptische Grenze gekommen und gleich von Soldaten abgefangen worden.
Mindestens 2.000 afrikanische Flüchtlinge leben heute im Gelobten Land, von dem sie hoffen, dass es die Endstation ihrer oft jahrelangen Irrwege sein wird. Sie kommen aus Darfur, aus dem südlichen Sudan, aus Ghana, Guinea und von der Elfenbeinküste. Viele leben auf der Straße, nur wer Glück hat, findet einen Job. Die meisten sind in Armeelagern, in Kibutzim und im Flüchtlingslager Ketziot in Südisrael untergebracht.
Erst kürzlich versprach der israelische Innenminister Meir Shitrit, "einige hundert Flüchtlinge aus Darfur" einzubürgern. In Absprache mit den UN solle eine Quote festgelegt werden. "Israel hat noch keinen einzigen Flüchtling wieder ausgewiesen", meint Oded Sarr, Beauftragter der Gefängnisbehörde für das Lager. Ketziot liegt weitab von der Zivilisation, mitten in der Wüste. Eine Flucht wäre selbst dann kaum möglich, wenn die Türen offen ständen. Dennoch wird das Lager stets abgeriegelt. "Das machen wir nur zur Sicherheit der Flüchtlinge", versichert Sarr jedoch.
"Für alle Staaten gültig außer für Israel", steht in den Pässen der Sudanesen. "Die Angst ist groß, dass sich unter den Flüchtlingen auch islamische Extremisten befinden", gibt Marc Regev, Sprecher des Außenministeriums, offen zu. Dennoch beharrt Sarr darauf, dass das Gefängnisgelände allein deshalb für das Lager gewählt wurde, "weil wir hier logistisch und personell für die Aufnahme so vieler Menschen ausgerüstet sind".
Im Lager pustet ein Knirps durch einen Strohhalm in einen Plastikbecher, aus dem Berge von Schaum herausquellen. Das ist das Kinderprogramm der Sozialarbeiterin. Vier Frauen mit ihren Kindern teilen sich jeweils ein Zimmer der spartanisch eingerichteten, aber gepflegten Baracken. Sie spazieren draußen auf und ab, sehen fern und schlagen die Zeit tot. Auf dem kleinen Spielplatz herrschen erst in den Abendstunden erträgliche Temperaturen.
Agnes würde am liebsten sofort in die Stadt ziehen. Sie träumt von Eylat am Roten Meer und einem Job in einem Hotel. "Nur nie wieder zurück nach Hause", sagt sie. Zu Hause, dort wurden ihre Eltern von der Polizei ermordet, als Agnes sieben Jahre alt war. Ihre Odyssee führte sie über Südafrika, Sudan und Ägypten. Dort lernte sie ihren Mann kennen, der aus dem Südsudan geflohen war, wo er im Widerstand gekämpft hatte.
Clement Charles Buddha Schaschwell, 23 Jahre alt wie seine Frau, zählt die Tage, die er im Männerlager von Ketziot verbringt. 44 sind es, seit ihm mit der Hilfe von Menschenschmugglern die Flucht über die Grenze gelang. 800 Dollar hat er bezahlen müssen, das waren alle Ersparnisse des Paares. Ob die beiden in Israel bleiben, werden die Vertreter der UN und des Innen- und Justizministeriums entscheiden. Sarr will in zwei Wochen ein neues Lager eröffnen, in dem dann auch Agnes und Clement ein eigenes Zelt für sich haben werden. Platz für 1.100 Menschen soll das Lager bieten, und Sarr weiß jetzt schon, dass das nicht lange ausreichen wird. "Jede Woche kommen 200 neue Flüchtlinge über die Grenze", sagt er.
Der Flüchtlingsstrom bringt Israel in ein schwieriges Dilemma. "Wir würden am liebsten alle hierbehalten", resümierte der ehemalige Erziehungsminister Jossi Sarid von der linken Meretz bei einem Besuch in Ketziot. "Andererseits will Israel aber nicht für den Rest der Welt den Kopf hinhalten."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!